Eine Stimme macht den Unterschied: Das Parlament befürwortet einen Direktabzug der Steuern vom Lohn, um Schulden vorzubeugen.
Die Debatte um Steuerschulden ist fast am Ende angelangt, als der Basler Mitte-Grossrat Bruno Lötscher-Steiger zum Rednerpult schreitet und gegen seine eigenen Leute votiert. Es ist einer dieser seltenen Auftritte, bei denen man den Eindruck hat, dass sie entgegen jedem politischen Kalkül erfolgen – aber aus Gründen der persönlichen Integrität.
Thema ist eine SP-Initiative, die vorschlägt, Steuern direkt vom Lohn abzuziehen, um Steuerschulden vorzubeugen. Im Vorfeld haben Wirtschaftsverbände offenbar ziemlich gegen dieses Anliegen lobbyiert.
Im Gegensatz zu seinen bürgerlichen Ratskollegen hält Lötscher-Steiger die Idee im Grundsatz für sehr sinnvoll, auch wenn ihn die Initiative selbst nicht überzeugt. In seinen zwanzig Jahren als Präsident des Zivilgerichts habe er Hunderte Fälle von Verschuldung erlebt. «Das sind menschliche Tragödien», sagt der Mitte-Grossrat und fügt ernst hinzu: «Wir könnten diese eigentlich vermeiden, wenn wir hier etwas besser arbeiten würden.»
Es gibt aber noch einen weiteren Grund, wieso Lötscher-Steiger sich zu diesem Votum entschieden hat. Er ist Präsident von Plusminus, der Budget- und Schuldenberatungsstelle Basel.
Plusminus hat im Vorfeld der politischen Beratungen ein Gutachten in Auftrag gegeben, das zum Fazit gelangte, ein Direktabzug werde «mittel- bis langfristig zu einer Reduktion der Steuerschulden und der Gesamtverschuldung» führen. FDP-Grossrat Luca Urgese verglich ebendieses Gutachten zu Beginn der Steuerschulden-Debatte vor einer Woche mit einem «politischen Positionspapier».
Direktabzug kommt eventuell vors Volk
Diesen Vorwurf will Lötscher-Steiger nicht im Raum stehen lassen. Das Gutachten sei von einem renommierten Institut erstellt worden, und Plusminus arbeite fachlich «hochkompetent». Urgese erwidert, man könne durchaus über die wissenschaftlichen Standards dieses Gutachtens diskutieren, ohne der Fachstelle ihre Kompetenz abzusprechen.
Kurz nach 10 Uhr morgens stimmt der Grosse Rat ab – und der Ratslinken gelingt der Coup. Es liegen zwei Gegenvorschläge zur Initiative vor, da sich die Wirtschafts- und Abgabekommission bei der Vorberatung gespalten hatte. Die linke Kommissionsminderheit hält am Direktabzug fest, schwächt die Vorlage zugunsten der Unternehmen aber etwas ab. Eine WAK-Mehrheit, bestehend aus Bürgerlichen und Grünliberalen, macht Alternativvorschläge zur Reduktion von Steuerschulden – so etwa eine provisorische Steuerrechnung.
Eigentlich hätten Bürgerliche und Grünliberale im Parlament eine haarscharfe Mehrheit. Nicht aber an diesem Mittwochmorgen: Mit 49 zu 48 Stimmen entscheidet das Parlament zugunsten des Minderheitsvorschlags. Das heisst: Ab 50 Mitarbeitenden sollen Unternehmen demnach ihren Angestellten die Steuern direkt vom Lohn abziehen. Der Abzug gilt für Arbeitnehmende mit Wohnsitz und Stelle im Kanton Basel-Stadt ohne Quellenbesteuerung. Wer ihn nicht möchte, muss sich ausdrücklich davon ausnehmen lassen (Opt-out-Prinzip).
Entscheidend waren bei der Abstimmung zwei Abwesenheiten: GLP-Grossrätin Sandra Bothe-Wenk und Bruno Lötscher-Steiger, der aus «Respekt gegenüber seiner Fraktion» nicht an der Abstimmung teilgenommen hat. Hätten die Bürgerlichen eine Stimme mehr gehabt, hätte Grossratspräsident Balz Herter (Mitte) den Stichentscheid fällen müssen – und den Direktabzug damit wohl bachab geschickt.
Die SP wird nun darüber beraten, ob sie die Initiative zurückzieht oder nicht. Falls sie die Initiative zurückzieht, könnte es aber dennoch zu einer Volksabstimmung kommen: Die Bürgerlichen haben die Möglichkeit, das Referendum gegen den Grossratsbeschluss zu ergreifen. Auch diesbezüglich berät man sich nun.
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