Ein vom EJPD in Auftrag gegebener Untersuch kommt zum Schluss, dass von rechts bis links schon fast alle Nationalratsmitglieder Drohungen erlebten. Betroffene über konkrete Fälle und die Folgen solcher Anfeindungen.
«Du F***, Frauen gehören an den Herd» oder «Du bist SVP, ohne deine Kollegen hier würde ich dich zusammenschlagen»: Solche Drohungen gehören für viele Politikerinnen und Politiker in der Schweiz leider zum Alltag. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie der Universität Zürich, die diese im Auftrag des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements EJPD durchgeführt hatte. Vor allem die Mitglieder des Nationalrats sind laut den Autorinnen besonders häufig betroffen.
Dafür teilten über 500 Politikerinnen und Politiker auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene ihre Erfahrungen in einem Online-Fragebogen mit der Studienleitung. Unterschieden wurde zwischen fünf Hauptformen von Anfeindungen: Beschimpfungen, Bedrohungen, physische Übergriffe, Sachbeschädigungen und Belästigungen im Netz. Von allen Befragten gaben 67 Prozent an, im letzten Jahr mindestens eine Anfeindung erlebt zu haben. Die ganze Studie mit diversen Beispielen gibts hier.
Wer auf X oder Tiktok Politik macht, ist besonders exponiert
Unter allen Befragten, die Anfeindungen erleben, berichten Frauen doppelt so häufig von Hassrede-Erfahrungen wie Männer. Ein Drittel aller angefeindeten Befragten berichtet, in den letzten zwei Jahren mindestens eine Anfeindungswelle erlebt zu haben. Wer über Tiktok oder X (ehemals Twitter) kommuniziert, ist laut der Studie einer 1,6 Mal so hohen Gefahr ausgesetzt, eine solche Hasswelle zu erleben.
Wie SVP-Politiker Mike Egger (33) zu 20 Minuten sagt, hätten Drohungen und Angriffe seit Beginn seiner Nationalratskarriere 2019 deutlich zugenommen: «Erst letzten Freitag wurde ich im Ausgang beleidigt», so Egger, der in der Vergangenheit auch schon tätlich angegriffen wurde. Am häufigsten werde er aber digital angefeindet und bedroht, vor allem in den sozialen Medien und über E-Mail.
SVP-Egger: «Dicke Haut nötig – doch es gibt rote Linie»
Oft werde er zum Beispiel im Zusammenhang mit seinem gelernten Beruf als Metzger verbal attackiert. Einige der Anfeindungen sammelt der Politiker in einer Schublade. «Man muss ein bisschen eine dicke Haut entwickeln und gewisse Dinge auch an einem abprallen lassen», so der SVP-Nationalrat. Bei Angriffen sei die rote Linie aber klar überschritten.
Auch Hasan Candan wird deutlich mehr angefeindet, seit er 2023 den Sprung vom Kantons- in den Nationalrat geschafft hat. «Vor allem wegen meines Namens und meiner Herkunft erlebe ich immer wieder abschätzige Kommentare in den sozialen Medien», so der 40-Jährige. Parteikolleginnen hätten auch schon von Vergewaltigungsdrohungen berichtet.
Die Studie zeige aber, dass Drohungen und Beleidigungen für alle Politikerinnen und Politiker ein Problem seien: Der SP-Nationalrat fordert deshalb eine Meldeplattform, auf der Politikerinnen und Politiker solchen Anfeindungen systematisch erfassen können. «Es sind keine Einzelfälle. Ich finde es wichtig, hier muss die Politik geschlossen stehen und klarmachen: Eine eigene Meinung zu haben ist wichtig und richtig, bei persönlichen Anfeindungen aber herrscht Nulltoleranz.»
«War eine Personifizierung von allem, was man ablehnt»
Meret Schneider erlebt immer wieder wüste Anfeindungen und Drohungen und setzt sich seit Längerem für stärkere Regulierungen auf Social-Media-Plattformen ein. «Nicht zuletzt hat sich der Tonfall online mir gegenüber extrem verschärft», sagt sie zu 20 Minuten. Die Grüne-Nationalrätin erhielt anfangs Jahr Tausende Hassnachrichten, weil sie strengere Regeln bei Elon Musks X forderte.
Generell habe sie sich an Anfeindungen als Politikerin leider schon aus ihrer ersten Nationalrats-Zeit von 2019 bis 2023 gewöhnt: «Als junge Grüne-Politikerin, die sich für pflanzliche Alternativen und Tierschutz einsetzt, war ich wohl für viele eine Personifizierung von allem, was man ablehnt, und wurde so zum Ziel.» Um das Problem effektiv zu bekämpfen, dürfe die Anonymität des Internets strafbare Äusserungen nicht mehr problemlos erlauben. Deshalb fordert sie von der Politik, die Betreiber der Plattformen stärker in die Verantwortung zu nehmen.

«Wenn ich daran denke, was ich alles schon von Kollegen gehört habe, bin ich bislang wohl von Schlimmsten verschont geblieben», sagt Nina Fehr-Düsel gegenüber 20 Minuten. Doch auch die SVP-Nationalrätin erlebt immer wieder Beleidigungen und Drohungen, vor allem in den sozialen Medien. Die Einschätzung der Studienverantwortlichen, dass Politikerinnen deutlich öfter betroffen sind als Politiker, teilt sie: «Frauen sind wohl auch exponierter für solche Angriffe, weil sie in gewissen Parteien viel weniger stark vertreten sind als Männer und so eher im Fokus stehen.»
Dass vor allem Politikerinnen und Politiker an den beiden Enden des Spektrums viele Anfeindungen erleben, überrascht Fehr Düsel nicht: «Wenn man selbst stark austeilt, muss man auch mehr einstecken können – auch wenn das die Drohungen an sich natürlich nicht rechtfertigt», so die Nationalrätin. Sie wünscht sich mehr Sensibilisierung bei der Bevölkerung dafür, was solche Drohungen und Beleidigungen bei den Opfern auslösen können. Als Juristin sieht sie aber auch Nachholbedarf bei der Rechtssprechung: Diese brauche neue Strafnormen, gerade im Cyberbereich.
