«Erste Liebe Kirche» missioniert Teenies – auch auf dem Schulweg

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Bei Fachstellen gehen vermehrt Anfragen zur «Erste Liebe Kirche» ein. Junge Menschen sollen gezielt andere Jugendliche für die Freikirche gewinnen. Einige von ihnen werden in den Bann gezogen und für ihre Familien schwer zugänglich.

Die Uni hat wieder begonnen. In Zürich schlendern Hunderte neue Studierende durch die Gänge. Doch noch bevor sie am ersten Tag im September ins Gebäude gelangten, wurden einige von jungen Menschen in roten Oberteilen angesprochen. Sie luden zu «Hangouts» und «Game Nights» ein. Erst auf Nachfrage erklärte eine der Frauen, sie seien keine studentische Organisation der Universität. Der Hintergrund der Aktion wird erst beim Blick auf den verteilten Flyer klar: Es handelt sich um ein christlich motiviertes Angebot.

Doch wer genau dahintersteckt, wird in dem Flyer nicht deklariert – 20 Minuten weiss, es ist die «Erste Liebe Kirche» (ELK, auch bekannt als «First Love Church»). Die Freikirche, die der pfingstlichen «Lighthouse Group of Churches» angehört, richtet sich gezielt an Jugendliche und junge Erwachsene. Auch in der Woche, in der Tausende junge Menschen ihre Lehrstellen antraten, wurde am Zürich HB und in Oerlikon geflyert. «Heute werden wir alle rausgehen und die rettende Botschaft verkünden und durch Gottes Gnade ganz viele Schüler und Lehrlinge zu Jesus führen», hiess es dazu in einer internen Chatgruppe der Kirche.

Zwei Wochen danach veranstaltete die Freikirche einen Spieleabend. In der Ankündigung hiess es explizit: «Lädt alle ein, die in der Lehre oder noch Schüler sind.» Auch sonst wird im Chat immer wieder betont, man gehe dort missionieren, wo man viele junge Menschen antreffe. Gemäss dem Zivilgesetzbuch entscheiden in der Schweiz die Eltern bis zum 16. Lebensjahr über die Religion ihres Kindes.

20 Minuten hat einen Gottesdienst der ELK besucht. Ein Erfahrungsbericht sowie Einschätzungen von Experten und dem Leiter der Kirche findest du hier.

«Jugendliche wurden emotional schwer zugänglich»

Wie im letzten Jahresbericht der Fachstelle für Sektenfragen Infosekta klar wird, werden Teenager und junge Erwachsene in Zürich und Bern immer wieder von ELK-Anhängern angesprochen. In Zürich-Oerlikon seien Jugendliche auf dem Schulweg von jungen Predigern zu einer «tollen Party» eingeladen worden. 2024 gingen bei der Fachstelle wegen der Kirche eine Reihe von Anfragen ein. Die jüngste Person, die laut einer Meldung missioniert wurde, soll erst 13 Jahre alt gewesen sein – die meisten seien zwischen 15 und 18, sagt Susanne Schaaf der Fachstelle auf Anfrage.

«Teilweise ging es auch um Jugendliche, die in einem betreuten Wohnsetting leben und vulnerabel sind. Eine instabile Lebenssituation und schwelende Sehnsüchte machen junge Menschen anfällig für solche Angebote.» In anderen Fällen hätten Eltern und Angehörige berichtet, dass die Kinder innert kurzer Zeit in den Bann der Kirche gezogen und emotional schwer zugänglich geworden seien.

«Teilweise ging es bei Anfragen auch um Jugendliche, die in einem betreuten Wohnsetting leben und vulnerabel sind.»

«Das tönt für mich schon sehr stark nach Gehirnwäsche»

Ein Jugendlicher, der missioniert wurde, ist der Sohn von Nicole*. Mit 17 Jahren lud ihn ein Fussballkollege zu einem Kirchenevent ein. «Er ging ein paar Mal mit und fand rasch Anschluss an die Gemeinschaft», erzählt sie gegenüber 20 Minuten. Seither besuche er die Gottesdienste regelmässig und bete unter der Woche online mit anderen Mitgliedern.

Aus Neugierde besuchte auch die Mutter einen Gottesdienst. «Er war organisiert wie eine Bühnenshow», sagt sie. Gleichzeitig habe sie mitgehört, wie den Jugendlichen wiederholt vermittelt wurde, dass Menschen ohne ihren Glauben «leer und tot» seien und dass man für sie beten müsse, um ihre Seele zu retten. «Das tönt für mich schon sehr stark nach Gehirnwäsche», sagt sie besorgt.

Zugleich habe sich ihr Sohn positiv entwickelt: Er sei organisierter geworden, selbstbewusster, könne frei vor Gruppen sprechen. Doch die Gemeinschaft nehme viel Zeit in Anspruch – auch wenn offiziell alles «freiwillig» sei. Nach Nicoles Beobachtung stehen die jungen Mitglieder unter Druck, regelmässig an Treffen teilzunehmen – oft zulasten von Familie oder Freizeit. «Das führt immer wieder zu Diskussionen zu Hause.»

«Er soll wissen: Auf seine Familie kann er sich verlassen»

Besonders befremdlich findet Nicole, dass die Jugendlichen andere Jugendliche für die Kirche gewinnen sollen. Ihr Sohn mache da auch mit – «das scheint von der Kirche gewünscht zu sein». Damit habe sie fast am meisten Mühe, sagt sie. Und trotzdem sei es für sie das kleinere Übel: «Lieber geht mein Sohn beten, als dass er von morgens bis abends kifft.» Die Sorge, wie tief er in der Gemeinschaft verankert ist, bleibe aber. Umso wichtiger sei ihr, ein vertrauensvolles Verhältnis zu wahren – und dass ihr Sohn wisse, dass er sich auf seine Familie verlassen könne.

Genau dieses Dilemma durchlebten viele Eltern, erklärt Susanne Schaaf. Für die Eltern sei es eine Herausforderung, mit ihren begeisterten Jugendlichen zu sprechen: «Einerseits möchten sie die kritischen Aspekte und Risiken der Church besprechen, andererseits möchten sie die Beziehung zum Kind nicht gefährden.» Oft reagierten Jugendliche mit Rückzug oder Ablehnung, sobald Gespräche zu Hause unangenehm werden – was den Austausch zusätzlich erschwere, so die Expertin.

«Enge Familienbindungen gelten dabei als Hindernis für Loyalität»

Hinzu komme, dass Jugendliche aktiv angeworben würden und ihr Engagement teilweise sogar verheimlichten, etwa indem sie von einer «Kirche für junge Leute» sprechen. «Die Eltern wollen ihren Kindern zwar den nötigen Freiraum lassen, erkennen aber dadurch häufig erst spät, wie stark die Einbindung bereits ist», sagt Schaaf. Die Folgen reichten von einer wachsenden Identifikation mit den Glaubensüberzeugungen bis zur Entfremdung vom bisherigen sozialen Umfeld. Auffällig werde das, wenn Jugendliche emotional kaum mehr zugänglich seien, Freundschaften und Hobbys aufgeben und die Kirche zur absoluten Priorität werde.

Konflikte mit der «Herkunftsfamilie»

Die ELK setzt in Gottesdiensten und auf Social Media bewusst auf jugendgerechte Sprache sowie Musik und Tanz. Das sei bewusst so gewählt, sagt Schaaf. Problematisch ist laut der Expertin aber vor allem die schleichende Einbindung in ein konservatives Glaubensverständnis. «Aussagen wie ‹Wer mit Gott unterwegs ist und zur Community gehört, ist ein besserer Mensch› sollten die Mitglieder enger an die Gemeinde binden und ihnen Bedeutung verleihen.»

Zugleich werde suggeriert, dass Konflikte mit der Herkunftsfamilie unvermeidbar seien, da diese die Gläubigen nie so verstehen könnte wie die Gemeinschaft. «Enge Familienbindungen gelten dabei als Hindernis für Loyalität», sagt Schaaf. «So entsteht ein unsichtbarer Graben: Entweder man ist ‹mit Gott unterwegs› – oder man bewegt sich auf der Seite der ‹dunklen Mächte›.»

Roger Hiltbrunner, Leiter der Zürcher ELK, widerspricht den Vorwürfen gegenüber 20 Minuten. Einerseits betont er, dass die Kirche keinerlei Abgrenzung von der Gesellschaft fördere. «Im Gegenteil: Wir ermutigen unsere Mitglieder, ihre Mitmenschen zu lieben und positiv zu ihren Gemeinschaften beizutragen.» In Bezug auf die Beziehung zur Familie sagt Hiltbrunner: Die Kirche habe viele Zeugnisse, die zeigten, dass sich die Beziehungen zwischen Mitgliedern und ihren Eltern verbesserten.«Wir fördern in keiner Weise Konflikte mit Eltern. Im Gegenteil: Wir stehen mit mehreren Eltern in Kontakt, die uns informieren, wenn es Anliegen oder Sorgen gibt.»

*Name geändert

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