Statt Wörtli auswendig zu lernen, bereisen Berner Gymnasiasten virtuell das Tessin. Der Einsatz von VR-Brillen im Sprachunterricht soll Hemmungen abbauen und die Motivation steigern.
VR-Brille auf, und auf gehts ins sonnige Tessin: «Ciao, Risotto ai funghi, tutto bene.» Wild gestikulierend tauchen die Schüler am Gymnasium Kirchfeld in Bern in eine digitale Welt ein, eine virtuelle Fahrt in den Süden.
In der Schule wird der Italienischunterricht mit Virtual Reality (VR) erprobt. 20 Minuten besucht die Klasse, um einen Einblick in die neue Unterrichtsform zu erhalten.
«Anders als einfach Wörtli lernen»
«Fast wie eine Schocktherapie, aber auf eine gute Art», beschreibt Malina (17) ihre Erfahrungen mit VR-Brillen. «Es ist sehr viel anders, als wenn man einfach Wörtli und Grammatik lernt.»
Durch die Brille stehe man plötzlich mitten in einem Gespräch, müsse reagieren, improvisieren und gestikulieren. «Man kann den Grammatikunterricht nicht ersetzen, aber es ist eine super Ergänzung. Und es ist cool, dass man so an Orte reisen kann, die man sonst nur aus dem Lehrbuch kennt.»
Mit Francesca einkaufen und Risotto kochen
Wenn die Schüler die Brille aufsetzen, beginnt ihre Reise im Zugabteil auf der Fahrt in die italienische Schweiz. Neben ihnen sitzt Francesca, eine junge Tessinerin, die sie durch die Szenen begleitet. Danach müssen sie im Supermarkt Zutaten für ein Picknick einkaufen, im Restaurant ein Menü bestellen oder in einer Küche unter Anweisung ein «Risotto ai funghi» zubereiten.
«Nach 15 Minuten wird es anstrengend für die Augen»
Auch Timea (16) mag diese neue Unterrichtsform: «Ich fand es mega lustig und praktischer als normalen Unterricht. Beim Kochen wurde ich jedoch weggeschickt, weil ich die Zwiebeln immer fallen gelassen habe», erzählt sie lachend. Der Spassfaktor sei gross, genauso aber auch der Lerneffekt: «Man lernt, spontan zu sprechen, und verliert die Hemmungen.»
Für längere Lektionen sei die Brille allerdings noch gewöhnungsbedürftig. «Nach 15 bis 20 Minuten wird es anstrengend für die Augen», so die Gymnasiastin.
«Mega cool, in die Welt einzutauchen»
Auch Colin (17) findet den Unterricht interessant: «Es ist mega cool, in die Welt einzutauchen.» Besonders gefalle ihm, dass man mit Italienisch sprechenden Personen üben kann. «Am coolsten fand ich, dass man Essen im Restaurant bestellen musste.» Diese Art des Sprachenlernens sei für ihn sehr hilfreich.
«Es soll Hemmungen abbauen und Freude wecken»
Das Projekt sei in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Graubünden entstanden, sagt Ines Honegger, die Italienischlehrerin und Initiantin des Projektes: «Das Ziel ist es, dass die Schüler ohne Hemmungen sprechen und sich so fühlen, als wären sie vor Ort.» Es soll Hemmungen abbauen, Freude wecken und das Gefühl vermitteln, dass man nach zwei Jahren Unterricht auch etwas sagen könne.
Zudem sei es auch eine Art Kulturvermittlung: «Man lernt die italienische Schweiz kennen: Was es für typisches Essen gibt oder wie der Tessiner Dialekt klingt.» Das Feedback der Schüler sei bisher positiv ausgefallen: «Ich erlebe die Schüler sehr motiviert.»
Forscherin: «Man muss genügend Pausen einplanen»
Die Software wurde an der Fachhochschule Graubünden von Nadine Ganz (29) entwickelt. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin begleitet das Projekt: «Während zwei Jahren sammeln wir laufend Feedback der Lehrpersonen und der Schüler.»

Sie weist auch auf die Grenzen der VR-Technologie hin: «Man muss schon aufpassen, dass man nicht zu sehr in die digitale Welt eintaucht und plötzlich in einen Stuhl im Raum hineinläuft.» Die Geräte seien noch etwas unbequem und unhandlich. «Manchen Schülern wird nach einer gewissen Zeit auch schlecht. Deshalb muss man genügend Pausen einplanen.»
Trotzdem ist Ganz überzeugt: «Gerade junge Leute spricht so eine Lernform an. Eine Sprache mündlich zu üben, ist immens wichtig.»
