Mitarbeiter des KI-Unternehmens jubeln über vermeintlich gelöste Mathematikprobleme. Doch GPT-5 hat nur bekannte Lösungen in der Fachliteratur gefunden. Die Konkurrenz zeigt sich schadenfroh.
Mitarbeiter des KI-Unternehmens Open AI haben auf der Plattform X verkündet, sie hätten bisher ungelöste Mathematikprobleme mit dem Modell GPT-5 gelöst. «Wow, endlich grosse Durchbrüche bei bisher ungelösten Problemen!», triumphierte Open-AI-Forschungsleiter Boris Power als Antwort auf den Post. Konkret glaubten die Mitarbeiter, Lösungen für einige der sogenannten Erdős-Probleme gefunden zu haben, benannt nach dem ungarischen Mathematiker Paul Erdős. Doch wie sich nun zeigt, handelt es sich bei der Durchbruchsankündigung um eine Falschmeldung.
Die Open-AI-Forscher sind lediglich auf bisher unbekannte Literatur gestossen, in welcher die Lösungen für die «offenen» Probleme beschrieben werden. Der Mathematiker Thomas Bloom hat auf der von ihm betriebenen Website Erdosproblems.com alle Erdős-Probleme aufgelistet und mit einem Status – offen oder gelöst – versehen. Bloom betreibt die Site jedoch lediglich als Hobby. Daher ist sie nicht immer auf dem aktuellsten Stand der Wissenschaft, wie er selbst erklärte. Trotzdem nahmen die Open-AI-Mitarbeiter die Website als Grundlage für ihre Arbeit. Die Lösungen, die sie fanden, waren Bloom bislang nicht bekannt, weshalb die Probleme auf seiner Website als «offen» gelistet waren.
Vize-Abteilungsleiter von Open AI wird öffentlich korrigiert
Kevin Weil, Vizepräsident der Abteilung Wissenschaft bei Open AI, hatte den vermeintlichen Durchbruch mit den Worten kommentiert: «Diese Probleme waren alle seit Dekaden offen.» Darauf reagierte Bloom auf X mit den deutlichen Worten: «Hallo, als Eigentümer und Betreuer von Erdosproblems.com halte ich dies für eine dramatische Falschdarstellung. GPT-5 hat Referenzen gefunden, die diese Probleme lösen, von denen ich persönlich nichts wusste. Der Status ‹offen› bedeutet lediglich, dass mir persönlich keine Veröffentlichung bekannt ist, die dieses Problem löst.» Weil hat den Post mittlerweile gelöscht.
Obwohl sich Power und auch die anderen Mitarbeiter für ihren Irrtum öffentlich entschuldigten, hagelt es nun Spott von der Konkurrenz. «Das ist peinlich», schreibt etwa Deepmind-Chef und Nobelpreisträger Demis Hassabis. Und Yann LeCun, KI-Chef von Meta, doppelte nach, dass Open AI dem eignen Hype zum Opfer gefallen sei. Etwas nüchterner formulierte es Mathematiker Bloom im Gespräch mit dem «Spiegel»: «Ich finde schon, dass Mitarbeiter von Open AI sorgfältig hätten prüfen sollen, was tatsächlich passiert ist, bevor sie aufgeregt berichten.»
Droht künstliche Intelligenz zur Blase zu werden?
Der Vorfall steht sinnbildlich für eine Branche, die unter hohem Erwartungsdruck steht. Und die Grenze zwischen Hype und echter Innovation scheint im Bereich der künstlichen Intelligenz dünner zu werden. Wie ist es möglich, dass Forscher des KI-Unternehmens ihre Resultate ohne Überprüfung als «Durchbruch» vermelden? Ein möglicher Grund könnte der enorme Konkurrenzdruck durch andere KI-Anbieter sein. Denn die Unternehmen verfügen zwar über horrende Investitionssummen, an rentablen Geschäftsmodellen mangelt es aber. Dies führt auch zu einem gewissen Druck, ständig Erfolge vorweisen zu können.
Gemäss einem Report der Universität Stanford haben Private allein in den USA zwischen 2013 und 2024 über 470 Milliarden Dollar in KI-Firmen investiert, gefolgt von China mit fast 120 Milliarden. In der Schweiz waren es in diesem Zeitraum knapp 4 Milliarden. Gewinn hat Open AI bisher aber keinen verzeichnet, im Gegenteil: Das Start-up soll in den bisherigen Monaten dieses Jahres operativ bereits 7,8 Milliarden Dollar verloren haben, wie diese Redaktion kürzlich analysierte. Aus diesem Grund wird immer häufiger darüber spekuliert, ob der aktuelle KI-Hype droht zur Blase zu werden.
Die Bewertungen – auf 500 Milliarden Dollar wird das Start-up Open AI geschätzt – steigen im Vergleich zum realen Nutzen weit stärker. Sollte die KI-Blase tatsächlich eines Tages platzen, könnte es aufgrund der Milliardeninvestitionen durch Unternehmen, Regierungen und Fonds zu einer verheerenden Kettenreaktion führen: Werden die hohen Erwartungen nicht erfüllt, könnten KI-Unternehmen, Anleger, Pensionskassen aber auch Kleinsparer massive Verluste erleiden – denn gerade der KI-Boom hat in den letzten Jahren für starkes Wachstum an den Börsen gesorgt.
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