Wladimir Putin hat ein gutes Gespür für den richtigen Augenblick. Bevor er den grossen Angriff auf die Ukraine minuziös vorzubereiten begann, hatte er sich das bereits mehrmals zunutze gemacht: auf der Krim und im Donbass 2014 etwa sowie 2015 mit der Intervention in Syrien. Auch im Kleinen zeigt sich das. Sein Anruf am vergangenen Donnerstag bei Donald Trump kam zum für Russland passenden Zeitpunkt – einen Tag vor dem Treffen Trumps mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski, auf das Letzterer einige Hoffnungen gesetzt hatte.
Mit dem Telefonat scheint es Putin gelungen zu sein, Trump wieder stärker für den russischen Standpunkt in der Frage nach der Beendigung des Ukraine-Krieges einzunehmen und die Lieferung von Tomahawk-Marschflugkörpern abzuwenden. Darauf deuten Trumps öffentliche Äusserungen und Medienberichte hin, die Details von den Diskussionen des amerikanischen und des ukrainischen Präsidenten verbreiteten. Voraussichtlich in Budapest wollen Putin und Trump in den kommenden Wochen erneut zusammentreffen.
Enttäuschung über Folgen des Alaska-Gipfels
In Russland hatte der Gipfel von Alaska im August einen etwas faden Nachgeschmack hinterlassen. Was im ersten Moment als besonders für Putin rundum gelungenes Ereignis erschien, erfüllte die Erwartungen doch nicht ganz. Schuld daran waren aus russischer Sicht die Europäer, die Trump direkt danach zusammen mit Selenski aufgesucht hatten und in denen Moskau die unverbesserlichen Kriegstreiber sieht.
Putin musste den Versuch, ihn zu einem direkten Zusammentreffen mit Selenski zu bewegen, abweisen, ohne Trump zu verärgern. Das gelang nicht ganz, zumal später die «Financial Times» berichtete, der Kremlchef habe bereits in Alaska Trumps Geduld mit unverblümten Forderungen und ausufernden Geschichtsexkursen arg strapaziert.
Die vor allem an Geschäftlichem interessierte Fraktion auf russischer Seite um Putins Sondergesandten Kirill Dmitrijew war ob der verpassten Chance augenscheinlich besonders frustriert: Von all den hochfliegenden Plänen rascher Lockerungen der Sanktionen und nach Russland zurückkehrender amerikanischer Firmen sind bis jetzt ebenso wenig Resultate zu sehen wie eine Normalisierung der diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und Russland. Dies jedoch und der Versuch, von Trumps transaktionaler Politik für die eigene Position in der Welt das Beste herauszuholen, steht für den Kreml im Vordergrund, nicht die Ukraine. Trump aber will erst den seiner Ansicht nach «lächerlichen Krieg» beenden und erst dann das Geschäftliche regeln.
Während Wochen nutzte Putin immer wieder Gelegenheiten, um Trump zu schmeicheln, während er dessen launische Ausfälligkeiten an seine Adresse relativierte. Sein Sprecher Dmitri Peskow nannte am Montag denn auch nicht nur die Ukraine, sondern auch die Verbesserung des bilateralen Verhältnisses als eines der Hauptthemen des angedachten Gipfeltreffens. Die Vorbereitungen dazu seien aber noch nicht in vollem Gange, sagte er und widersprach damit Aussagen aus Washington und Budapest. Der Kreml war von Anfang an vorsichtiger in der Wortwahl gewesen. Putins aussenpolitischer Berater Juri Uschakow hatte von der Möglichkeit eines Gipfels gesprochen, «zum Beispiel in Budapest».
Beharren auf weitreichenden Forderungen
Russland ist sehr daran gelegen, den Gipfel von Alaska zum Ausgangspunkt zu nehmen. In einem langen Interview mit der Zeitung «Kommersant» hatte der Aussenminister Sergei Lawrow vergangene Woche die Interpretation zurückgewiesen, in Anchorage sei nichts erreicht worden. Das dort Besprochene sei noch nicht abgeschlossen, aber Details nannte er nicht. Sein Stellvertreter Sergei Rjabkow betonte am Montag, nun sei es zentral, der amerikanischen Seite zu vermitteln, dass der Alaska-Gipfel den Rahmen gesetzt habe für die weiteren Gespräche über die Ukraine. Offenbar sieht Russland in der damaligen amerikanischen Position einen Vorteil für sich, an den es jetzt anknüpfen möchte.
Russland sieht in einem neuen Treffen zwischen Putin und Trump die Chance, den Krieg zu seinen Gunsten zu beenden – oder sonst weiterzumachen wie bis anhin. Meinungsumfragen zeigen seit Monaten, dass die Bevölkerung kriegsmüde ist und einer sofortigen Einstellung der Kämpfe zustimmen würde – solange Russland damit keine Niederlage erleidet, die eroberten Territorien behalten kann und die Ukraine auf den Nato-Beitritt verzichtet. Putin möchte noch etwas mehr erreichen. Ihm geht es weiterhin um die faktische Kapitulation der ukrainischen Regierung und um die Einverleibung des gesamten Donbass, mitsamt der auch in dreieinhalb Jahren nicht eroberten Territorien.
Inwieweit er tatsächlich auf die noch nicht kontrollierten Gebiete von Cherson und Saporischja oder gar auf Teile der derzeit besetzten Territorien dieser beiden Oblaste zu verzichten bereit wäre, wie es nach dem Telefonat in amerikanischen Medien hiess, ist unklar. Ein ukrainischer Rückzug aus dem Donbass wäre für Kiew kaum akzeptabel. Ein solcher wäre aber für Putins Absicht, die Nachkriegs-Ukraine wenn nicht militärisch, so zumindest politisch zu kontrollieren, wichtig. Das Mantra Putins und Lawrows, es gehe Russland nicht primär um Land, sondern um die Menschen in der Ukraine, ist hinterlistig: Es suggeriert Bescheidenheit, aber meint bedeutend mehr. Moskau möchte unter dem Vorwand, die Russischsprachigen zu schützen, mitreden können, wie die Menschen in der ganzen Ukraine leben sollen.
Putin will Kriegsziele erreichen
Beim Treffen mit Selenski soll Trump erst Putins Forderung nach dem ganzen Donbass vorgetragen haben, dann aber mit Selenski darin einig gewesen sein, am besten wäre ein Waffenstillstand entlang der Frontlinie. Russische Kommentatoren und Funktionäre heben immer wieder hervor, wie ungünstig das für Russland wäre, und fühlen sich an die unrühmlichen Minsker Abkommen von 2014/15 erinnert. Auch Putin lehnt deshalb eine Waffenruhe vor weitergehenden Verhandlungen seit Monaten ab. Er wird auch bei einem Treffen mit Trump nicht plötzlich dafür zu haben sein.
Mehr anfangen kann er mit Trumps Äusserung, auch Moskaus Sicherheitsinteressen müssten berücksichtigt werden. Darin klingt die russische Forderung nach einer Neuordnung der europäischen Sicherheitspolitik an, die über den Verzicht Kiews auf einen Nato-Beitritt hinausgeht. Auch wenn die Russen kriegsmüde sind: Putin will seine Ziele durchsetzen und scheint an den Erfolg im Krieg zu glauben. Er kann es sich nicht leisten, nach mehr als dreieinhalb Jahren Krieg einen Rückzieher zu machen, der am Ende danach aussieht, als habe er nicht das Beste aus der Entscheidung, Russlands Interessen mit Gewalt durchzusetzen, herausgeholt und als sei der Preis dafür zu hoch gewesen.
