Sie verhalf Adidas zu mehr Coolness, jetzt ist die Britin die erste schwarze Kreativdirektorin eines grossen Luxuslabels – und eine der wenigen Frauen an der Spitze einer zunehmend von weissen Männern geprägten Branche.
Die 35-jährige Grace Wales Bonner übernimmt die kreative Leitung der Männerkollektion bei Hermès. Als erste schwarze Frau auf einem Chefposten ist sie eine Ausnahmeerscheinung in der Modebranche. Die Britin mit jamaikanischen Wurzeln startete 2014 erfolgreich mit einem eigenen Modelabel. Ihre Designs verbinden gekonnt schwarze Kultur mit klassischer Schneiderkunst.
In der Modeszene längst kein Geheimtipp mehr, war sie in der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt: Doch spätestens jetzt sollte sich jeder den Namen Grace Wales Bonner merken. Denn die 35-jährige Designerin wurde diese Woche zur neuen Kreativdirektorin der Männerlinie von Hermès ernannt. Damit löst sie Véronique Nichanian ab, die fast vier Jahrzehnte lang für die französische Luxusmarke tätig war.
Die Verpflichtung von Wales Bonner ist ein bedeutender Moment. Nicht nur für sie, die den Posten einst als ihren Traumjob bezeichnete, sondern auch für die gesamte Branche. Denn die Britin mit jamaikanischen Wurzeln ist die erste schwarze Frau an der Spitze eines grossen Modehauses.
Auch dass Hermès weiterhin auf eine weibliche Designerin setzt, ist keineswegs selbstverständlich, wenn man sich vor Augen hält, welcher Trend in der Modewelt vorherrscht. Seit einigen Jahren müssen Kreativdirektoren nämlich vor allem zwei Kriterien erfüllen: männlich und weiss sein.
Das zeigt die schwindelerregende Rochade der letzten Monate, bei der wichtige Posten vor allem mit männlichen Designern besetzt wurden: Jonathan Anderson bei Dior, Pierpaolo Piccioli bei Balenciaga, Demna bei Gucci und Dario Vitale bei Versace. Laut einer Auswertung von «Vogue Business» waren Anfang Jahr bei den 35 führenden Modelabels lediglich 10 Positionen von Frauen besetzt.
Grace Wales Bonner könnte die homogene Modewelt aufbrechen
Der Mangel an Vielfalt hat laut der Modebibel gleich mehrere Gründe. Darunter, dass die Modebranche seit einiger Zeit in einer Krise steckt, weshalb Führungskräfte keine Risiken eingehen wollten. Dazu zählen auch jegliche Diversitätsbemühungen, gegen die die Trump-Regierung hart vorgeht.
Unter diesem Hintergrund ist die Ernennung von Grace Wales Bonner bei Hermès ein Ausreisser. Dabei waren sich Brancheninsider vor der Ankündigung noch sicher, dass man im Modehaus jemanden Internen befördern würde. Doch Hermès möchte offenbar nicht länger wie die Konkurrenz auf Nummer sicher gehen – etwas Risiko kann sich die Marke allemal leisten. Denn während andere Labels unter der sinkenden Kaufkraft leiden, erzielte das Unternehmen letztes Jahr einen Umsatz von rund 15 Milliarden Euro.

Mit diesem finanziellen Polster erscheint die Wahl von Wales Bonner nur logisch: Denn in einer Zeit, in der sich Konsumenten über die Ideenlosigkeit in der Mode beklagen und Luxus zunehmend seinen Wert verliert, sind Mut und Kreativität gefragt. Und die britische Designerin mit ihrer erfrischenden Perspektive ist womöglich eine der wenigen modischen Naturgewalten, die die homogene Modewelt aufbrechen können.
Das beweist Wales Bonner seit Beginn ihrer Karriere, als sie 2014 – mit gerade einmal 24 Jahren – ihr gleichnamiges Label gründete. Zuvor hatte sie in London an der renommierten Modeschule Central Saint Martins studiert, die bereits grosse Designer wie Alexander McQueen und Stella McCartney hervorgebracht hat.
Von der schwarzen Diaspora inspiriert
Für Wales Bonner entwarf die Britin ursprünglich ausschliesslich Männermode, stets mit der Absicht, die Identität des schwarzen Mannes unter einer politischen und poetischen Linse zu beleuchten. Ihre Debütkollektion «Ebonics» war von der schwarzen Diaspora, der präzisen Schneiderkunst der Londoner Savile Row sowie Streetwear inspiriert – und wurde von der Kritik gefeiert.
Dann ging alles sehr schnell: Sie gewann gleich mehrere Nachwuchspreise, darunter bei den «British Fashion Awards»; 2018 wagte Wales Bonner den Schritt in die Frauenmode. An der diesjährigen Met-Gala trugen Stars wie Lewis Hamilton, Jeffrey Goldblum und Sängerin FKA Twigs ihre Entwürfe.
Neben ihren Kleidern, die ein gelungener Mix aus raffinierter Sportbekleidung und makelloser Schneiderkunst sind, ist Wales Bonner auch für viel beachtete Kollektionen für Marken wie Dior und Stussy bekannt. Für Adidas legt sie Sneaker-Klassiker regelmässig neu auf – und entfacht damit riesige Hypes.
Welche Vision Grace Wales Bonner genau für die traditionsreiche Marke Hermès hat, wird sich erst im Januar 2027 zeigen, wenn ihre erste Männerkollektion präsentiert werden soll. Sicher ist: Es wird alles andere als öde und angepasst.
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