«Thun muss jetzt handeln, bevor es zu spät ist»

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Die Stadt Thun will Tourismus fördern – doch vier Fraktionen bremsen. Sie sehen die Lebensqualität der Einheimischen in Gefahr.

In Interlaken und Lauterbrunnen stöhnen die Einheimischen seit Jahren über Touristenmassen. Nun ist das Thema auch in Thun angekommen. Die Stadt erlebt einen wachsenden Besucherandrang – und in der Politik schrillen die Alarmglocken.

Mehrere Stadträtinnen haben im September ein Postulat eingereicht. Es fordert, dass der Gemeinderat Massnahmen prüft, um einem möglichen Overtourism vorzubeugen und ein Gleichgewicht zwischen Tourismus und Lebensqualität zu finden.

«In der Altstadt und an den Badeplätzen spürbar»

SP-Stadträtin Alice Kropf, Mitinitiantin des Vorstosses, sagt zu 20 Minuten, sie sei in den letzten Monaten immer häufiger auf die Belastung durch Touristen angesprochen worden – «im Freundeskreis, auf der Strasse, in Gesprächen mit Anwohnenden». Besonders deutlich sei die Zunahme in der Altstadt, auf dem Schlossberg und an den Badeplätzen zu spüren. Auch im öffentlichen Verkehr und auf den Strassen sei es enger geworden.

Sie warnt vor einem Kipppunkt: Wenn Thun nicht rechtzeitig gegensteuere, könne sich die Situation ähnlich entwickeln wie in Interlaken oder Lauterbrunnen.

Airbnb und Wohnungsmangel

Kropf sieht die Folgen auch auf dem Wohnungsmarkt. Die Leerwohnungsziffer lag im Juni 2025 bei nur noch 0,05 Prozent – ein historisches Tief. Während die Bevölkerung stabil blieb, nahm die Zahl der Airbnb-Angebote weiter zu: Für ein Wochenende im Dezember 2025 seien in Thun und Umgebung 87 Airbnb-Unterkünfte angeboten worden, während auf Immoscout nur 78 Mietwohnungen ausgeschrieben waren.

Die Politikerin fordert deshalb eine Regulierung solcher Plattformen und einen «Marschhalt» bei der Tourismusförderung. Weitere Grossanlässe wie der Ironman oder der Wasserzauber sollten nicht mehr unterstützt werden.

Stadtpräsident: «Thun kennt keinen Übertourismus»

Stadtpräsident Raphael Lanz (SVP) teilt die Einschätzung Kropfs nicht. Er betont, dass Thun zwar wachse, aber weit entfernt sei von den Zuständen in klassischen Tourismushotspots. «Thun kennt keinen Übertourismus, wie ihn Interlaken oder Lauterbrunnen erleben. Aber wir nehmen das Thema ernst», sagt er zu 20 Minuten.

Die Stadt setze sich schon heute mit den Risiken auseinander. Der Verein Thun-Thunersee Tourismus (TTST) arbeite im Auftrag der Stadt an Massnahmen, um mögliche Belastungen zu verhindern.

Wirtschaft profitiert deutlich

Für Lanz ist klar: Der Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. «Er trägt substanziell zur lokalen Wertschöpfung bei – Gastronomie, Kulturveranstaltende und weitere Anbieter profitieren direkt.» Auch Arbeitsplätze würden geschaffen und erhalten.

Derzeit läuft eine Wertschöpfungsstudie, die aufzeigen soll, welchen konkreten Nutzen der Tourismus für die Stadt und Region bringt. Ergebnisse werden Anfang 2026 erwartet.

«Wir setzen auf nachhaltigen Tourismus»

Die Stadt wolle bewusst einen nachhaltigen, verkraftbaren Tourismus, erklärt Lanz. Man fokussiere auf Gäste aus der Schweiz und nahe liegenden Märkten, die idealerweise mit dem öffentlichen Verkehr anreisen und länger bleiben.

Zur Kritik an Airbnb sagt Lanz, die Stadt beobachte die Entwicklung genau, auch im Vergleich mit Interlaken. Der tiefe Leerwohnungsbestand sei jedoch ein langjähriges Phänomen und nicht allein auf Tourismus zurückzuführen.

Zwischen Charme und Kommerz

Für Lanz bleibt das Ziel, eine gute Balance zu halten: «Wir erhalten deutlich mehr positive als negative Rückmeldungen zur Tourismusentwicklung», sagt er. Dennoch seien Ängste und Fragen in der Bevölkerung berechtigt – diese sollen im Rahmen der neuen Tourismusstrategie vertieft behandelt werden.

Kropf hingegen mahnt zur Vorsicht: «Weniger ist mehr.» Thun müsse jetzt handeln, «bevor es zu spät ist».

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