Sechsmal wird Anna Netrebko in der Zürcher Oper singen. Die ukrainische Gemeinschaft fordert die Absage aller Auftritte der russischen Opernsängerin. Das Opernhaus Zürich hält dennoch an der Künstlerin fest.
Am 2. November startet im Zürcher Opernhaus Giuseppe Verdis «La forza del destino». Mit auf der Bühne steht auch die russische Sopranistin Anna Netrebko – was in der ukrainischen Botschaft für Unmut sorgt. In einem offenen Brief wird ihr vorgeworfen, «seit vielen Jahren in enger Verbindung mit dem russischen Regime von Wladimir Putin zu stehen». Die Unterzeichnenden fordern deshalb die Absage aller sechs Auftritte der Sängerin im November.
Der Fall erinnert an eine frühere Kontroverse: Bereits vor drei Jahren war Netrebko in der Kritik, weil sie sich zwar gegen den Krieg, aber nicht klar gegen Putin ausgesprochen hatte. Damals sagten mehrere Opernhäuser – darunter auch Zürich – ihre Engagements mit ihr ab.
«Bis heute nicht von Putin distanziert»
Nach der öffentlichen Kritik und den abgesagten Auftritten im Jahr 2023 hatte sich Anna Netrebko zwar von Russlands Präsident Wladimir Putin distanziert und erklärt, sie sei «weder Mitglied einer russischen Partei noch mit einem Führer des Landes verbunden». Doch ein offener Brief ukrainischer Vertreterinnen und Vertreter stellt ihre Haltung infrage.
Darin werden zwar ihre «aussergewöhnlichen künstlerischen Fähigkeiten» anerkannt, zugleich aber betont, ihre Rolle gehe «weit über die Kunst hinaus». So habe sie 2012 Putins Wahlkampagne unterstützt, als seine «Vertrauensperson» agiert und 2014 vor der Flagge von «Noworossija» posiert sowie an ein Opernhaus im besetzten Donezk gespendet.
Ihre Auftritte senden «gefährliche Botschaft»
Im offenen Brief heisst es, Russland nutze Kultur und prominente Künstler als «Instrument staatlicher Propaganda». In der aktuellen Phase des Krieges gegen die Ukraine sei es daher nicht vertretbar, Künstler auftreten zu lassen, die – bewusst oder unbewusst – Teil dieses Netzwerks seien.
Solche Auftritte, so die ukrainische Botschaft, verharmlosten die russischen Kriegsverbrechen und verletzten das Mitgefühl mit den Opfern. Kunst dürfe nicht zur Bühne werden «für die Legitimierung von Morden, Folter und Vergewaltigungen sowie für die massenhafte Verschleppung von Kindern, die weit weg von ihren Familien gebracht werden». Die Auftritte von Anna Netrebko sendeten in diesem Zusammenhang eine gefährliche Botschaft, heisst es abschliessend.
Darum lässt das Opernhaus sie auftreten
Opernhaus-Intendant Matthias Schulz erklärt auf Anfrage von 20 Minuten: «Die Entscheidung, Anna Netrebko am Opernhaus Zürich auftreten zu lassen, basiert auf einer differenzierten Abwägung ihrer künstlerischen Bedeutung und ihres Verhaltens seit Beginn des Ukraine-Krieges.»
Schulz betont, er habe sich intensiv mit der Sängerin auseinandergesetzt. Netrebko habe sich im März 2022 öffentlich von der russischen Regierung distanziert und den Krieg verurteilt. Seitdem trete sie nicht mehr in Russland, sondern nur auf Bühnen mit klar pro-ukrainischer Haltung auf. «Es ist bemerkenswert, dass sie trotz persönlicher Risiken in Russland Stellung bezogen hat – ein Schritt, der dort erhebliche Konsequenzen haben kann», sagt Schulz.

Das Opernhaus verstehe sich als Ort des Dialogs: «Unsere Aufgabe ist es, Brücken zu bauen und nicht zu spalten. Künstlerinnen und Künstler dürfen nicht zu Sündenböcken für militärische Konflikte gemacht werden, weil man die eigentlichen Kriegstreiber nicht erreichen kann.» Netrebko respektiere die Solidarität des Opernhauses mit der Ukraine, so Schulz. Es habe zudem ein konstruktives Gespräch mit der ukrainischen Botschafterin gegeben. «Unsere Solidarität und unser Mitgefühl gelten uneingeschränkt allen Leidtragenden dieser Katastrophe.»
«Anna Netrebko verdient es, als Künstlerin nicht aufgrund politischer Instrumentalisierung ausgeschlossen zu werden. Sie ist nach wie vor eine der besten Sängerinnen unserer Zeit. Unsere Solidarität gilt allen Leidtragenden dieses Krieges.»
