Ein Schweizer ist wegen versuchten Totschlags zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt worden, die zugunsten einer ambulanten Therapie aufgeschoben wird.
Ein ungewöhnlicher Fall ist am Donnerstag vor dem Bezirksgericht Bremgarten im Kanton Aargau verhandelt worden: Ein heute 78-jähriger Mann aus der Region musste sich wegen versuchten Totschlags verantworten. Der Schweizer hat seine um vier Jahre jüngere Ehefrau, mit der er bereits seit 1970 verheiratet ist, mit einem Schraubenzieher attackiert und verletzt.
Die Frau hat laut Anklageschrift den Mann jahrelang gepiesackt und psychisch unter Druck gesetzt. Sie warf ihm immer wieder vor, andere Frauen zu kennen und untreu zu sein. Der Beschuldigte litt unter den jahrelangen Demütigungen, Anschuldigungen und Kontrollen und traute sich kaum noch, mit anderen Personen Kontakt zu haben.
Paar bezeichnet Beziehung jetzt als «gut»
Im Juli 2024 kam es wieder zu einem Streit, wobei ihn die Ehefrau als «Nüteli» titulierte und ihm einen Fusstritt ins Gesäss verabreichte, als er das Badezimmer reinigen musste. In blinder Wut packte der Ehemann einen auf dem Wohnzimmertisch liegenden Schraubenzieher und stach auf Hals-, Brust- und Bauchbereich seiner Frau ein. Sie erlitt mehrere Verletzungen, welche jedoch nicht lebensgefährlich waren. Er alarmierte danach die Sanität, wurde verhaftet und sass einen Monat in Untersuchungshaft.
Am Prozess war auch die Frau als Auskunftsperson aufgeboten. Das Paar lebt weiterhin zusammen. «Wir haben eine sehr gute Beziehung», sagte sie. Man habe zusammen über den Vorfall gesprochen und ihn aufgearbeitet. Über die Tat wollte sie aber nicht mehr reden.
Beide lehnen Psychotherapie ab
Auch ihr Mann sprach von einer guten Beziehung. «Sie ist meine grosse Liebe.» Und unter Tränen sagte er zu ihr gewandt: «Ich will mich entschuldigen, so etwas wird nie mehr vorkommen.» Eine ambulante Therapie lehnte er ab. «Wir brauchen keine Therapie, wir haben es im Griff.»
Die Staatsanwältin sagte, dass es nur dem Zufall zu verdanken sei, dass die Frau nicht lebensgefährlich verletzt oder gar getötet wurde. «Auch wenn das Paar jetzt von einer harmonischen Beziehung redet, sind dringend Massnahmen zu ergreifen, dass so etwas nicht wieder passiert.» Es habe in der Beziehung immer wieder Streit wegen der grundlosen Eifersucht der Ehefrau gegeben. «Sie hat ihn jahrelang terrorisiert und auch geschlagen», sagte die Anklägerin.
Sie verlangte deshalb wegen versuchten Totschlags eine äusserst milde, unbedingte Freiheitsstrafe von 18 Monaten, die zugunsten einer ambulanten Psychotherapie aufgeschoben werden soll. Die Schuldfähigkeit des Mannes sei zu Tatzeit stark vermindert gewesen, habe die Gerichtspsychiaterin festgestellt. Eine Therapie sei dringend nötig, auch wenn die Erfolgsaussichten mässig sind. «Es besteht laut Gutachten ein hohes Rückfallrisiko», betonte sie.
Verteidigerin spricht von einfacher Körperverletzung
Demgegenüber forderte die Verteidigerin einen Freispruch vom Vorwurf des versuchten Totschlags. Es handle sich um eine einfache Körperverletzung, und sie verlangte eine bedingte Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 40 Franken. «Es war eine Kurzschlussreaktion, er hat seine Ehefrau nur leicht verletzt.» Es sei nur ein kleiner Schraubenzieher gewesen.
Eine Therapie lehnte die Verteidigerin ab: «Das Ehepaar will sein Leben selber meistern und keine Einmischung von aussen.» Im Gegensatz zur Staatsanwältin verneinte die Anwältin eine Rückfallgefahr. «Mein Mandant ist keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit.» Zudem habe die einmonatige Untersuchungshaft ihn stark belastet.
Das fünfköpfige Gericht folgte einstimmig dem Antrag der Staatsanwältin. «Eine ambulante Therapie ist nötig, es besteht eine Rückfallgefahr», begründete die vorsitzende Richterin. Sollte sich der Beschuldigte der angeordneten Therapie verweigern, muss er die 18 Monate absitzen.
