Warum der Franken nicht so stark ist, wie es scheint – die Industrie dennoch in Schwierigkeiten steckt

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Der Euro ist aus Schweizer Sicht so günstig wie noch nie. Das allein ist kein Grund zur Sorge. Rosig sind die Aussichten trotzdem nicht.

Der Euro hat im Handel gegenüber dem Franken einen neuen Tiefpunkt erreicht. Das klingt spektakulär. Inflationsbereinigt hat die europäische Währung in den letzten zehn Jahren aber nicht viel Wert gegenüber dem Franken verloren. Trotzdem steckt die Industrie in Schwierigkeiten. Gründe dafür sind die US-Zölle und die weltweit stockende Investitionsbereitschaft.

Das klingt nach einem Aufreger: Der Euro fällt auf ein historisches Tief gegenüber dem Schweizer Franken. Im Verlauf des Dienstags war die europäische Gemeinschaftswährung zeitweise nur 92,1 Rappen wert und damit so wenig wie nie zuvor (wenn man von den Ausschlägen absieht, die es am Tag des Frankenschocks am 15. Januar 2015 im Börsenhandel gab).

Muss man sich deswegen Sorgen machen um die hiesige Exportindustrie? Bedroht der starke Franken die Wettbewerbsfähigkeit von Industriefirmen? Das sind relevante Fragen, die sich zurzeit stellen. Allerdings sieht die Sache nicht ganz so schlimm aus, wenn man sie mit etwas Distanz betrachtet.

Die Inflation erklärt den schwachen Euro

Den wichtigsten Faktor, den man dabei berücksichtigen muss, ist die Teuerung. In den Euroländern steigen die Konsumentenpreise schneller als in der Schweiz. Im Schnitt der letzten zehn Jahre lag die jährliche Inflation in der Eurozone bei 2,4 Prozent, in der Schweiz betrug sie nur 0,6 Prozent.

Das bedeutet, dass ein Euro aus Konsumentensicht über die Jahre mehr Kaufkraft verloren hat als ein Franken. Aus ökonomischer Sicht ist das ein wichtiger Grund – und auf lange Sicht sogar der wichtigste –, warum der Euro auch am Devisenmarkt gegenüber dem Franken an Wert einbüsst.

Will man die Stärke einer Währung beurteilen, ist es deshalb unerlässlich, dass man die Inflation aus den Handelskursen herausrechnet. Üblicherweise wird das mithilfe von sogenannten Wechselkursindizes gemacht, wie sie etwa die Schweizerische Nationalbank für den Franken täglich berechnet.

Eingängiger ist es, wenn man die Inflation direkt aus dem Handelskurs herausrechnet. Was das für den Euro zur Folge hat, zeigt die folgende Grafik, die seit dem Stichtag zum 1. Januar 2015 um die Teuerung bereinigt ist: Statt bei 92 Rappen läge der aktuelle Kurs der Einheitswährung bei 1.12 Franken.

Wenn man die vergangenen zehn Jahre auf diese Weise im Rückblick betrachtet (die Marke von 1.20 Franken pro Euro, auf der die Nationalbank zuvor den Mindestkurs angesetzt hatte, dient dabei quasi als Richtschnur), so hat der Euro seither also nur 8 Rappen gegenüber dem Franken verloren.

Das mutet für einen längeren Zeitraum nicht besonders dramatisch an. Denn der Franken ist eine Starkwährung, die nicht nur nominal, sondern auch real – also inflationsbereinigt – über die letzten Jahrzehnte einem Aufwertungstrend gefolgt ist. Gründe dafür waren die dynamische Wirtschaftsentwicklung und die hohen Vermögen von Schweizern. Gemessen an diesem Trend liegt der Euro-Franken-Kurs derzeit im Schnitt.

Trump macht mehr Probleme als der Euro

Weitet man die Betrachtung auf die Handelspartner der Schweiz und deren Währungen aus, so zeigt sich ein leicht anderes Bild. Der reale, effektive Wechselkursindex des Frankens lag gegenüber diesen Ländern per Ende September 3 Prozent über dem langfristigen Trend – und nicht genau auf dem Trend, wie es für den Euro zum Ende des letzten Monats der Fall war. Doch auch diese Abweichung, die vor allem an den Kursverlusten des US-Dollar liegt, ist nicht dramatisch, wenn man sie mit vergangenen Krisen vergleicht.

Das heisst nicht, dass die Industrie keine Probleme hat. Im August sprach der Techverband Swissmem etwa von einem «Abwärtsstrudel»: Umsätze und Auftragseingänge seien tief, die Beschäftigung rückläufig. Als Ursachen dafür wurden die US-Zölle und die globale Investitionsunsicherheit genannt. Laut dem Verband Swissmechanic betrachten viele Tech-KMU aber auch den starken Franken als eine der wichtigsten Schwierigkeiten für ihr Geschäft.

Vor diesem Hintergrund bleibt eine gewisse Sorge um den Wechselkurs durchaus angebracht. Banken wie die UBS, Raiffeisen oder J. Safra Sarasin schätzen die Lage immerhin als stabil ein. Sie schätzen, dass der Euro das nächste Jahr über zwischen 91 und 94 Rappen notieren wird. Ihre Prognosen gehen definitionsgemäss davon aus, dass es keine unerwarteten Turbulenzen in der Weltwirtschaft gibt. Und sollten doch welche eintreten, so dürfte die Nationalbank den Franken mit Interventionen schwächen.

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