Die Bundesanwaltschaft hat gegen zwei in der Romandie inhaftierte Männer Anklage erhoben – unter anderem wegen Unterstützung des Terrorismus und Sozialversicherungsbetrugs.
Die Bundesanwaltschaft hat gegen zwei in der Westschweiz lebende Männer Anklage erhoben. Von 2015 bis 2022 sollen sie eine geheime Zelle von Jihad-Anhängern geleitet haben. Mitglieder dieser Gruppe sollen in Kosovo AK-47-Sturmgewehre in einem Fass versteckt haben. Die Angeklagten sollen ihre Aktivitäten auch durch Sozialversicherungsbetrug finanziert haben.
Eine der grössten Antiterrorermittlungen, die in den letzten Jahren in der Westschweiz durchgeführt wurden, steht kurz vor dem Abschluss. Zwei Männer aus dem Balkan, ein Kosovare und ein schweizerisch-mazedonischer Doppelbürger, sind angeklagt, eine dem Islamischen Staat nahestehende Gruppe in Kosovo unterstützt und finanziert zu haben. Ihr Prozess wird am 3. und 4. November vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona stattfinden.
Die beiden Männer sitzen bereits seit drei Jahren in einem Waadtländer Gefängnis. Jetzt drohen ihnen bis zu zehn Jahre Haft, unter anderem wegen «Beteiligung an einer terroristischen Organisation».
Wer sind die beiden Angeklagten, für die die Unschuldsvermutung gilt? Einer der beiden, ein 37-jähriger Kosovare, lebte im Kanton Genf. Vor etwa zehn Jahren bewegte er sich im Umfeld der Grossen Moschee von Petit-Saconnex.
Laut der Anklageschrift der Bundesanwaltschaft soll er innerhalb einer Splittergruppe namens «Frères de Viti» (Deutsch: «Brüder von Viti»), benannt nach einer Stadt in Kosovo, einen «entscheidenden Einfluss» ausgeübt haben. Seit 2015 soll er als «Emir» deren Genfer Ableger, die «Frères de Genève» («Brüder von Genf» auf Deutsch), geleitet haben.
Imam, der als Mentor gilt, sass im Gefängnis
Ideologisch stand diese Zelle dem Islamischen Staat nahe, der sich damals im Irak und in Syrien auf dem Höhepunkt seiner Macht befand. In der Anklageschrift wird ihre Ausrichtung als «salafistisch-jihadistisch» bezeichnet. In Genf sollen ihre Mitglieder bis zu 30 Anhänger um sich geschart haben. Unter ihnen war auch der Genfer Konvertit Daniel D., der sich später dem Islamischen Staat in Syrien anschloss. Er soll dort bis heute inhaftiert sein.
Die «Frères de Genève» sollen auch «verschiedene junge Menschen angesprochen» haben, um sie als Mitglieder für die Gruppe zu gewinnen. Einer dieser Jugendlichen, der das Angebot ablehnte, war erst 14 Jahre alt.

Die Angeklagten holten mindestens drei radikale albanischsprachige Imame in die Schweiz, von denen mindestens einer im Gefängnis gesessen hatte. So auch Rexhep Memishi, der als «ideologischer Mentor» der Gruppe bezeichnet wird. Von 2015 bis 2022 war er in Mazedonien inhaftiert, nachdem er wegen der Rekrutierung von Kämpfern für den Islamischen Staat verurteilt worden war. Er soll die «Frères de Genève» auch aus dem Gefängnis heraus weiter inspiriert haben.
Qëndrim Jashari, ein weiterer radikaler Imam, der von der Gruppe nach Genf eingeladen wurde, soll bei einem Treffen in Genf den Text eines Sprechers des Islamischen Staats vorgelesen haben.
Kalaschnikows waren in einem Fass versteckt
Obwohl sie weniger als zehn Mitglieder hatten, waren die «Frères de Genève» laut Anklageschrift sehr gut organisiert, führten regelmässig Pflichttreffen durch und hatten eine «Disziplin der absoluten Diskretion». Es ist nicht bekannt, ab welchem Zeitpunkt sich die Schweizer Behörden für sie interessierten. Im Jahr 2021 waren die Ermittlungen so weit fortgeschritten, dass im Auto eines der Verdächtigen Mikrofone installiert wurden.
Dadurch konnte festgestellt werden, dass dieser Lieder des Islamischen Staats sang, wenn seine Frau und seine Kinder im Auto sassen. In einem der Lieder hiess es: «Mögen die Wege der Eroberung mit Leichen übersät sein.» Und: «Wir werden erwürgen, wir werden anzünden, wir werden uns rächen.»
Das zentrale Argument der Anklage lautet, dass die «Frères de Genève» und ihr kosovarisches Pendant, die «Frères de Viti», eine einzige «terroristische Organisation» bildeten. In Kosovo sollen ihre Mitglieder «vier Sturmgewehre vom Typ AK-47, eine Pistole und etwa 3000 Schuss Munition» in einem Plastikfass versteckt haben, das in den Bergen vergraben war.
Den Ermittlern zufolge sollten diese Waffen dazu dienen, «mit Waffengewalt die Macht über ein bestimmtes Gebiet Kosovos zu übernehmen, dort notfalls auch mit brutalen Mitteln einen Islamischen Staat unter der Scharia zu errichten und (…) dann der Terrororganisation Islamischer Staat die Treue zu schwören». Den Mitgliedern der Gruppe wird jedoch keine konkrete Gewalttat vorgeworfen.
«Wir bestreiten, dass die Gruppe der Brüder in Kosovo eine terroristische Organisation ist», heisst es aus dem Umfeld eines der Verdächtigen. Die Anwälte der beiden Angeklagten, Julien Gafner und Cécile Wendling, haben es abgelehnt, sich vor dem Prozess zum Fall zu äussern. Gemäss Informationen dieser Redaktion dürften sie in den wesentlichen Punkten auf Freispruch für ihre Mandanten plädieren.
Versicherungsbetrug zur Finanzierung der Organisation
Eine der Aufgaben der «Frères de Genève» bestand darin, die in Kosovo gegründete Schwesterorganisation zu finanzieren. Von 2016 bis 2022 soll die Schweizer Zelle umgerechnet 64’000 bis 78’000 Euro in den Balkan überwiesen haben. Ein kleiner Teil des Geldes – laut Anklageschrift nur 1000 bis 2000 Franken – soll für den Kauf von Waffen verwendet worden sein.
Eine grössere Summe, etwa 10’000 Euro, soll dazu gedient haben, kosovarische Staatsanwälte zu bestechen, damit sie eine mildere Strafe für zwei Mitglieder der Gruppe beantragten, die sich dem Islamischen Staat an der irakisch-syrischen Front angeschlossen hatten.
Die Schweizer Zelle hatte mehrere Systeme zur Finanzierung ihrer Aktivitäten aufgebaut. Ihre Mitglieder zahlten einen monatlichen Beitrag von mindestens 50 Franken und spendeten Geld bei regelmässigen Sammlungen. Vor allem aber scheinen die beiden Angeklagten Sozialversicherungsbetrug begangen zu haben – ein klassisches Vorgehen von Jihadisten-Gruppen im Westen.
So soll der erste der beiden Angeklagten, der Kosovare aus Le Lignon, illegal rund 54’363 Franken Familienzulagen für seine Kinder erhalten haben, obwohl diese nicht mehr in der Schweiz lebten.

Der zweite Angeklagte soll seine Meldepflicht für alle Erwerbstätigkeiten verletzt haben, indem er mehr als 107’000 Franken Sozialhilfe bezog, während er gleichzeitig als Taxifahrer in der Region Nyon arbeitete.
Die beiden Komplizen sollen auch Autounfälle vorgetäuscht haben, wodurch sie rund 20’000 Franken von den Versicherungen kassiert haben sollen. Schliesslich sollen zwei Covid-19-Kredite, die auf der Grundlage überhöhter Umsatzzahlen gewährt wurden, 35’000 Franken eingebracht haben.
Die beiden Männer werden möglicherweise zur Rückzahlung der Beträge aufgefordert, wenn sie am Ende des Prozesses für schuldig befunden werden. Ausserdem könnten sie zur Deckung der erheblichen Kosten der Ermittlungen herangezogen werden, die sich laut Bundesanwaltschaft auf über 1,4 Millionen Franken belaufen.
Aus dem Französischen übersetzt von Yolanda Di Mambro
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