Während Deutschlands Wirtschaft schwächelt, liegen 33 Billionen Euro unverzinst auf Sparkonten. Banken-Chefs und Finanzexperten fordern radikales Umdenken: weniger Bürokratie, mehr Kapitalmarktkultur und ein Weckruf für den Finanzstandort.
Deutschland sitzt auf einem gigantischen Geldberg, der niemandem nutzt. 33 Billionen Euro vegetieren auf Spar- und Girokonten vor sich hin – ohne Rendite, ohne Wirkung, ohne Zukunft. Das sind 70 Prozent des gesamten Ersparten in Deutschland, während gleichzeitig Investitionen in Energiewende, Infrastruktur und Digitalisierung dringend gebraucht werden.
Beim Frankfurt Finance & Future Summit schlugen Deutschlands Top-Banker jetzt Alarm: Der Standort droht im internationalen Wettbewerb abgehängt zu werden.
Bürokratie killt Innovation
Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing nimmt kein Blatt vor den Mund. Die Politik müsse „Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit wieder in den Mittelpunkt“ rücken, fordert er auf der Veranstaltung. Beides sei in den vergangenen Jahren kein zentrales Anliegen deutscher Politik gewesen. Das Hauptproblem sei nicht das Zinsniveau, sondern die lähmende Bürokratie.
Während in den USA von der Antragstellung bis zum ersten Cashflow nur zweieinhalb Jahre vergehen, dauert derselbe Prozess in Deutschland fünf bis sieben Jahre. „Die Unternehmen zögern nicht, weil sie sich keine Investitionen leisten können“, erklärt Sewing. Sie zweifelten vielmehr daran, ob Deutschland noch ein verlässlicher Partner sei. Bürokratie sei „das Haupthindernis“, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Der Appell des Bankchefs: Deutschland müsse „endlich wach“ werden.
Europa droht der Absturz
Die Warnungen werden deutlicher. „Wenn wir nicht aufpassen, wird Europa gnadenlos abgehängt“, mahnt Michael Theurer, Vorstandsmitglied der Bundesbank. Mit 70 Prozent kreditfinanzierten Unternehmen spielen Banken für die deutsche Wirtschaft eine Schlüsselrolle.
Die Bundesbank arbeite laut einem Frankfurt Finance & Future Summit-Bericht „mit Hochdruck daran, bis Ende des Jahres der EU-Kommission Vorschläge zu unterbreiten, Banken von unnötiger Bürokratie zu entlasten, ohne dabei das Stabilitätsniveau zu gefährden.“ Auch Commerzbank-Chefin Bettina Orlopp fordert einen tieferen und einheitlicheren Kapitalmarkt. Die Idee einer gemeinsamen europäischen Börse, die Bundeskanzler Friedrich Merz ins Spiel gebracht hat, findet bei den Finanzexperten Anklang. „Verdichtung ist immer gut“, kommentiert Orlopp knapp.
Schlafende Billionen wecken
Das Problem ist nicht Kapitalmangel, sondern falsche Kapitalallokation. „33 Billionen Euro liegen in Deutschland unverzinst auf Spar- und Girokonten herum“, erklärt Nurten Erdogan, Finanzchefin von ING Deutschland, auf dem Summit. Gleichzeitig fehlt Geld für Energiewende, Verkehr, Infrastruktur und Sozialsysteme.
Die Lösung? „Nicht weniger sparen, anders sparen“, bringt es Hubertus Väth, Geschäftsführer von Frankfurt Main Finance, auf den Punkt. Er verweist auf eine Studie von 1992: „Wenn wir damals die Altersvorsorge auch nur in Höhe von zehn Prozent auf Wertpapiere gestützt hätten, dann hätte jeder deutsche Rentner heute 500 Euro mehr Rente.“ Jede weitere Verzögerung koste die Menschen jährlich Wohlstand.
Vom Sparer zum Investor
Andere Länder machen es vor. In den USA, Australien und Großbritannien erreichen Privatanleger Kapitalanlagequoten von 40 bis 45 Prozent. Der Schlüssel liegt laut André Munkelt, Vorstandsvorsitzender von Morgan Stanley Europe, in einfachen, aber breiten Produkten und Steueranreizen.
Vor allem aber brauche es „Risikofähigkeit, also die Fähigkeit, Risiken zu akzeptieren.“ Nicola Beer, Vizepräsidentin der Europäischen Investitionsbank (EIB), sieht bereits Ansätze wie Investitionskapital oder Frühstartrente. „Ein Savings and Investment Account für jeden wird derzeit diskutiert“, erklärt sie in Frankfurt. Auch das könne mehr Menschen an den Kapitalmarkt heranführen.
Krypto als Vorbild für Kapitalmarkt-Revolution
Dass Regulierung auch Wachstumstreiber sein kann, zeigt das Beispiel Krypto. „Hier schafft Regulierung Vertrauen und Akzeptanz“, erklärt Lukas Enzersdorfer-Konrad, CEO von Bitpanda. Mit Bitcoin, das rund um die Uhr, sieben Tage die Woche investierbar ist, stehen die Finanzmärkte vor einem Paradigmenwechsel. So laufen laut ihm bereits 20 Prozent der Transaktionen am Kryptomarkt am Wochenende.
„Wir werden die größte technologische, strukturelle Veränderung der Kapitalmärkte der nächsten zehn Jahre sehen“, prophezeit der Bitpanda-Chef. Die Zukunft der Kapitalmärkte werde offen, vernetzt und jederzeit digital zugänglich sein. Rund um diese Technologien könnten in Deutschland und Europa zahlreiche Hidden Champions entstehen.
Business Punk Check
Der Finanzstandort Deutschland steht vor einem brutalen Reality-Check: Während Politiker über Regulierungsdetails streiten, verschieben sich global die Kapitalströme. Die Wahrheit ist unbequem: Deutschland hat kein Geldproblem, sondern ein Mentalitätsproblem. 33 Billionen Euro liegen auf Sparkonten – das ist keine Vorsicht, das ist kollektive Zukunftsverweigerung.
Die Krypto-Revolution zeigt, wie schnell Kapitalströme sich neu orientieren, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Wer jetzt nicht handelt, wird zusehen, wie innovative Finanzmodelle und Kapital in flexiblere Märkte abwandern. Für Unternehmer heißt das: Nicht auf Berlin warten, sondern eigene Finanzierungsmodelle entwickeln und die Politik vor vollendete Tatsachen stellen.
Häufig gestellte Fragen
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Wie kann Deutschland seine 33 Billionen Euro Sparkapital aktivieren?
Finanzexperten empfehlen einen Dreiklang aus besserer Finanzbildung, steuerlichen Anreizen und einfacheren Anlageprodukten. Schon eine Umschichtung von 10 Prozent dieser Summe würde einen massiven Innovationsschub auslösen. Unternehmen sollten nicht auf politische Lösungen warten, sondern eigene Anlageprodukte entwickeln, die speziell auf risikoscheue deutsche Sparer zugeschnitten sind.
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Welche Branchen profitieren am meisten von einer Kapitalmarktreform?
Besonders Infrastruktur, Energiewende und Digitalisierung benötigen dringend privates Kapital. Für Mittelständler eröffnen sich neue Finanzierungswege jenseits der klassischen Kreditfinanzierung. Startups könnten durch einen aktiveren Kapitalmarkt leichter Wachstumskapital einsammeln, ohne ins Ausland abwandern zu müssen.
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Wie können Unternehmen trotz bürokratischer Hürden wettbewerbsfähig bleiben?
Statt auf politische Reformen zu warten, sollten Unternehmen eigene Strukturen aufbauen, die Bürokratie umgehen. Dazu gehören internationale Holding-Strukturen, digitale Prozessoptimierung und die Nutzung von Fintech-Lösungen. Gleichzeitig lohnt sich der Blick nach Schweden, wo kapitalgedeckte Altersvorsorge mehr IPOs generiert als Frankfurt, Mailand und Paris zusammen.
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Wie verändert die Krypto-Regulierung den traditionellen Finanzmarkt?
Die 24/7-Verfügbarkeit von Krypto-Assets setzt traditionelle Märkte unter Zugzwang. Unternehmen sollten die Tokenisierung von Vermögenswerten als strategische Option prüfen und Blockchain-basierte Finanzierungsmodelle in ihre Strategie integrieren. Die EU-Krypto-Regulierung MiCA bietet dabei einen Wettbewerbsvorteil gegenüber weniger regulierten Märkten.
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Was bedeutet die Kapitalmarktreform für den Mittelstand?
Mittelständische Unternehmen sollten ihre Finanzierungsquellen diversifizieren und neben klassischen Bankkrediten auch Kapitalmarktinstrumente wie Anleihen oder Private Equity in Betracht ziehen. Die Schaffung eines einheitlichen europäischen Kapitalmarkts würde den Zugang zu internationalen Investoren erleichtern und Wachstumskapital verfügbar machen.
Quellen: „Frankfurt Finance & Future Summit“
