Wie dramatisiert man die Tatsache, dass einer sehr viele Songs schreibt? Man könnte sie ja auch einfach feiern, besonders wenn es viele gute Songs sind. Aber im Fall von Bruce Springsteen um 1981 war die Frage nicht nur, ob gute oder schlechte, sondern vielmehr, ob laute oder leise. Der Boss wollte leiser werden, er brauchte mit Anfang dreißig eine Pause nach gut 15 anstrengenden ersten Jahren im Geschäft und mehr als fünf Jahren auf einer Welle des Erfolges seit seinem Durchbruchalbum „Born to Run“ (1975) und zuletzt dem Doppelalbum „The River“ (1980), das auch den bald in aller Welt beliebten Hit „Hungry Heart“ enthielt.

Als Springsteen selbst ihn nachts auf einem dunklen Highway im Radio beginnen hört, schaltet er ab. Dass ein Musiker von seinem eigenen Material genug hat, ist noch kein Drama. Aber dass einer, der gerade als Retter des Rock ’n’ Roll gefeiert und bekannt dafür geworden ist, auch den letzten Konzertbesucher schwitzend glücklich zu machen, dass so einer sich in eine Hütte zurückzieht und nur noch Songs mit Akustikgitarre und Mundharmonika spielen will, das ist zumindest aus Sicht seines Managements und seiner Plattenfirma ein Drama. Und dieses inszeniert Scott Coopers Spielfilm „Deliver Me From Nowhere“ geradezu genüsslich.
Das Wichtigste kommt im Pappkarton
Wie fast alle Biopics beginnt der Film mit einem Krisenmoment. Eben noch wird Springsteen umjubelt, kurz danach ist sein Blick leer. Einem Autoverkäufer, der ihm sagt: „Ich weiß, wer Sie sind!“, antwortet er: „Dann weiß es wenigstens einer.“ Er fährt mit leerem Blick in die Leere und zieht sich in einem gemieteten Haus in Colts Neck, unweit seiner Heimatstadt Freehold in New Jersey, zurück. Dieser Mann scheint der Welt abhandengekommen, eine kurz zuvor kennengelernte Frau hat er gewarnt, er würde ihr wohl keine Freude bereiten können. Was dann passiert, mag zunächst nebensächlich wirken, doch es ist die Schlüsselszene des Films: Ein Mann namens Mike kommt nach Colts Neck und bringt im Pappkarton ein Vierspur-Tonbandgerät mit.
Im Gegensatz zu vielen anderen Biopics hechelt „Deliver Me From Nowhere“ nicht in Minuten durch Jahrzehnte, sondern konzentriert sich auf ein paar Monate – so wie die Buchvorlage von Warren Zane. Die beschreibt die Entstehung des Schlafzimmer-Albums „Nebraska“, das beinahe nie erschienen wäre, dann aber legendär wurde. Zane schildert minutiös die Entstehung der Songs, deren Material Springsteen teils aus der Tiefe der Kindheit, teils aus jener der amerikanischen Kulturgeschichte schöpfte, und Scott Cooper, bekannt etwa durch das Western-Epos „Hostiles“ oder den Musikfilm „Crazy Heart“ mit Jeff Bridges, setzt das romantisch in Szene: Das Lied „Mansion on the Hill“ etwa wird hier bebildert fast wie ein Musikvideo, in dem Springsteens Vater dem kleinen Bruce und seiner Schwester ein vermeintlich unerreichbares Anwesen zeigt; der Titelsong „Nebraska“ entsteht, als der Sänger im Fernsehen Terence Malicks Film „Badlands“ sieht und sich schrittweise in die Perspektive des darin von Martin Sheen gespielten Mörders Richard Starkweather versetzt.
Und noch ein anderer Film wird für Leben und Werk des Sängers zu einer dunklen Inspiration: Charles Laughtons Klassiker „Die Nacht des Jägers“ (1955), an den Springsteen eine bedrohliche Kino-Erinnerung hegt und, so legt Cooper es nahe, im Rückblick den darin von Robert Mitchum gespielten Mörder irgendwie auch mit seinem eigenen Vater assoziiert.
Nacht über Atlantic City
Cooper lässt sich Zeit für dokumentarische und atmosphärische Details, aber um Handlung zu erzeugen, muss er etwas dazuerfinden: nämlich die attraktive Frau namens Faye (Odessa Young) nebst kleiner Tochter, die den rastlosen Springsteen bändigen will. Ihre Figur dient im Grunde nur dazu, zu zeigen, dass er in dieser Phase seines Lebens mit allem haderte und drohte, in eine Depression abzugleiten. Obwohl Faye gewarnt ist, wird sie am Ende weinen, wenn er wieder ins Auto steigt: Das ist alles sehr erwartbar und ebenso klischeehaft wie die ständigen Rückblenden in eine schwarz-weiße Kindheit mit und ohne den Vater (Stephen Graham), der fast nur in der Kneipe sitzt und andeutungsweise gewalttätig wird.
Aber man muss sagen: Es ist so gut gespielt und inszeniert, dass man sich dieser Fiktion eine Weile lang gern hingibt, die ständig zwischen Sehnsuchts- und Schreckbildern changierende Orte aus Springsteens Songs aufruft: so auch den heruntergekommenen Pier in der Spielerstadt Atlantic City, das leerstehende Elternhaus und immer wieder einsame Highways zwischen verblichenen Mais- oder Getreidefeldern.
Eine Glanzleistung nicht nur des Hauptdarstellers
Jeremy Allen White trägt diesen Film, er wird dem jungen Springsteen fast unheimlich ähnlich, auch gesanglich. Manche Überblendungen zwischen seiner Stimme und jener Springsteens bemerkt man kaum. Nach Timothée Chalamets großer Dylan-Performance mag eine derartige Glanzleistung manche nicht mehr überraschen, sie ist aber dennoch hervorzuheben, zumindest wenn man Mimikry und nicht im Gegenteil Verfremdung – man denke an Todd Haynes’ Dylan-Film „I’m Not There“ von 2007 – zum schauspielerischen Ideal macht. White stellt auch sehr glaubhaft Springsteens starrköpfiges Beharren darauf dar, ein ganzes Album im Schlafzimmer-Sound zu veröffentlichen, ohne Rock, ohne E Street Band – und abgemischt von einer einfachen Kassette, was die Tontechniker fast durchdrehen lässt.
Denen sagt Springsteen eindrucksvoll, das ist als Zitat von ihm auch so verbürgt: Alle Versuche, die Aufnahmen im Studio anzureichern und so zu verbessern, würden sie nur verschlechtern. (Ob das stimmt, darüber können sich Aficionados anhand einer parallel zum Film veröffentlichten „Expanded Edition“ von „Nebraska“ ein Bild machen.) Springsteens Manager und Freund Jon Landau (Jeremy Strong) ist stellenweise die Verzweiflung über die vermeintliche Marktuntauglichkeit der Musik anzusehen, und als er dem Columbia-Chef Al Teller (David Krumholtz) das Ergebnis vorspielt, fragt der: „You wanna make a fuckin’ folk record?“ Landau ist es dann aber, der Historisches entgegnet: „In this office we believe in Bruce Springsteen.“
Das war kein Fehler, denn trotz allem gelangte das so zustande gekommene Album „Nebraska“ 1982 auf Platz 3 der Charts und wurde zum Vorbild so mancher minimalistischer „Lo-Fi“-Produktion, nicht nur im späteren Independent Rock. Zudem hätten die Bosse des Bosses auch deshalb gelassen bleiben können, weil er, es wird hier ebenfalls hübsch in Szene gesetzt, im Studio ja längst auch Songs für das bombastische Rock-Album „Born in the U.S.A.“ eingespielt hatte, das dann 1984 erschien. Er musste vorher nur noch ein bisschen Motorrad fahren in Kalifornien, noch mehr Schlafzimmermusik aufnehmen und seine Dämonen bekämpfen, wie die Amerikaner gern sagen. Auch wenn er dafür Hilfe brauchte, ist die Botschaft des Films klar: Er hat sich durchgesetzt gegen alle Widerstände.
