Spanien steht vor dem Ausstieg aus dem Atomausstieg. Nach dem Willen seiner Betreiber wird das Atomkraftwerk von Almaraz weiterlaufen, wo der erste Reaktor 2027 seinen Betrieb einstellen soll. Bis 2035 sollen in Spanien alle sieben Atomanlagen abgeschaltet sein, die momentan noch gut 20 Prozent des Stroms produzieren. Nun wollen der Mehrheitseigentümer Iberdrola und seine beiden Partner Endesa und Naturgy formell beantragen, die Anlage mindestens bis 2030 weiterlaufen zu lassen. Das Kraftwerk sei in einem „optimalen technischen Zustand“, und die Kernkraft trage zu einem „Schutzschild gegen Blackouts“ bei, heißt es bei Iberdrola.
Der große Stromausfall im April auf der Iberischen Halbinsel hat die spanische Atomdebatte wiederbelebt. Forderungen wurden laut, die Atomenergie als Reserve beizubehalten und nicht komplett auf alternative Energiequellen zu setzen, die stark vom Wetter abhängig sind. Der Druck auf die Regierung ist zuletzt gewachsen.
Der Netzbetreiber Red Eléctrica wies darauf hin, dass es in den vergangenen Wochen „starke Spannungsschwankungen im nationalen Stromnetz gegeben habe, die sich auf die Versorgungssicherheit auswirken können“. Es seien Sofortmaßnahmen nötig, um die Stabilität der Stromversorgung zu gewährleisten. Seit dem Blackout am 28. April, der mehr als 50 Millionen Menschen betraf, laufen in Spanien mehr Atom-, Gas- und Wasserkraftwerke am Netz als zuvor. Mit ihren Turbinen können sie Überspannungen besser ausgleichen als Solar- oder Windkraftwerke.
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Die Linksregierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez hatte 2019 beschlossen, die spanischen Reaktoren abzuschalten – Vorbild dafür war der Atomausstieg von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in Deutschland. In der EU weigerte sich Spanien, Atomenergie als „nachhaltig“ anzuerkennen. Zuletzt hatte Belgien die Laufzeiten bestehender Reaktoren verlängert und die Planung neuer Kernkraftwerke in Aussicht gestellt.
In der strukturschwachen Extremadura-Region, wo rund 4000 Arbeitsplätze von dem Kraftwerk abhängen, kämpft schon länger eine große Bürgerinitiative für Almaraz. Vor der spanischen Parlamentswahl 2023 kündigten die konservative Volkspartei (PP) und die rechtspopulistische Vox-Partei an, den Ausstieg aus der aus ihrer Sicht „grünen“ Atomenergie rückgängig zu machen. Die von der PP geführten Regionalregierungen in der Extremadura und in Valencia beschlossen bereits Steuersenkungen für die Betreiber. Auch die katalanischen Separatisten-Parteien Junts und ERC, auf deren Unterstützung Sánchez’ Minderheitsregierung angewiesen ist, sind für längere Laufzeiten. In der auf ihre Eigenständigkeit bedachten wirtschaftsstarken Region Katalonien sorgen drei Reaktoren für 60 Prozent des Stroms.
Mit Blick auf Almaraz, woher sieben Prozent des spanischen Stroms kommen, versicherte der Betreiber Iberdrola nun, dass die spanischen Atomkraftwerke zu „den besten der Welt zählen, was eine kontinuierliche und zuverlässige Stromproduktion gewährleistet“. In den USA und Frankreich stünden ähnliche Anlagen, deren Laufzeit auf 60 oder sogar 80 Jahre verlängert wurde. Eine Stilllegung würde „einen signifikanten Anstieg der Stromkosten“ in Spanien verursachen. In dem südeuropäischen Land investieren Amazon, Microsoft, Meta und Google für die Weiterentwicklung Künstlicher Intelligenz viele Milliarden Euro in Dutzende Daten- und Rechenzentren mit einem immensen Strombedarf.
Die Regierung schließt längere Laufzeiten nicht mehr aus. Das zuständige Ministerium wartet auf den formellen Antrag und verlangt umfangreiche Garantien: Die Betreiber müssten die Versorgungssicherheit gewährleisten sowie Sicherheitsrisiken und Mehrkosten für die Verbraucher ausschließen. Die Zeit drängt: Das entsprechende Antragsverfahren muss bis Anfang November abgeschlossen sein.
