Ausstellung von Ulrike Ottinger in München: Zeitreise in die Ukraine

In der eindrucksvollen Ausstellung „EuropaZelt“ in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste zeigt Ulrike Ottinger ein Südosteuropa im Umbruch.

Zeitreise in die Ukraine

Es war beim Abendessen mit Freunden. „Einige hatten in Moskau studiert, sprachen sehr gut Russisch, auch einige der Balkansprachen. Und dann haben wir beschlossen, wir machen uns einfach auf den Weg. Ich habe einen VW-Bus gemietet und wir sind rausgefahren zu sechst.“

So erinnert sich Ulrike Ottinger heute an den Beginn der mehrwöchigen Reise, die im Jahr 2000 von Berlin aus über Polen, Tschechien und die Slowakische Republik, über Rumänien und Bulgarien ans Schwarze Meer, von dort aus per Frachtschiff nach Odessa und schließlich an der Küste entlang nach Istanbul führte. Weil Ottinger Filmemacherin ist, hatte sie damals eine Videokamera dabei, die sie sich von Elfi Mikesch geliehen hatte. Außerdem schrieben sie und zwei Freundinnen unterwegs Reisereportagen für die taz.

Einige dieser Texte kann man heute noch auf der Website ulrikeottinger.com nachlesen, und zwar unter „Filme“ und „Südostpassage“. Sie gehören dort zum ausführlichen Info-Material zum dreiteiligen filmischen Essay „Südostpassage“ aus dem Jahr 2002, der aktuell in der Ausstellung „EuropaZelt“ in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste in München zu sehen ist.

Dafür braucht es Zeit. Denn „Südostpassage“ dauert sechs Stunden. Das entspricht in der Ausstellung genau der Öffnungszeit. Das mag auch ein Grund sein, warum der Film im Fernsehen, aber auch im Kino selten läuft. Dabei ist er hochaktuell, vor allem sein zweiter Teil über Odessa, wo Ottinger und ihre Freunde damals mehrere Tage verbrachten.

Eine wichtige Rolle im Film spielt der Hauptmarkt der ukrainischen Hafenstadt, die wir heute vor allem aus den Nachrichten über russische Angriffe kennen. Und dort wiederum stehen die Marktfrauen, die Fisch-, Fleisch- oder Plastiktütenverkäuferinnen im Zentrum. Diese sieht man in der Ausstellung auch auf Fotos, von denen Ottinger viele damals durch die Windschutzscheibe des VW-Busses gemacht hat. Was manche Unschärfe erklärt. Auch vom Container- oder Sieben-Kilometer-Markt in Odessa gibt es eindringliche Schwarzweiß-Bilder, die aber 2003 entstanden. Damals war die heute 83-Jährige noch einmal in der Stadt, um dort den Spielfilm „Zwölf Stühle“ zu drehen.

Der Titel „EuropaZelt“ geht auf die gleichnamige, ebenfalls ausgestellte Installation aus dem Jahr 1987 zurück. Anlass für deren Entstehung war die damalige Ausrufung Amsterdams zur „Kulturstadt Europas“. Mit den auf dem Zelt dargestellten, auf Giorgio de Chirico und Max Beckmann anspielenden oder auch drastisch die Schlachtung eines Stiers zeigenden Motiven hat Ottinger den antiken Mythos der Entführung der Europa neu interpretiert. Was auch noch ausgestellt ist: Drehbücher zu Filmen wie „Südostpassage“, „Zwölf Stühle“ oder „Bildnis einer Trinkerin“. Wobei diese faszinierenden Konglomerate eher eine Mischung aus Materialsammlung, Arbeits- und Notizbüchern sind.

Da zeigt sich, dass Ottinger als Regisseurin „immer sehr involviert in das gesamte Aussehen des Films ist, also auch in Kostüm und Ausstattung“, wie sie zwei Tage vor der Eröffnung erklärte. Aber auch, dass sie als Bildende Künstlerin, die sie auch schon immer war und ist, sehr visuell denkt. Das sei auch einer der Gründe, so der für Film- und Medienkunst zuständige Direktor Philip Gröning, warum die Akademie Ottinger eingeladen habe. „Weil sie eine der frühesten Grenzgängerinnen zwischen Film und Kunst war.“ Eine Besonderheit, die für sie selbst immer „selbstverständlich“ war. Wobei sie aber eingestand, dass diese heute oft so gelobte „Interdisziplinarität“ viele „am Anfang nicht so verstanden“.

Was Ottinger, die im vergangenen Jahr den Ehrenpreis des Deutschen Dokumentarfilmpreises für ihr Lebenswerk erhalten hat, über ihr Werk ebenfalls sagt: „Ich arbeite sehr gern an Orten, die existieren. Und die selbst eine interessante Historie haben.“ Und dass das in diesem Fall vor allem die Ukraine ist, das ist natürlich auch ein Grund, warum es diese Ausstellung gibt.

Im offiziellen Text dazu beschreibt sie diese als ein Land, das mit „dem Wegbrechen alter Wirtschaftsverbindungen seit 1989 und dem russischen Eroberungskrieg seit 2022“ kämpft. Und in dem sie „ein unbändiges Streben der Menschen nach einem guten Leben“ wahrgenommen hat. Diesen Menschen und vor allem den Frauen in der Ukraine hat Ottinger die Ausstellung gewidmet.

Ihr heutiger Bezug zum Land? „Ich hab viele Verbindungen. Ich kenne natürlich vor allen Dingen Ukrainer, Ukrainerinnen, die jetzt hier sind. Und ich verfolge alles sehr nah und mit großem Entsetzen.“ Warum sie sich damals für die Ukraine, für Südosteuropa interessiert hat? Nun, das konnte zumindest in den deutschen Redaktionen, erzählt sie, damals kaum jemand verstehen. Und genau dieses Desinteresse, das in den vergangenen Jahren auch der Osteuropa-Experte und Friedenspreisträger Karl Schlögel vielfach beklagt hat, war der Grund, warum sie diese „Reise zu den neuen weißen Flecken auf der Landkarte Europas“ gemacht hat.

So lautet der Untertitel von „Südostpassage“, neben dem mit „Bildnis einer Trinkerin“ (30.10.), „Freak Orlando“ (12.11.) und „Dorian Gray im Spiegel der Boulevardpresse“ (20.11.) noch weitere Filme von Ottinger in der Ausstellung gezeigt werden. Einen neuen „Ottinger“ gibt es übrigens auch: „Die Blutgräfin“, mit Isabelle Huppert und Birgit Minichmayr in den Hauptrollen. Die Premiere des vorwiegend in Wien gedrehten Vampirfilms, der mit der „Blutgräfin“ Elisabeth Báthory diesmal historisch nach Ungarn führt, soll auf der nächsten Berlinale sein.

EuropaZelt. Eine Ausstellung von Ulrike Ottinger, bis 22. November, Bayerische Akademie der Schönen Künste, Max-Joseph-Platz 3, www.badsk.de

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