Froh sind die Führungsleute im Karl-Liebknecht-Haus nicht über das, was sich zuletzt in Neukölln abgespielt hat. Die dortige Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung hatte einer Solidaritäts-Adresse für das bedrängte jüdische Lokal Bajszel die Zustimmung verweigert. Fraktionschef Ahmed Abed war zudem negativ aufgefallen, weil er den Bürgermeister von Neuköllns israelischer Partnerstadt Bat Yam, den Likud-Politiker Tzvika Brot, als „Völkermörder“ beschimpfte.
Landeschefin Kerstin Wolter hebt in den Diskussionen um Gaza und Israel wie andere führende Linke und auch die Spitzenkandidatin Elif Eralp stets ihre klare Haltung gegen jeden Antisemitismus hervor. Für die emotionalen Ausbrüche des gebürtigen Palästinensers hat Wolter noch ein gewisses Verständnis, obwohl sie die Wortwahl ablehnt. Abed habe Familie in Gaza verloren. Aber die bewusste Entscheidung dagegen, sich hinter bedrohte Kneipenbetreiber zu stellen, ist etwas anderes: „Dass die Neuköllner BVV-Fraktion die Solidaritätsresolution mit dem Bajszel nicht unterstützt hat, war ein Fehler“, sagte Wolter. Mittel, die Beteiligten zu sanktionieren, gibt es in der auf ihre Basisdemokratie stolze Partei aber kaum.
Linke will eine gemeinsame Position zu Gaza und Israel finden
Der Fall wirft ein Schlaglicht auf eine Frage, die im Wahlkampf vonseiten der anderen Parteien, allen voran der CDU, regelmäßig erhoben werden dürfte: Wie hält es die Linke mit der klaren Abgrenzung zu antisemitischen Positionen?

Die Landesvorsitzende arbeitet mit Vertretern der Bezirksverbände an einem Leitfaden für den Umgang mit potenziellen Bündnispartnern, die womöglich der Hamas nahestehen, das Existenzrecht Israels in Frage stellen und Jüdinnen und Juden in Sippenhaft nehmen für die Handlungen der Regierung Netanjahu. Die Handreichung soll noch dieses Jahr fertig werden. Gleichwohl nimmt die Linke aber für sich in Anspruch, pro-palästinensischen und israel-kritischen Positionen mehr Raum einzuräumen als die politische Konkurrenz. Schon länger beklagt die Linke, dass das Leid der Palästinenser zu wenig wahrgenommen und berücksichtigt werde. „Die Linke ist die einzige Partei in Berlin, die diese blinden Flecken in der Debatte um Gaza und Israel überhaupt anspricht,“ sagte Wolter.
In der Linken soll man von Genozid in Gaza sprechen dürfen – oder auch nicht
In einem Antrag für den Landesparteitag am 15. November haben die Landeschefs Wolter und Maximilian Schirmer gemeinsam mit Landesgeschäftsführer Bjoern Tielebein, Abgeordnetenhaus-Fraktionschef Tobias Schulze und weiteren Genossen versucht, einen gemeinsamen Bogen zu schlagen, unter dem sich die ganze Partei versammeln kann. Unter den Antragstellern ist auch der langjährige Neuköllner Linken-Vorsitzende und aktuelle Landeschatzmeister Ruben Lehnert.
Im Text wird der Tag der Freilassung der israelischen Geiseln als „Tag der Freude“, der Hamas-Angriff auf Israel als „historische Zäsur“ gewertet. Größeren Raum als eine Verurteilung der Hamas nimmt der Blick auf Gaza ein. Dabei lässt die Linken-Spitze Raum für verschiedene Einschätzungen des Krieges. Es sei dabei zu „schwersten Kriegsverbrechen“ und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ gekommen. Wer das so sieht, darf das Vorgehen Israels als Genozid, also Völkermord, bezeichnen. Das soll aber nicht Parteilinie sein. Viele Mitglieder lehnten diese Bezeichnung ab mit Verweis auf die deutsche Geschichte und die anhängigen Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof zu dieser Frage.
Linke fordert Reparationen auch aus Deutschland für Gazas Wiederaufbau
Die Linke fordert, dass sich „die Hauptverantwortlichen“ vor Gericht verantworten sollten. Israel müsse die „illegale Landnahme“ im Westjordanland einstellen. Israel, die USA und auch Deutschland sollten Reparationen für die Zerstörungen in Gaza zahlen.
In Berlin dürften Palästinenser nicht unter „Generalverdacht“ gestellt werden, ihr Recht auf Meinungsfreiheit müsse gewahrt bleiben. Es müsse Platz sein für Kritik an der israelischen Regierungspolitik, ohne dass diese gleich mit Antisemitismus gleichgesetzt werde. Dann folgt eine Passage, die parteiintern heikel sein dürfte: „Ebenso muss es möglich sein, öffentlich über anti-emanzipatorische Tendenzen in der Palästina-Solidarität zu sprechen, ohne dass dies als antimuslimischer Rassismus gewertet wird.“
In Berlin brauche es einen neuen, respektvollen Umgang mit dem Konflikt, der tiefe Gräben in der Stadtgesellschaft hinterlassen habe. Der Senat solle in den Bezirken „zivilgesellschaftliche Initiativen und Partnerschaften der Solidarität“ fördern.
Linke will die Bezirke über die Kandidaten zum Abgeordnetenhaus entscheiden lassen
Die Frage wird sein, in welcher Breite sich der Landesparteitag in dreieinhalb Wochen hinter diesem weit gefassten Antrag versammelt. Das Abstimmungsergebnis dazu wird ein Indikator sein, wie stark Israel-Hass und Antisemitismus wirklich in der Berliner Linken vertreten ist. Wegen solcher Tendenzen waren der langjährige Landesvorsitzende und Kultursenator Klaus Lederer mit weiteren Spitzenleuten vor einem Jahr ausgetreten.
Wenig Resonanz wird nach Einschätzung der Parteispitze ein anderer Grundsatzkonflikt in der Linken finden, nämlich die Frage, ob die Linke eine Regierungsbeteiligung anstreben sollte, wie das unter anderem Spitzenkandidatin Eralp klar formuliert: „Die Gruppe derer, die das Regieren generell in Frage stellen, ist kleiner geworden und deshalb auch lauter“, sagte Landesgeschäftsführer Tielebein. Ein weiterer Streit ist entschieden, und zwar gegen die Landeschefin Wolter. Die Linke wird bei den Wahlen in einem Jahr nicht wie bisher mit einer Landesliste antreten. Wie CDU und SPD werden die Kandidaten nur in den einzelnen Bezirken nominiert.
