Chinas Superbotschaft: Londons Megaprojekt mit Risiko

Das Gelände war im 14. Jahrhundert ein Pestfriedhof, später Standort eines Klosters und dann Versorgungsdepot der Royal Navy, bevor es schließlich zum Sitz der Royal Mint wurde, der staatlichen Münzprägestätte des Vereinigten Königreichs. Doch nun steht dem „Royal Mint Court“, nur wenige Schritte vom Tower of London entfernt, womöglich seine tiefgreifendste Verwandlung bevor. Der Komplex mit seinen historischen Bauten soll Chinas Auslandsvertretung beherbergen. Britische Medien sprechen bereits von einer möglichen „Superbotschaft“. Noch nicht genehmigt, sorgt das Projekt im Zentrum der Stadt schon jetzt für lauter werdende Kritik. Wird die Residenz zu einem Ort der Spionage und Überwachung?

China hatte das Gelände 2018 für rund 255 Millionen Pfund (mehr als 290 Millionen Euro) erworben. Seitdem verfolgt Peking das Ziel, auf dem rund 20.000 Quadratmeter großen Areal im Herzen der britischen Metropole eine der größten Botschaften Europas zu errichten. Dabei sollen Teile des historischen Ensembles aus dem 19. Jahrhundert restauriert werden und als repräsentatives Hauptgebäude dienen. Zusätzlich sind Erweiterungsbauten geplant, wie vorläufige Pläne der Vertretung zeigen.

Einschüchterung von Regimegegnern?

Doch schon früh regte sich Widerstand. Denn der Standort grenzt unmittelbar an die Regierungs- und Finanzviertel der Hauptstadt des Landes. Sicherheitsexperten warnen überdies vor der Nähe zu Kommunikations- und Datenzentren als potenziellem Einfallstor für nachrichtendienstliche Aktivitäten. Auch aus der chinesischen Diaspora in London kommt Kritik: Aktivisten befürchten, die Botschaft könne zur Einschüchterung von Regimegegnern im Exil genutzt werden. Befürworter des Projekts argumentieren dagegen, dass der Bau zur Sanierung denkmalgeschützter Substanz beitragen könne.

Auf lokaler Ebene erhielt das Projekt keine Unterstützung: Der Londoner Bezirk Tower Hamlets lehnte den Bauantrag im Jahr 2022 und erneut 2024 ab – unter anderem wegen Sicherheitsbedenken und Bürgerprotesten. Jetzt entscheidet die Zentralregierung über den Komplex. Diese erwartet vorher jedoch den vollständigen und ungeschwärzten Zugang zu Chinas Bauplänen für die neue Mega-Botschaft. Eigentlich sollte am 21. Oktober ein Beschluss fallen, doch nach aktuellen Berichten ist eine weitere Verzögerung möglich.

Regierung steckt in einem Dilemma

Die Pläne zur „Superbotschaft“ der Volksrepublik zeigen ein Dilemma auf: Eine Ablehnung des Projekts könnte die Beziehungen zu Peking belasten und womöglich Folgen für die wirtschaftliche Zusammenarbeit nach sich ziehen. Eine Zustimmung hingegen könnte unter Umständen nationale Interessen und die Sicherheit Großbritanniens gefährden.

Zusätzliche Brisanz erhält die Debatte aktuell durch einen geplatzten Spionageprozess im Vereinigten Königreich. Im September stellte die britische Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen Christopher Cash, einen früheren Parlamentsmitarbeiter und einstigen Direktor der China Research Group – einer parteiinternen Gruppe konservativer Abgeordneter – sowie den Lehrer Christopher Berry unvermittelt ein. Ihnen wurde Spionage für China vorgeworfen, was beide bestritten. Nach Angaben der Anklage scheiterte das Verfahren unter anderem daran, dass für die Jahre 2021 bis 2023 keine formale Einstufung der Volksrepublik als nationale Sicherheitsbedrohung möglich war – wegen mangelnder Beweise.

Kritiker werfen der Labour-Regierung vor, diese möglicherweise vorenthalten zu haben, um die diplomatischen Beziehungen zu Peking nicht zu belasten. Die Sozialdemokraten weisen den Vorwurf jedoch zurück und betonen, die Entscheidung habe allein bei der unabhängigen Strafverfolgungsbehörde gelegen. Ferner erinnern sie daran, dass sie zum Zeitpunkt der mutmaßlichen Taten noch nicht an der Regierung waren.

Warnung vom MI5

Auch dieser Fall zeigt: Für Großbritannien ist der Umgang mit China ein Drahtseilakt. Einerseits sind chinesische Investitionen und Handelsbeziehungen im Finanz- und Technologiebereich vor dem Hintergrund der angespannten wirtschaftlichen Lage auf der Insel und des äußerst engen finanziellen Spielraums der Labour-Regierung wichtig. Andererseits mahnen Sicherheitsexperten seit Jahren zur Vorsicht: vor Ausspähung, digitaler Einflussnahme und wachsender Abhängigkeit bei strategischer Infrastruktur.

Als Reaktion wurden in „Whitehall“, Großbritanniens Regierungsapparat, etwa strengere Sicherheitschecks für Beschäftigte eingeführt. Erst diese Woche mahnte der Inlandsgeheimdienst MI5 Politiker und ihre Mitarbeiter, auf Spione zu achten, die versuchen könnten, etwa durch Erpressung und den Aufbau langfristiger Beziehungen oder über Spenden Einfluss zu gewinnen. „Wenn fremde Staaten wichtige britische Informationen stehlen oder unsere demokratischen Prozesse manipulieren, dann gefährden sie nicht nur kurzfristig unsere Sicherheit, sondern untergraben die Grundlagen unserer Souveränität“, sagte Ken McCallum, MI5-Generaldirektor.

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