Die vergleichsweise neuen mRNA-Impfstoffe, die vor allem während der Coronapandemie große Bekanntheit erlangten, werden inzwischen auch als potenzielle Krebstherapie erforscht. Eine klinische Anwendung außerhalb von Studien gibt es jedoch noch nicht. Umso interessanter sind daher die Ergebnisse einer neuen Forschungsarbeit. Diese soll hervorgebracht haben, dass die eigentlich gegen das Coronavirus eingesetzte Covid-Impfung das Immunsystem offenbar so stimuliert, dass es Krebszellen besser bekämpfen kann. Saboerklärt die Studienerkenntnisse.
SARS-CoV-2-mRNA-Impfungen laut Studie wirksam gegen Krebs
Als Heilmittel herbeigesehnt, dann wegen hoher Nachfrage zunächst knapp, später von größeren Teilen der Bevölkerung kritisch und inzwischen wieder differenzierter bewertet: die Covid-Impfung. Während mögliche Impfschäden heute ein eigenes Forschungsfeld darstellen, gilt gleichzeitig als gesichert, dass die weltweite Impfoffensive zwischen 2020 und 2024 Schätzungen zufolge rund 2,5 Millionen Todesfälle verhindern konnte.1,2 Nun ist das zwischenzeitlich umstrittene Mittel in einem anderen Zusammenhang in den Fokus wissenschaftlicher Betrachtung gerückt. Aktuell betrachten mehrere klinische Studien, ob und gegebenenfalls wie die mRNA-Technologie dazu beitragen kann, das Immunsystem gezielt gegen Tumoren zu aktivieren. Doch was ist mit dem, was wir bereits haben? Forscher verschiedener US-amerikanischer Einrichtungen haben genauer untersucht, ob die verfügbaren SARS-CoV-2-mRNA-Impfungen eine entsprechende Reaktion auslösen können.3 Und dies scheint tatsächlich der Fall zu sein.
Neben der Veröffentlichung in der Fachpresse präsentierten die Forscher ihre Ergebnisse in einer allgemein verständlichen Zusammenfassung auf der unabhängigen Online-Publikation „The Conversation“. Wie dort nachzulesen ist, stieß das Team um Kinderonkologen Elias Sayour von der University of Florida Health bereits 2016 bei der Entwicklung von mRNA-Impfstoffen für Hirntumorpatienten auf einen überraschenden Effekt. Die Mittel aktivierten das Immunsystem nicht nur gegen gezielte Antigene, sondern „trainierten“ es auch so, dass es Tumore bekämpfen konnte – selbst wenn die Impfstoff-mRNA gar nichts mit Krebs zu tun hatte, also nicht speziell für die Krebsbekämpfung entwickelt worden war. Dies veranlasste die Forscher zu ihrer Studie.
Details der mehrteiligen Untersuchung
Zunächst werteten sie die klinischen Daten von Patienten des MD Anderson Cancer Centers in Houston (USA) aus. Die Betroffenen hatten fortgeschrittenen nicht-kleinzelligen Lungenkrebs oder Melanom (= eine Form von Hautkrebs). Sie erhielten eine Behandlung mit sogenannten Immun-Checkpoint-Inhibitoren (ICIs), welche das Immunsystem gezielt gegen Tumorzellen aktivieren sollen. Innerhalb dieser Kohorten verglichen sie Patienten, die innerhalb von 100 Tagen nach Beginn der Immuntherapie eine Impfung gegen SARS-CoV-2 erhalten hatten, mit nicht Geimpften. Dabei berücksichtigten sie zahlreiche Einflussfaktoren wie Alter, Geschlecht, Tumorart, genetische Veränderungen, vorherige Therapien, begleitende Medikamente sowie Überlebens- und Krankheitsverlauf. Um Verzerrungen zu minimieren, setzten die Forscher statistische Verfahren wie Kaplan-Meier-Kurven, multivariate Analysen und Propensity-Score-Matching ein. Ergänzend untersuchten sie eine weitere Gruppe mit unterschiedlichen Tumorarten, um zu prüfen, wie sich die PD-L1-Expression vor und nach der Impfung veränderte.
Tierexperimente machten Mechanismen deutlich
Um besser zu verstehen, wie mRNA-Impfstoffe das Immunsystem im Kampf gegen Krebs beeinflussen, führten die Forscher zusätzlich Tierexperimente durch. Sie stellten dafür ein mRNA-Molekül her, das nach dem gleichen Prinzip wie die Covid-19-Impfstoffe funktioniert: Die mRNA enthält die Bauanleitung für das Spike-Protein von SARS-CoV-2 und wird in winzige Fettbläschen, sogenannte Lipid-Nanopartikel, verpackt, damit sie sicher in die Zellen gelangt. Die Forscher verwendeten Mäuse mit als „kalt“ geltenden Lungen- und Hauttumoren. Das heißt, dass diese normalerweise nur schwach auf Immun-Checkpoint-Inhibitoren (ICIs) ansprechen.
Sie teilten die Tiere in vier Gruppen ein:
- unbehandelt Mäuse
- solche, die nur ICI erhielten,
- Mäuse, die das mRNA-Konstrukt erhielten und
- solche mit einer Kombinationsbehandlung aus beiden.
Die Forscher verfolgten, wie die Tumore wuchsen, ob sich Metastasen bildeten und wie lange die Tiere überlebten. Gleichzeitig analysierten sie, wie die Impfung das Immunsystem aktiviert. Dabei setzten bestimmte Abwehrstoffe, Immunzellen und Signalwege Tumorzellen unter Druck, sodass das Immunsystem die Tumore besser erkennen und bekämpfen konnte. Durch gezieltes Blockieren einzelner Signalwege, etwa von Interferon oder IL‑1, identifizierten die Forschenden schließlich die Mechanismen, die für diese Wirkung verantwortlich sind.
Covid-Impfung verlängerte Leben von Krebspatienten
Das Team stellte fest, dass die Covid-Impfung positive Effekte auf den Therapieerfolg von Krebspatienten hatte, die mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren (ICI) behandelt werden. Besonders deutlich zeigte sich dies bei Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkrebs (NSCLC). Wer von ihnen innerhalb von 100 Tagen nach Beginn der ICI-Behandlung geimpft worden war, lebte im Median 37,3 Monate – deutlich länger als die Ungeimpften also, deren mittlere Überlebenszeit bei 20,6 Monaten lag. Man könnte sagen, das Sterberisiko war durch die Doppelbehandlung in etwa halbiert. Ähnliche Verbesserungen beobachteten die Forscher bei Menschen mit Melanom und ebenso in einer tumorübergreifenden Kohorte. Dort zeigte sich ebenfalls, dass eine Impfung kurz vor oder zu Beginn der Immuntherapie mit einem besseren Überleben verbunden war.
In der allgemein verständlichen Zusammenfassung ihres Papers vergleichen die Forscher die Wirkung der Covid-Impfung bei Krebs mit einer Art „Alarm“ für das Immunsystem. Das Vakzin sende demnach ein Signal, das die Abwehrkräfte aktiviere, Tumorzellen zu erkennen und gezielt zu zerstören. Gleichzeitig überwinden die Immunzellen die Fähigkeit des Krebses, sich vor der Abwehr zu verstecken.
Als besonders interessant bezeichnen die Forscher den Effekt auf als „kalt“ geltende Tumoren, die also normalerweise kaum auf Immun-Checkpoint-Inhibitoren (ICIs) ansprechen. Wenn hiervon betroffene Patienten die Covid-Impfung sowie eine Immuntherapie erhielten, verbesserten sich ihre Überlebenschancen deutlich. Sie stiegen demnach fast auf das Niveau von Tumoren an, die von Anfang an gut sichtbar für das Immunsystem waren.
Die Kohorte mit gesunden Menschen bestätigte den aktivierenden Effekt der Covid-Impfung auf das Immunsystem. Nach der Impfung schüttete der Körper zahlreiche Abwehrstoffe aus. Gleichzeitig zeigten verschiedene Immunzellen – darunter T-Zellen, natürliche Killerzellen und myeloide Zellen – deutliche Anzeichen von Aktivierung.
Mögliche Bedeutung der Ergebnisse
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass mRNA-Impfstoffe – solche gegen Covid, die keine spezielle Informationen über Tumorzellen enthalten – das Immunsystem möglicherweise so beeinflussen können, dass Krebs-Immuntherapien besser wirken. Damit eröffnen sich neue Möglichkeiten für eine Art Standardtherapie. Auch liefern die Beobachtungen potenziell wertvolles Wissen um die Bedeutung des Zeitpunkts der Impfung. Sie deuten darauf hin, dass eine Impfung kurz vor oder zu Beginn der Immuntherapie besonders vorteilhaft sein könnte. Da die verwendeten Impfstoffe bereits zugelassen und weitverbreitet sind, könnten solche Strategien – falls sie in weiteren Studien bestätigt werden – relativ schnell in die klinische Praxis übernommen werden.
Die Studienautoren erklären weiter, dass den Untersuchungsergebnissen zufolge mRNA-Impfstoffe dem Immunsystem den benötigten Anstoß dazu geben könnten, aus „kalten“ Tumoren „heiße“ zu machen. Sollten sich die Beobachtungen in weiterführender Forschung bestätigen, dann hoffen sie, „dass diese weitverbreitete, kostengünstige Intervention die Vorteile der Immuntherapie auf Millionen von Patienten ausweiten könnte, die sonst nicht von dieser Therapie profitieren würden“.
Machen Sie mit bei unserer SaboUmfrage!
Einschränkungen
Doch es ist auch auf Einschränkungen hinzuweisen. Unter anderem stammen die klinischen Daten aus rückblickenden Beobachtungsstudien. Verschiedene Faktoren (z. B. der generelle Gesundheitszustand, der Zeitpunkt der Behandlung und der Zugang zu medizinischer Versorgung) könnten die Ergebnisse beeinflusst haben. Die Patientengruppen waren zudem sehr heterogen. Sie waren von unterschiedlichen Krebsarten betroffen und ihre Behandlungsverläufe, die Impfstoffe und Impfzeitpunkte unterschieden sich voneinander. Dies erschwert eine Verallgemeinerung der Ergebnisse. Weiterhin war das gewählte Zeitfenster von 100 Tagen vor oder nach Beginn der Immuntherapie zwar pragmatisch, doch ob kürzere oder längere Intervalle gleich wirksam sein könnten, bleibt unklar.
Viele mechanistische Erkenntnisse stammen aus Tierexperimenten. Zwar existieren Hinweise auf ähnliche Prozesse beim Menschen. Diese wurden jedoch nicht so umfassend untersucht – vor allem nicht direkt im Tumorgewebe von geimpften Krebspatienten. Große Studien zur Sicherheit der Kombination aus Impfung und Immuntherapie sowie Langzeitdaten fehlen bislang. Schließlich stammen viele Daten aus einem einzigen Zentrum während der Covid-19-Pandemie. Veränderungen im Gesundheitssystem, Infektionen, das Impfverhalten oder unvollständig dokumentierte Impfstofftypen, Dosierungen oder Booster könnten die Ergebnisse zusätzlich beeinflusst haben.
- Iwasaki, A., Bhattacharjee, B., Lu, P. et al. (2025). Immunological and Antigenic Signatures Associated with Chronic Illnesses after COVID-19 Vaccination. BMJ Yale. ↩︎
-
Ioannidis, J.P.A., Pezzullo, A.M., Cristiano, A., et. al. (2025). Global Estimates of Lives and Life-Years Saved by COVID-19 Vaccination During 2020-2024. JAMA Health Forum. ↩︎
↩︎
- Grippin, A., Marconi, C., Copling, S. et al. (2025), SARS-CoV-2 mRNA vaccines sensitize tumours to immune checkpoint blockade, Nature ↩︎
