Das Comeback der Kohle

Klimakrise

Das Comeback der Kohle

Trotz Klimaversprechen und Boom der Erneuerbaren investieren Unternehmen laut NGO weltweit in Kohleminen und Chemieanlagen – und Banken finanzieren mit. Von Tine Heni.

In der ersten Hälfte des Jahres 2025 wurde weltweit mehr Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt als aus Kohle. Das war die gute Nachricht der letzten Tage. Die schlechte lautet: Die Menge an geförderter Kohle hat trotzdem wieder zugenommen.

Im Jahr 2024 wurden weltweit Kohleförderprojekte in einem Umfang von fast 2,8 Milliarden Tonnen neu geplant. Im Vorjahr waren es noch 2,6 Milliarden Tonnen gewesen. Insgesamt 354 Unternehmen in 35 Ländern schließen dazu neue Kohleminen auf oder erweitern bestehende.

Das zeigt die jetzt veröffentlichte „Global Coal Exit List 2025“, die seit 2017 jedes Jahr wenige Wochen vor dem Weltklimagipfel erscheint. In dieser öffentlichen Datenbank berichtet der gemeinnützige Verein Urgewald mit 48 weiteren NGOs über die Geschäfte von insgesamt rund 3000 Kohlekonzernen.

„Der Klimawandel beschleunigt sich, die Bemühungen zum Ausstieg aus der Kohleverbrennung jedoch nicht“, fasst Urgewald-Geschäftsführerin Heffa Schücking die neue Liste zusammen. Genau wie in den letzten Jahren förderten auch 2024 China und Indien mit Abstand am meisten Kohle. Das kohlefreundlichste Unternehmen war Coal India: Insgesamt 721 Millionen Tonnen Kohle holte der Konzern im vergangenen Jahr aus der Erde. Zudem sind 90 neue Projekte geplant.

Ein weiterer besorgniserregender Trend, den die neue Coal Exit List aufdeckt, ist der Zuwachs an Kohlechemie in einigen Ländern. In solchen Projekten wird Kohle zuerst in Gas umgewandelt und anschließend zu Chemikalien wie Ammoniak oder Methanol weiterverarbeitet. Insgesamt sind laut den Angaben fast 50 neue Kohlechemieprojekte weltweit geplant. Das Problem dabei: Chemische Verfahren auf Basis von Kohle sind enorm umweltschädlich. Zum einen sind sie ökologisch schlimmer als eine einfache Verbrennung von Kohle. „Die Herstellung von Gas und Chemikalien aus Kohle ist die denkbar schmutzigste Art, sie zu verwerten“, erklärt Heffa Schücking. „Hierbei werden deutlich mehr Treibhausgase freigesetzt als bei der Verbrennung von Kohle in einem Kraftwerk.“ Zum anderen ist die chemische Produktion auf Kohlebasis noch schädlicher für die Umwelt, als es herkömmliche Verfahren in der Branche ohnehin schon sind.

Abhängig vom konkreten Verfahren werden bei kohlebasierten chemischen Prozessen 30 bis 80 Prozent mehr Treibhausgase ausgestoßen, wenn statt Gas Kohle als Rohstoff verwendet wird. Bei der Herstellung von Ammoniak können sich die CO₂-Emissionen sogar verdreifachen. Trotzdem greifen einige Länder – allen voran China, Indien und Indonesien – auf diese Verfahren zurück.

Darüber hinaus sind Kohlechemieverfahren extrem wasserintensiv. Teilweise verbrauchen Projekte zehn Tonnen Wasser für eine Tonne Chemieprodukte.

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Welche Folgen das für Umwelt und Menschen haben kann, erläutert Urgewald am Beispiel des Projekts Ordos des chinesischen Kohlechemiekonzerns Shenhua in der Inneren Mongolei. Die massive Wasserentnahme durch den dort ansässigen Konzern führte zu einem starken Absinken des Grundwasserspiegels in der ohnehin trockenen Region, was die Lebensgrundlagen lokaler Bauern und Hirten zerstörte.

Laut Geschäftsführerin Schücking sind die Gründe für den Kohleboom vielfältig. So habe Indien eine sehr mächtige Kohlelobby. Im derzeit angespannten geopolitischen Klima versuchen zudem viele Länder, sich energetisch unabhängig zu machen. Hat ein Land starke Kohlevorkommen, greift es möglicherweise auf die ineffizienten, aber bekannten Kohle-zu-Gas-Prozesse zurück.

Entgegen den Hoffnungen, die sich mit dem Wachstumstrend der erneuerbaren Energien verbinden, herrschen in der Kohleindustrie kaum Ausstiegsambitionen. Von den knapp 3000 Unternehmen, die Urgewald aufgeführt hat, haben nicht einmal 160 einen konkreten Ausstiegstermin festgelegt. „Zukünftige Generationen werden nicht verstehen, wie das passieren konnte“, kommentiert Heffa Schücking. Und auch die 160 Unternehmen schwanken bei ihrer Entscheidung. So hat nur knapp die Hälfte von ihnen einen konkreten Ausstiegsplan, der mit dem Pariser Klimaabkommen vereinbar ist.

Zudem planen einige der aussteigenden Unternehmen, Kohle durch fossiles Gas oder Biomasse zu ersetzen, was wiederum neue Probleme für Umwelt und Klima verursacht, da auch diese Energiequellen Treibhausgase freisetzen und ökologische Belastungen mit sich bringen. Bemerkenswert ist zudem, dass einige der aussteigenden Unternehmen trotzdem weiter neue Kohlekraftwerke errichten oder Kohlegruben aufschließen. Einige der Unternehmen haben ihre Ausstiegspläne sogar zurückgezogen. „Unsere Daten zeigen, dass die überwiegende Mehrheit der Kohleunternehmen keine konkreten Ausstiegspläne hat. Finanzinstitutionen, die die Klimakrise ernst nehmen, haben nur eine Wahl: Sie müssen ihre Verbindungen zu dieser Branche kappen“, fordert Schücking.

Auf dem Klimagipfel in Glasgow 2021 hatten zwar viele Banken angekündigt, ihre Portfolios von fossilen Geschäften zu befreien, doch nur wenige haben dieses Versprechen tatsächlich gehalten. Laut dem Urgewald-Report „Still Banking on Coal“ haben Geschäftsbanken zwischen Januar 2022 und Dezember 2024 über 385 Milliarden US-Dollar an Unternehmen vergeben, die auf der Global Coal Exit List stehen.

Zudem haben mehrere Finanzinstitutionen ihre Richtlinien zur Beschränkung der Kohlefinanzierung gelockert oder abgeschafft. 2023 hoben etwa die Bank of America und die Bank of Montreal ihre Einschränkungen für die Kreditvergabe an die Kohleindustrie auf.

In Europa schwächte die spanische Bank Santander im Juli dieses Jahres ihre Kohlerichtlinie ab. Die neuen Regeln erlauben es, neue Kunden mit einem Kohle-Umsatzanteil von über 25 Prozent zu finanzieren, ohne dass diese einen glaubwürdigen Plan zum mittelfristigen Zurückfahren ihres Kohlegeschäfts vorlegen müssen.

Allerdings gibt die Finanzbranche ihre Kohlerichtlinien nicht vollständig auf. Abgesehen von einer Handvoll Negativbeispielen sehe man kaum Rückschritte bei den Kohlerichtlinien von Finanzinstitutionen, sagt Yann Louvel vom Thinktank Reclaim Finance. Louvel weiter: „Das ist eine gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist, dass es immer noch viele Finanzinstitutionen gibt, die bislang keinerlei Kohlerichtlinien eingeführt haben. Zehn Jahre nach dem Paris-Abkommen ist das beschämend“.

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