Es ist die Woche von Wettbewerbsfähigkeit und Bürokratieabbau in Brüssel. Grund ist vor allem der an diesem Donnerstag stattfindende EU-Gipfel. Der Bundeskanzler macht schon länger Druck auf die Europäische Kommission und verlangt von Brüssel einen „echten Kulturwandel“. Merz und 18 weitere Staats- und Regierungschefs fordern von der EU-Behörde, überflüssige EU-Gesetze zuerst zu identifizieren und dann ihre Abschaffung vorzuschlagen. Zudem dürfe die Kommission nur sehr begrenzt neue Verordnungen und Richtlinien vorschlagen. Ein Teil dieser Forderungen wird sich sicher in den Schlussfolgerungen des Gipfels wiederfinden, wenn auch nur allgemein und unverbindlich.
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen ist den Forderungen der Staaten in dieser Woche mit mehreren Vorschlägen schon entgegengekommen. Zunächst deutete sie in einem Brief an die Staats- und Regierungschefs zu Beginn der Woche an, dass sie das bisher vorgesehene Regelwerk für den von 2027 an vorgesehenen Handel mit CO2-Emissionsrechten so aufweichen will, dass die Belastungen für die Unternehmen daraus abgeschwächt würden. Dann ließ sie am Dienstag überraschend einen neuen Vorschlag zur Überarbeitung der EU-Entwaldungsverordnung vorlegen, der die betroffene Wirtschaft zumindest teilweise entlastet .
Bürokratie soll für alle Unternehmen um ein Viertel sinken
Der potentiell wichtigste Teil ihrer Entlastungsoffensive ist indes das ebenfalls am Dienstag beschlossene Arbeitsprogramm der EU-Behörde für 2026. Der für „Vereinfachung“ zuständige Kommissar Valdis Dombrovskis sagte, das Ziel bleibe bestehen, bis zum Ende der Amtszeit von der Leyens im Jahr 2029 die bürokratischen Lasten für alle Unternehmen um 25 Prozent und jene für kleine und mittlere Unternehmen um 35 Prozent zu senken. Die Forderung der Mitgliedstaaten, das bestehende Regelwerk auf seinen Nutzen zu prüfen, will die Kommission ohnehin erfüllen. Freilich überwiegen die neuen und schon eingebrachten Gesetzesvorschläge die möglicherweise oder tatsächlich zurückgezogenen Vorhaben unverändert bei weitem. Neue Initiativen plant die Kommission im kommenden Jahr 26, vorgelegt hat sie seit 2024 schon 140. Dem stehen 20 geplante Prüfungen bestehender Gesetze im kommenden Jahr und 25 Rücknahmen von Vorschlägen seit 2024 gegenüber.
Die 19 Staats- und Regierungschefs fordern die EU-Gesetzgeber – also EU-Parlament und Ministerrat – auch auf, bestehende Vereinfachungsvorschläge der Kommission schnellstmöglich endgültig zu verabschieden. Konkret nennen sie die Verschlankung der EU-Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) und der Richtlinie zu den Nachhaltigkeits-Berichtspflichten (CSRD). Dass es damit nicht einfach ist, zeigte sich am Mittwoch in der Abstimmung über die Lieferkettenrichtlinie im Europaparlament in Straßburg.
Abstimmung muss wiederholt werden
Entgegen dem vorangegangenen Votum des federführenden Rechtsausschuss stimmten 318 Abgeordnete gegen den zuvor ausgehandelten Kompromiss zur Entschlackung des Gesetzes, der dem Kommissionsvorschlag im Wesentlichen folgt. 309 Parlamentarier votierten mit Ja, 34 enthielten sich. Über das Gesetz soll nun am 13. November ein zweites Mal abgestimmt werden. Die Kommission hatte vorgeschlagen, dass Unternehmen mit weniger als 1000 Mitarbeitern gar nicht mehr über die Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf Umwelt und Klima berichten müssen. Bisher liegt das Limit bei 250 Mitarbeitern. 80 Prozent der bisher betroffenen Unternehmen fallen damit aus der Berichtspflicht.
Die Mehrheit im Rechtsausschuss wollte über diesen Vorschlag hinausgehen. Sie schlug vor, dass Regelungen zur Lieferkettensorgfaltspflicht künftig nur für Unternehmen mit mehr als 5000 Mitarbeitern gelten. Diese sollten zudem weniger genau prüfen müssen, ob Partnerunternehmen in ihrer Lieferkette die von der EU vorgegebenen umwelt-, sozial- und menschenrechtspolitischen Standards erfüllen. Die Prüfung sollte sich nicht mehr auf die ganze Lieferkette, sondern nur noch auf das jeweils nächste Unternehmen beschränken, ferner sollte sie nicht mehr jährlich, sondern nur noch alle fünf Jahre erfolgen. Kleine und mittlere Unternehmen sollten überdies generell weniger Daten über ihre Geschäftspartner ermitteln müssen.
Angesichts des knappen Abstimmungsergebnisses gilt es als nicht ausgeschlossen, dass das Ausschussvotum am Ende doch noch eine Mehrheit im Plenum erreicht und dann die Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten beginnen können. Sicher ist das aber nicht. Die Grünenabgeordnete Anna Cavazzini sprach von einem „Super-Gau“ für die konservative EVP-Fraktion, deren Mitglied Jörgen Warmborn die Aufweichung des Kommissionsvorschlags im Rechtsausschuss durchgesetzt hatte. Cavazzini appellierte an die EVP, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und das bisher verhandelte Paket wieder aufzuschnüren.
