Die letzte Fahrt vieler alter Schiffe endet unter Volldampf: Noch dieses eine Mal geben die Motoren alles, während sich der Bug bereits an Land schiebt. Kaum ist der stählerne Rumpf an Land zum Stehen gekommen, beginnen Arbeiter damit, das ausgediente Schiff in seine Einzelteile zu zerlegen. Unter mehr als fragwürdigen Bedingungen: Trotz ohrenbetäubenden Lärms tragen nur die wenigsten der Männer einen Gehörschutz. Spezielle Arbeitskleidung? Fehlanzeige. Und das Wasser ist voll von Schadstoffen, schon mit bloßen Augen ist das sichtbar.
Bekannt sind Bilder wie diese aus TV-Dokumentationen über Alang, den weltgrößten Schiffsfriedhof, gelegen im indischen Bundesstaat Gujarat. Vier von zehn Schiffen, die weltweit außer Dienst gestellt werden, enden an den Stränden der westindischen Hafenstadt. Und statistisch gesehen wird auch das Schicksal von fünf der anderen sechs Schrottkähnen in Asien besiegelt: in Bangladesch, Pakistan oder China.
Abwrackwerft am Rande des Wattenmeers
Europa hingegen spielt im Business des globalen Schiffsrecyclings nur eine Nebenrolle. Trotzdem gibt es auch Abwrackwerften in Europa. Und zwar dort, wo man sie aufgrund des schlechten Images kaum erwarten würde – wie etwa am Rande des Wattenmeers. Das sensible Ökosystem in der Nordsee beherbergt mehr als 10.000 Tier- und Pflanzenarten und ist als Unesco-Weltnaturerbe besonders geschützt. In unmittelbarer Nachbarschaft, in Dänemarks fünftgrößter Stadt Esbjerg, ist die Firma von Morten Smedegaard zu finden.

Gegründet wurde das Unternehmen bereits vor mehr als fünf Jahrzehnten von seinem Vater. Die Firma hatte zunächst in der dänischen Küstenstadt keinen leichten Stand: „Früher wollte man uns hier nicht“, sagt der 50-jährige Firmenchef. „Viele Leute haben Ende der 60er-Jahre und Anfang der 70er-Jahre einfach nicht verstanden, was wir hier machen. Inzwischen hat sich das aber geändert.“
Auch, weil er kräftig nachgeholfen hat – mit PR- und Aufklärungsarbeit: Smedegaard erzählt davon, wie er mit einer kleinen Diaschau durch die Sitzungssäle der Stadt tingelte, um Politikern und Einwohnern einen Eindruck davon zu vermitteln, wie das Schiffsrecycling auf dem Werksgelände im Hafen abläuft. „Das kam sehr gut an“, sagt er in fließendem Deutsch, „ich musste den Vortrag immer wieder halten.“ Wenn man Smedegaard zuhört, gewinnt man rasch den Eindruck, dass es sich dabei mitnichten um einen drögen Monolog gehandelt haben wird – und ihm seine Art zu Reden sowie seine Mehrsprachigkeit auch dabei hilft, gute Geschäfte zu machen.
Das läuft hier also ganz anders als in Indien.
Morten Smedegaard,; Chef der Firma Smedegaarden A/S im dänischen Esbjerg
Entsprechendes Talent habe wohl auch sein Vater schon in ihm erkannt, und ihn unter seinen 18 Kindern als Nachfolger an der Unternehmensspitze ausgewählt und ihn als Kind zum Sprachen büffeln gezwungen. Der Löwenanteil seiner Gespräche bestreitet er tagein, tagaus auf Englisch. Auch Schwedisch und Norwegisch sind gar kein Problem, selbst Spanisch versteht er bestens.
In Dänemark und der EU gibt es strenge Vorgaben
Die Firma ist mit ihren rund 45 Mitarbeitern ein echtes Familienunternehmen: So arbeiten heute zwei seiner acht Brüder, Klaus (55) und Eddi (63), sowie einige seiner Neffen mit, im Büro seine Frau und die beiden Töchter.
Werden Sie oder jemand aus der großen Familien-Dynastie das Geschäft einmal übernehmen? „Das weiß man nicht“, sagt Morten Smedegaard, „aber ich habe ja auch noch ein paar Jahre vor mir.“

Eine Zukunft habe der Betrieb in jedem Fall, betont der Chef und berichtet von der jüngsten Investition in den Standort: Auf besonders heftige Starkregenereignisse im Zuge des Klimawandels sei man dank der leistungsstarken Pumpen, die man gerade eingebaut habe, bestens vorbereitet. Generell erfülle man die strengen Umweltauflagen, die es in Dänemark und in der EU gibt, und die Kommune könne mit ihren Sensoren bestimmte Emissionswerte in Echtzeit überwachen. „Das läuft hier also ganz anders als in Indien“, hält er fest. Über die unterschiedlichen Sozialstandards müsse man gar nicht reden – da gebe es schon ein riesiges Gefälle gegenüber der Türkei, der im europäischen Raum führenden Nation im Hinblick auf Schiffsrecycling.
Künftig dürfte dieses Business innerhalb der EU für neue Marktteilnehmer attraktiver werden, denn seit dem 26. Juni 2025 gibt es weltweit neue Regeln für das Abwracken alter Schiffe: 16 Jahre, nachdem die sogenannte Hongkong-Konvention offiziell beschlossen wurde, ist sie in Kraft getreten, nachdem genügend Länder das Dokument unterzeichnet hatten. Festgelegt ist darin, dass Abwrackwerften künftig speziell zertifiziert sein müssen. Und auch für Schiffe ist jetzt ein besonderer Pass vorgeschrieben, damit klar dokumentiert ist, welche Gefahrstoffe von Asbest bis PCB verbaut sind.
Das Hongkong-Übereinkommen wird die Probleme, die es lösen sollte, nicht lösen.
Ingvild Jenssen,; Sprecherin der Nichtregierungsorganisation „Shipbreaking Platform“
Umweltschützerinnen und -schützern geht die Konvention der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation IMO (International Maritime Organization, eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen) jedoch nicht weit genug. Ingvild Jenssen von der Nichtregierungsorganisation „Shipbreaking Platform“ fürchtet gar, dass die Konvention die schmutzige und gefährliche Praxis in Fernost grüngewaschen werde – und sich nur wenig ändert.
Kritikern geht neue Hongkong-Konvention nicht weit genug
„Das Hongkong-Übereinkommen wird die Probleme, die es lösen sollte, nicht lösen“, hält Jenssen fest. „Denn es legt inakzeptabel niedrige Standards fest und blendet vollständig aus, was mit den Gefahrstoffen von den Schiffen passiert, wenn sie die Abwrackwerft verlassen.“ In einigen Ländern seien Unternehmen schon entsprechend den neuen Regeln zertifiziert worden, obwohl Sondermüll dort gar nicht richtig entsorgt werden könne, weil es an der entsprechenden Infrastruktur fehle.
Generell kritisieren Umweltschützer, dass die Konvention das Abwracken von Schrottschiffen auf Stränden nicht verbietet – was letztlich eine der Hauptgrundlagen für die Geschäftsmodelle der Industrie im indischen Alang und anderen asiatischen Ländern seit den 80er-Jahren ist. Experten fordern, dass ein Zerlegen nur auf festem, betoniertem Untergrund erlaubt sein dürfe – so wie in Dänemark und der gesamten EU.
In der Staatengemeinschaft gilt seit 2013 nämlich eine Schiffsrecycling-Verordnung, die genau das vorschreibt. In ihr ist zudem geregelt, dass Schiffe, die unter EU-Flagge fahren, ab einer bestimmten Größe nur auf zugelassenen Recyclingwerften abgewrackt werden dürfen. Die meisten dieser von der EU zertifizierten Unternehmen liegen derzeit in der Türkei.
Trotz aller Kritik gibt es auch Befürworterinnen und Befürworter der neuen IMO-Regeln – gerade in Europa. Viele von ihnen eint die Hoffnung, dass mit der weltweiten Etablierung von Abwrackstandards die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe in der EU steigt. Tatsächlich drängen nun vermehrt Anbieter auf den Markt: Als erstes deutsches Unternehmen hat vor wenigen Monaten eine Firma mit Sitz auf dem Gelände der früheren Nordseewerke im ostfriesischen Emden die Genehmigung zum Schiffsrecycling erhalten. Um eine Lizenz hat sich auch die Stralsunder Volkswerft beworben. Möglicherweise entwickelt sich also auch in Deutschland ein maritimer Recyclingsektor.
Geschäftsmodelle in Asien und Europa sind grundverschieden
Vor den neuen Wettbewerbern aus der Nachbarschaft hat Smedegaard nach eigener Aussage keine Angst. Beim Rundgang durch seine Lagerhalle erklärt er zwischen den einzelnen Schiffskomponenten, dass jede der dänischen Firmen in der Branche – Konkurrenten gibt es in Frederikshavn, Grenaa und Munkebo – ihre Nische gefunden habe. Etwa, indem man sich auf bestimmte Schiffstypen spezialisiert habe.
Denn die Schiffsverwertung ist weit mehr als nur das Zerlegen und sortenreine Trennen der einzelnen Bauteile und der Weiterverkauf des alten Stahls, damit dieser im Hochofen wieder eingeschmolzen wird. Davon allein würde sich das Abwracken in Europa vermutlich angesichts hoher Löhne nicht rechnen. Ganz anders in asiatischen Ländern, wo just der Handel mit dem Schiffsstahl die wichtigste Ertragsquelle ist: Mittels Kaltwalzen zu Baustahl umgewandelt und direkt weiterverwendet – etwas, was in den Industrieländern aufgrund von Qualitätsgründen nicht erlaubt ist.

In Europa funktioniert das Business anders: „99 Prozent eines Schiffs recyceln wir“, sagt Smedegaard. Er spricht über alte Holzverkleidungen, die thermisch verwertet werden, und das gebrauchte Dämmmaterial, aus dem neue Isolierung wird. Doch der wahre Schatz, das sind all die Ersatzteile und Schiffsmotoren, die in der großen Halle hier im Hafen und noch einmal an einem anderen Standort in der Stadt stehen.
Smedegaard hat anzubieten, was viele Reedereien suchen, sobald ihre Schiffe in die Jahre gekommen sind und die Technik schwächelt. Bevor der Esbjerger Abwrackunternehmer ein Schrottschiff ankauft, überprüft er genau, wie viele baugleiche Frachter beziehungsweise Tanker mit dem gleichen Motormodell noch in Fahrt sind – und ob es für die Komponenten damit einen Markt gibt. Die Reserveteile inseriert er auf speziellen Internetplattformen, gewissermaßen den eBay-Kleinanzeigen für Schiffsbesitzer.

Smedegaard bietet aufgearbeitete Ersatzteile an
Viele Geschäfte kommen auch im direkten Kontakt zustande, insbesondere dann, wenn ein Schiff mit einem Schaden am anderen Ende der Welt feststeckt. „Dann kommt es auch vor, dass mich ein Manager anruft“, sagt Smedegaard und lächelt wissend. „Man muss schon gut vernetzt sein.“ Allzu leicht dürfte es für die Newcomer, die in Europa in den Startlöchern stehen, also nicht werden.
Zumal sie sich erst einen Ruf erarbeiten müssen, den Smedegaard nach eigener Überzeugung längst hat: den, Qualität zu liefern. „Alles, was wir weiterverkaufen, arbeiten wir auf“, sagt er. Das sei 1a-Ware, direkt einbaubar. Kaum sei das Ersatzteil bestellt, sei es auch schon auf dem Weg.
Zur Not auch als Expressversand per Luftpost. Denn Zeit sei für die Reeder Geld, sagt der Profi-Abwracker.
