Düsseldorf. Mit der Bundestagspräsidentin diskutiert Markus Lanz über Neutralität, Debattenkultur und Demokratie. Julia Klöckner verteidigt sich mehrfach – und überrascht mit ihrem Umgang mit Beschimpfungen per Email.
Markus Lanz konzentrierte sich am Abend im ZDF auf einen einzigen Gast: Julia Klöckner, die Präsidentin des Deutschen Bundestages. Um die Debattenkultur in jenem Parlament soll es gehen, und den Zustand der Demokratie. Und natürlich will der Moderator von der CDU-Politikerin wissen, wie sie zu der mehrfach geäußerten Kritik an ihrer Neutralität steht.
Darüber, dass die Demokratie sich in einer Krise befinde, habe sie sich zuletzt mit ihren Kollegen beim G7-Treffen in Kanada ausgetauscht, so Klöckner zu Beginn „Drei Hauptthemen“ hätte sie alle vereint: Die Blockbildung in den Parlamenten angesichts der man riskiere, die Debattenfähigkeit zu verlieren, zudem müsse man sich mit Desinformation und Deep Fake auseinandersetzen und der Bedrohung von Politikern auf verschiedenen Ebenen.
Bedrohungen erlebe sie auch selbst, bestätigt Klöckner und überrascht die Zuschauer: Hin und wieder, wenn sie auf längeren Autofahrten Zeit habe, rufe sie Bürger, die sie schriftlich beschimpften auch mal an und unterhalte sich. Man müsse ja schauen, was im Internet geschrieben werde. Da gebe es oft eine „Blase, die sich hochschaukelt.“ Und es gebe durchaus Leute, die „schreiben E-Mails mit Klarnamen“ und, manchmal füllten sie sogar noch ihre Telefonnummer aus. Interessant sei zu erleben, wie groß oft der Unterschied zwischen digital und analog sei. „Meist wird das Telefon dann laut gestellt, dann kommt man zu einem Gespräch und ich merke, dass wir wirklich in dieser Welt des direkten Aufeinandertreffens einen anderen Umgang haben, als wenn Sie sich nicht in die Augen schauen.“
Auch im Bundestag, der „so polarisiert sei wie noch nie“, sei der Einfluss von digitalen Medien nicht zu übersehen, so die Bundestagspräsidentin. Die Parteien müssten sich anstrengen, um angesichts der extremen Ränder gut durch die Legislaturperiode zu kommen. „Und wenn sich da auch noch die Mitte gegenseitig bezichtigt, demokratieschädigend zu sein, wird es schwierig“, mahnt Klöckner. Als Lanz sagt, er habe oft den Eindruck, vor den Kameras werde als reine „Inszenierung heftiger debattiert als in echt“, nur um das im Internet seinen Anhängern griffig präsentieren zu können. Da entschieden offenbar „die ersten vier Sekunden“ ob jemand etwa auf TikTok dabeibleibe. Und da werde dann wohl besonders zugelangt. Julia Klöckner stimmt zu und appelliert in Richtung der Abgeordneten: „Wir sind doch nicht nur eine Kulisse für ein Klientel, das mir irgendwo folgt und das nur noch reagiert, wenn es lauter und schriller wird.“ Immer wieder betont sie, wie wichtig es sei, Argumente anzuhören und dann zu einer Entscheidung zu kommen. Persönliche Verletzungen verstießen gegen die Regeln und müssten geahndet werden. Sie selbst habe zu derlei Angriffen eine klare Haltung. „Wenn man selber nicht mehr an die Kraft des eigenen Argumentes glaubt, wird man laut oder wird unverschämt oder macht irgendwelche aktivistischen Aktionen“, kritisiert sie den Niedergang der Debattenkultur.
Mehrfach erinnert sie daran, dass sie als neutrale Bundestagspräsidentin „für alle Abgeordneten da ist“ und keine Haltungsnoten verteilen will. Lanz hat das in einigen Situation anders beobachtet und thematisiert ihren Auftritt bei einem CDU-Sommerfest in Rheinland-Pfalz, für den sie kritisiert worden war. Er frage sich, ob das wohl immer allen so klar sei, dass Klöckner nun dort als CDU-Abgeordnete hinging, nicht als Präsidentin des Bundestags, könnten die Leute das von der öffentlichen Rolle trennen? Klöckner verteidigt sich vehement: „Soll ich mir von Linken, von Grünen vorschreiben lassen, wo ich auftreten darf bei meiner CDU?“ Sie sei Landesvorsitzende in Rheinland-Pfalz gewesen und das sei ihr Wahlkreis gewesen. „Lieber Herr Lanz“, wehrt sich Klöckner, „dann darf ja eigentlich eine Bundestagspräsidentin auch net mehr Mitglied in einer Fraktion sein.“ Und sie legt noch mal nach: „Es gibt eine Sitzungsleitung, da ist Neutralität gefordert. Auf der anderen Seite bin ich Abgeordnete aus dem Kreis Bad Kreuznach-Kreis Birkenfeld und handhabe es genauso wie alle Vorgänger in diesem Amt und gehe auch zu Veranstaltungen der Partei.“
Verteidigen muss sie einiges an diesem Abend. Als Lanz vorspielt, wie die Präsidentin eine Abgeordnete mit einem Palästina-T-Shirt aus dem Saal geschickt hat, begründet sie das: „Wir sind kein Parlament der Symbole, deshalb dürfen keine Plakate, keine Aufkleber, keine Fahnen gezeigt werden.“ All das könne das Parlament per Beschluss ändern, aber derzeit sei das nun mal so. „Entweder hat man Regeln und befolgt sie, oder man ändert sie.“
Lanz befragt sie noch zur Regenbogenflagge und einem Retweet, in dem die Rede davon ist, dass Kanzler Friedrich Merz die Moderatorin Dunja Halali „fertigmacht“. Da wackelt dann ihr Plädoyer für gutes Benehmen und freundlichem Umgang vom Beginn der Sendung etwas, obgleich Klöckner betont, ihr Retweet habe nicht dem Fertigmachen, sondern dem Inhalt der Auseinandersetzung gegolten. „Ich bin kein politisches Neutrum Herr Lanz“, sagt sie, und der Moderator schiebt nach: Es gebe „unzählige Stücke mittlerweile, die sich mit der Frage beschäftigen, ob Sie neutral genug agieren auf dem Posten, auf dem Sie grade sind. Haben die alle nicht Recht?“ Die Bundestagspräsidentin wehrt sich – allerdings mit Einschränkung: „Das ist mir zu pauschal – wer sind alle?“ fragt Klöckner, „Ich mach’ nie alles richtig. Sie net, ich net, die Kollegen net“, räumt sie ein. „Wir sind Menschen und fehlerbehaftet.“ In ihrem Job gebe es durchaus auch Einsichten, jede Sitzung des Bundestages werde nachbesprochen und da werde geschaut, ob man in Zukunft was besser machen könne. „Die Demokratie ist auch kein Fertighaus“, sagt Klöckner, das sei ja „nichts statisches“, sondern ein Prozess.
(juju alb)
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