Die Kunst nach vorn zu denken

Es ist eine Sache, zuversichtlich nach vorn zu blicken. Eine andere, beherzt nach vorn zu denken. Wer darauf vertraut, dass es schon irgendwie wird, was noch nicht ist, erleichtert sich die Gegenwart. Wer etwas schafft, damit sich verändert, was besteht, gestaltet Zukunft. Es ist visionärer Tatendrang, ein entschlossener Mut zum Machen, der aus Optimisten Protagonisten werden lässt.

Auf der IPO Night im Frankfurter Städel-Museum werden zum dritten Mal jene Unternehmen geehrt, die gewagt haben, die sich die eigene Zukunft nicht erhoffen, sondern lieber aktiv erschließen wollten. Diejenigen, die in einem Marktumfeld, wie es anspruchsvoller kaum sein könnte, Investoren von ihrer Idee überzeugten, frisches Kapital mobilisierten und so neuen Wert schafften.

Zum feierlichen Festakt, den die WEIMER MEDIA GROUP in Zusammenarbeit mit der Deutschen Börse veranstaltet, versammelt sich erneut die Hochfinanz der Republik. „Heute ist ein Abend der Champions-League“, sagt Deutsche Börse-Chef Stephan Leithner zur Eröffnung und nimmt Bezug auf die Frankfurter Eintracht, die in dem Fußball-Wettbewerb parallel gegen den FC Liverpool antritt. Allein, sagt Leithner, hier sei heute keine Auswärtsmannschaft. Die IPO Night sei ein Heimspiel für alle.

Commerzbank-Chefin Bettina Orlopp ist gekommen, ebenso Philippe Oddo, CEO der gleichnamigen ODDO BHF-Bank. Auch André Munkelt, CEO Morgan Stanley Europe ist unter den Gästen. Besonders im Rampenlicht: Martin Blessing, Investitionsbeauftragter der Bundesregierung. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Commerzbank sammelt mit seinem ersten öffentlichen Auftritt seit Übernahme des zukunftsweisenden Amtes kräftig Applaus ein. Seinen Impulsvortrag mit „Mehr Kapitalismus wagen“ betitelt, macht es sich Blessing auf einer Veranstaltung, die den Kapitalmarkt feiert, leicht, legt jedoch gezielt den Finger in die klaffende Wunde der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt.

„Wir regulieren zu viel, lassen Brüssel zu viel regulieren und investieren zu wenig in Zukunftstechnologien“, bemängelt der erfahrene Finanz-Manager. Deutschland müsse als Investitionsstandort seine Attraktivität deutlich erhöhen. Unternehmer investierten, sagt Blessing, wenn sie gute Rahmenbedingungen vorfänden, also solche, mit denen sie Geld verdienten. „Hier fallen wir langsam zurück und leben von der Substanz, weil wir mehr verteilen, als wir erwirtschaften.“ Im Begriff „soziale Marktwirtschaft“ sei „sozial“ klein und „Marktwirtschaft“ groß geschrieben, erinnert Blessing und fordert mehr kreative Zerstörung. „Unsere Zukunft liegt nicht darin, Technologien zu Tode zu subventionieren, sondern Neues entstehen zu lassen.“

Der ehemalige Skirennläufer und Weltmeister Felix Neureuther und diesjährige Special Guest der IPO Night, sieht in diesem Umfeld durchaus eine Chance. „Ich mag es, mit dem Rücken zur Wand zu stehen und zu sagen, jetzt krempeln wir die Arme hoch“, sagt der Wintersport-Star auf der Bühne im Städel-Museum. Diese Mentalität verspüre er auf dieser Veranstaltung auch eindeutig.

Ein Leuchtturmbeispiel dafür, wie das gelingen kann, ist das Münchener Raumfahrt-Start-up Isar Aerospace, das auf der IPO Night in der Kategorie „Herausragende private Finanzierungsrunde“ ausgezeichnet wird. Seit ihrer Gründung 2018 haben die Bayern schon mehr als 400 Millionen Euro an privatem Kapital eingesammelt, darunter 150 Millionen Euro im vergangenen Jahr in Form einer Wandelanleihe. Das Unternehmen entwickelt Trägerraketen für den Transport kleiner und mittelgroßer Satelliten. Mit dem frischen Kapital will Isar Aerospace seine Startkapazitäten und die Serienproduktion am Standort bei München weiter ausbauen. Isar Aerospace sichere „Europas Zugang zum Weltraum“, lobt Annika von Mutius Gründerin des HR-Tech-Startups Empion und Mitglied im Vorstand des KI-Bundesverbands. Das All sei „kritische Infrastruktur“. Umso wichtiger würde es daher, „Souveränität zurückzuerlangen“, Technologie wirklich zu bauen und anzuwenden.

Isar Aerospace geht voran. Der Preis sei Motivation, den außergewöhnlichen Weg fortzusetzen, sagt Christian Wanzek vom Management-Team und merkt an: „Bei Raketenwissenschaft ist Deutschland weltweit führend.“ Isar Aerospace ist derweil das erste Unternehmen, das außerhalb der USA eine skalierbare Raketenproduktion aufgebaut hat. „Wir haben die Fähigkeit in Europa souverän zu launchen“, erklärt Michael Grassmayr.

„Die Börse ist die Bühne des Fortschritts, der großen Geschichten“, hat Christiane Goetz-Weimer, Verlegerin der WEIMER MEDIA GROUP, zu Veranstaltungsbeginn die Bedeutung der Finanzmärkte hervorgehoben und ins Publikum blickend angefügt: „Sie schreiben das Drehbuch für die großen Geschichten.”

Isar Aerospace schreibt fleißig, aber auch die Kapitalmarkt-Story von Vossloh ist seit vergangenem Jahr um ein Kapitel reicher. Vossloh ist einer der führenden Bahntechnik-Anbieter und stärkt die eigene Position vor kurzem durch die Übernahme des führenden europäischen Betonschwellenherstellers Sateba für 450 Millionen Euro. Zur Finanzierung führte Vossloh unter anderem erfolgreich eine Kapitalerhöhung über 72 Millionen Euro durch und wurde auf der IPO Night so zum gefeierten Preisträger in der Kategorie „Herausragende Eigenkapitalfinanzierung“.

Vossloh habe strategisch wichtige Weichenstellungen ermöglicht, finanzielle Spielräume eröffnet, nachhaltig finanziert – und Anlegern eine Menge Freude bereitet, würdigt Berthold Fürst, Head of Investment Banking DACH der Deutschen Bank, in seiner Laudatio, die erfolgreiche Kapitalmaßnahme. Der Aktienkurs ist in den Monaten danach um 80 Prozent gestiegen. Daniel Gavranovic, Head of Investment bei Vossloh, nimmt den Preis stellvertretend entgegen. „Am Ende hat es sich gezogen, aber das gehört sich für ein Bahn-Unternehmen wohl heute so“, scherzte der. Und schlecht sei das nicht gewesen, denn erst vor drei Wochen sei das finale „Go“ der französischen Wettbewerbsbehörden in Bezug auf die Sateba-Übernahme gekommen.

Den „herausragenden“ Börsengang liefert für die Jury im betrachteten Zeitraum Pfisterer. Das in Familienhand geführte Technologieunternehmen entwickelt und produziert Produkte zur Verbindung und Isolierung elektrischer Leiter an Stromnetzschnittstellen. Seit Mai 2025 ist der weltweit tätige Mittelständler im Scale-Segment der Frankfurter Wertpapierbörse notiert. Die Entwicklung seit dem IPO: explosiv. Der Kurs hat sich binnen weniger Monate mehr als verdoppelt. Die Marktkapitalisierung übersteigt eine Milliarde Euro deutlich. Pfisterer stehe für drei Themen, die Investoren heute besonders bewegten – „Technologie, Nachhaltigkeit und Infrastruktur“, sagt Oddo, Inhaber und Chef der Oddo BHF-Bank. Im Bereich der High-Voltage Cable Accessories gehöre Pfisterer zu den Top-3-Anbietern in Europa. Das Unternehmen halte die Welt im wahrsten Sinne des Wortes „unter Strom“ und vereine alles, was es für einen erfolgreichen IPO brauche.

Bei Pfisterer sind sie froh, sich aufs Parkett gewagt zu haben. „Pfisterer war in einer Situation, in der Kunden zu uns kamen und uns sagten, entweder wachst ihr mit uns, oder wir müssen uns jemand anderen suchen“, erklärt Johannes Linden, CO-CEO von Pfisterer, nach Übergabe des Preises. „Dann haben wir nicht lange überlegt.“ Der IPO habe Pfisterer in die Lage versetzt, die „Finanzstärke zu haben, mehrere hundert Millionen Euro zu investieren und dabei eine eigenständige Firma zu bleiben“, zieht Linden ein positives Fazit. Übrigens: 90 Prozent der Mitarbeiter sind im Zuge des Börsengangs Aktionäre geworden. Wenn das mal nicht gelebte Teilhabe ist.

Damit der Kapitalmarkt weiter solche Erfolgsgeschichten erzählen kann, braucht es aber auch Vorwärtsdenken in der Politik. „Es gibt noch viel zu tun“, sagt Deutsche-Börse-Chef Leithner, der jedoch zunächst viel Anlass zu Optimismus sieht. „Der Herbst der Entscheidungen wird uns bei dir Altersvorsorge einen Impuls bringen.“ Zudem seien bei der Kapitalmarktunion in den nächsten Monaten Fortschritte zu erwarten.

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