Ein Konflikt zwischen den Niederlanden und China hat dramatische Auswirkungen auf die europäische Autoindustrie: Der chinesische Chiphersteller Nexperia mit europäischem Sitz in Nijmegen wurde Ende September von der niederländischen Justiz unter die Kontrolle der Regierung gestellt. Den Haag nannte das Abgreifen geistigen Eigentums durch die Chinesen als Grund – die Reaktion Chinas ließ nicht lange auf sich warten. Es werden seither schlicht keine fertigen Computerchips mehr geliefert. Das betrifft auch die deutsche Nexperia Germany GmbH mit Sitz in Hamburg. Die Folge, so beschreibt es beispielsweise die Nachrichtenagentur Reuters: „Während diese Chips gar nicht mal hochtechnologisch gebaut sind, werden sie doch auf breiter Front von Autoherstellern und Zulieferern genutzt.“ Etwa für elektronische Steuergeräte im Fahrzeug. Und jetzt eben nicht mehr.
Kaum hatte der Verband der Deutschen Automobilindustrie (VDA) deswegen vor den möglichen Folgen für die hiesige Branche gewarnt und Produktionsausfälle vorhergesagt, da erfüllt sich diese düstere Prophezeiung: Am kommenden Freitag soll, , bei VW die Produktion der Modelle Golf und Tiguan stillstehen. Das habe aber nichts mit den Chip-Auseinandersetzungen zu tun, beeilte sich der Konzern zu versichern, sondern sei lange geplant und habe seinen Grund in Lagerbestandsangelegenheiten, die mit den Herbstferien zusammenfielen – so ein Sprecher etwas kryptisch gegenüber Reuters.
Egal was hinter dem Produktionsstopp steht – Tatsache ist, dass wichtige Zulieferer wie ZF Friedrichshafen bereits eine Taskforce beschäftigen, die nach Wegen aus der Krise suchen soll. Auch Bosch ließ verlauten, dass man aktiv nach Lösungen fahnde: „Wie andere Kunden von Nexperia stellt auch uns die aktuelle Situation vor große Herausforderungen. Daher hoffen wir auf eine schnelle Lösung zwischen den Beteiligten”, so der Hersteller gegenüber der „Welt”. Mercedes-Benz sieht sich laut Mitteilung „kurzfristig abgesichert”, was die Versorgung angeht, BMW sagt, man „beobachte die Lage aufmerksam”.
Geopolitischer Schlagabtausch auf Kosten der Autoindustrie
Denn China hält viele Fäden in der Hand, wenn es um eigene Exporte geht: „Die steigende Nachfrage nach Hochleistungschips für künstliche Intelligenz (KI) und die US-Ausfuhrkontrollen im Halbleiterbereich beeinflussen die chinesische Halbleiterindustrie. Beide Trends führen zu einer „starken Lokalisierung der Wertschöpfungskette und einem Ausbau der Zulieferindustrie für Halbleiteranlagen in China“, konstatiert die Außenhandelsorganisation GTAI in Berlin. Das heißt: Handelsbeschränkungen machen China auf mittlere Sicht nur stärker. Womit natürlich auch das Drohpotential steigt. Zwar dementiert die Regierung in Den Haag einen Einfluss der USA auf ihre Entscheidung zu Nexperia, doch interne Quellen sprechen von Druck aus Washington, Chip-Knowhow unter Kontrolle zu behalten oder zu bringen. Dass China diesen Schritt als „Banditentum“ bezeichnet, eines der vernichtendsten Prädikate der herrschenden KP Chinas, zeigt den Ernst der Auseinandersetzung.
Die deutsche Autoindustrie nun steht inmitten eines Transformations- und Krisenfelds; das betrifft technologische Entwicklungen (neue Antriebe bei E-Mobilität), globale Herausforderungen (schwierige Lieferketten, China-Politik) und geopolitische Risiken (Abhängigkeiten von Krisenländern). Und von einer Unabhängigkeitsstrategie der deutschen Industrie ist nicht viel zu bemerken. Für die ersten acht Monate 2025 hat China die USA als Deutschlands größten Handelspartner überholt, mit einem Handelsvolumen von etwa 163,4 Mrd. € gegenüber 162,8 Mrd. € mit den USA. Wobei die deutschen Exporte nach China noch stärker zurückgingen als die in die Vereinigten Staaten (wegen der Washingtoner Zollpolitik). Sie sanken in den ersten acht Monaten des Jahres 2025 um 13,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 54,7 Milliarden Euro. Die aktuelle Chipkrise zeigt derweil: Von der vollmundig angekündigten Diversifizierung des deutschen Außenhandels ist in wichtigen Bereichen kaum etwas zu spüren. Ohne China läuft nichts. Im Gegenteil. Im 1. Halbjahr 2025 stiegen die Importe aus China nach Deutschland um 10,7 Prozent auf rund 81,3 Mrd. €.
Die gescheiterte China-Strategie
Damit zeigt sich die weitgehende Vergeblichkeit der Bemühungen des Wirtschaftsministers aus der Regierungszeit der Ampel-Koalition. Robert Habeck hatte sich vorgenommen, die Ungleichgewichte zwischen Deutschland und China in den Griff zu bekommen. „Die Naivität gegenüber China ist vorbei”, postulierte der Minister bei einem G7-Gipfel. Im September 2022 kündigte Habeck dann an, dass Deutschland an einer neuen China-Handelspolitik arbeite, mit dem Ziel, bei Rohstoffen, Batterien und Halbleitern nicht mehr über Gebühr von China abhängig zu sein. Bei Investitionsgarantien wollte man etwa Limitierungen vornehmen und auf diese Weise Klumpen-Risiken reduzieren. Die Realität spricht eine andere Sprache. Deutschlands Importabhängigkeit von China wuchs weiter, etwa im Bereich Elektroautos und Komponenten: So stiegen die Ausfuhren von Autos und Motoren aus China nach Deutschland bereits im 1. Halbjahr 2023 um 243 Prozent, neue chinesische Marken schicken sich seitdem an, den deutschen Markt aufzurollen. Damals wie heute zeigt sich die gegenläufige Entwicklung im Automarkt in China selbst: deutsche Hersteller verlieren Marktanteile, während chinesische Marken bei E-Autos und neuen Technologien hierzulande stark aufholen.
Habecks Strategie ist damit gescheitert. Eine neue Herangehensweise ist derzeit kaum erkennbar. Mit regulatorischen Maßnahmen ist die globale Verflechtung, insbesondere mit China, wohl nicht in den Griff zu bekommen.
