„Die Zeit ist nur dafür da, dass nicht alles gleichzeitig geschieht“, soll Albert Einstein gesagt haben. Ich würde ihm sofort zustimmen, wenn ich wüsste, wovon er da redet. Einstein zu Ehren jedenfalls verzichte ich in diesem Jahr auf die Zeitumstellung. 500 Millionen Europäer und Europäerinnen stellen ihre Uhren diesen Sonntag um eine Stunde zurück auf Winterzeit. Ich nicht. Ich trage damit persönlich zur Entzerrung der Weltereignisse bei, gern geschehen.
Warum, so dachte ich mir, soll ich einer sinnlosen Direktive folgen, die den Biorhythmus ohne Not ins Chaos stürzt? Was soll dieser Anachronismus aus einer Zeit mit vierstelligen Postleitzahlen und Trimm-dich-Pfaden? Energiesparen, weil es abends länger hell ist? Hat nie funktioniert. Das ist schon deshalb Unfug, weil es dafür morgens länger dunkel ist.

Die paar Watt, die wir beim Licht sparen, ballern wir an Heizungsenergie dreifach wieder heraus, weil wir an jedem kühlen Morgen die Heizlüfter voll aufdrehen. Trotzdem schlurfen 500 Millionen Europäer seit 1980 zweimal jährlich wochenlang bettreif durch ihr Leben, wie Professor Hastig aus der „Sesamstraße“.
Das Universum ist überfordert
Die EU wünscht Einheitlichkeit. Sie würde die Sommerzeit gern abschaffen. Aber Europa ist sich uneins. Spanien wünscht sich Siesta von April bis September. Norwegen fragt, was das denn sei: Sommer? Griechenland fragt, was das denn sei: Uhr? England will ganz raus aus dem Stundensystem und die Zeit künftig in Pfund und Pence berechnen. Malta will wissen, worum es geht. Luxemburg will wissen, warum ihm wieder keiner was gesagt hat. Und Holland will wissen, ob noch jemand was zu rauchen hat.
Es drohen 27 Zeitzonen. EU-Beamte haben ermittelt: Die Folgen könnten dramatisch sein! Ein Zug, der von Warschau nach Paris fährt, erreicht den Zielbahnhof in Zukunft bereits vor seiner Abfahrt. Damit ist das Universum überfordert. Das Raum-Zeit-Kontinuum zerstört sich selbst, und ganz Europa wird in ein schwarzes Loch gesaugt.
Ich lebe jetzt zeitsouverän
Sicherheitshalber machen also alle so weiter wie bisher. Weil es alle machen. Dieser Teufelskreis ist ab sofort durchbrochen! Ich steige aus. Mag sich die Welt 60 Minuten zurückgestellt haben – ich bleibe zeitlich vorn. Ich lebe jetzt zeitsouverän. Bei mir ist es immer schon eine Stunde später.
Das hat etliche Vorteile: Eine Stunde später als die Deutsche Bahn – das heißt zum Beispiel: Jeder Zug, der im realen Leben 60 Minuten Verspätung hat, fährt für mich genau richtig. Und das sind viele. Praktisch. Man sagt auch nicht mehr: „Imre kommt zu spät.“ Man sagt jetzt: „Er lebt in seiner eigenen Zeitzone.“ Das klingt doch gleich viel netter.
Sie wollen an einem Samstag um 19 Uhr MEZ (Mitteleuropäischer Zeit) wissen, was die Ziehung der Lottozahlen um 19.25 Uhr MEZ ergeben wird? Fragen Sie mich, denn bei mir ist es schon 20 Uhr MEIZ (Mitteleuropäischer Imrezeit) und die Ziehung damit durch. Ich kann Ihnen auch an Wahlabenden um 17.03 Uhr MEZ schon sagen, wie die Wahlprognose um 18.03 Uhr MEZ ergeben wird, denn bei mir ist es dann bereits 18.03 Uhr MEIZ.
Zeit ist ein Chor, und ich singe jetzt solo
Zeit ist ein virtuelles Konzept, eine Übereinkunft. Wir einigen uns darauf, was „jetzt“ bedeutet – und hoffen, dass alle mitmachen. Zeit ist ein Chor, und ich singe jetzt solo. Ich kann eine Stunde in die Zukunft schauen. Ich weiß, wann es regnet, wie Fußballspiele enden, wann der Louvre überfallen wird und wo Gefahr droht. Und das nur, weil ich meine Uhren nicht zurückgestellt habe. Wenn ich geahnt hätte, dass es so einfach ist, hätte ich der Welt viel Elend ersparen können, sorry dafür.
