Tagesanbruch
Diesmal könnte es eng werden
Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
der 23. Oktober ist ein besonderer Tag in Ungarn. Am gestrigen Donnerstag feierte der EU-Staat seinen Nationalfeiertag. 1956 begann an diesem Tag der ungarische Volksaufstand, bei dem sich die ungarische Bevölkerung gegen die sowjetische Besatzung aufgelehnt hatte.
Doch der gestrige Donnerstag war nicht allein deshalb besonders, weil in Ungarn der Vergangenheit gedacht wurde. Vielmehr ging es diesmal nämlich um die Zukunft: In der Hauptstadt Budapest kam es zu zwei bedeutenden Kundgebungen. Am Morgen trafen sich die Anhänger des autoritären Ministerpräsidenten Viktor Orbán zu einem “Friedensmarsch”. Am Nachmittag gab es allerdings auch einen “Nationalen Marsch”, angeführt von dem Oppositionspolitiker Péter Magyar.
Falls Sie von Magyar noch nicht gehört haben, würde ich Ihnen raten: Merken Sie sich diesen Namen. Der 44-Jährige schickt sich an, tatsächlich an der Macht von Orbán zu rütteln. Mit dem Marsch hat Magyar die heiße Phase seines Wahlkampfes eingeläutet. Denn im kommenden April wird in Ungarn ein neues Parlament gewählt – und Magyar liegt in Umfragen beständig vor Orbán. Weitere Informationen über Magyar können Sie in diesem Porträt meines Kollegen Julian Alexander Fischer lesen.
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Dass in der ungarischen Hauptstadt nicht nur Zehntausende für, sondern auch gegen Orbán auf die Straße gingen, dürfte dem ungarischen Regierungschef nicht gefallen haben. Vielleicht sind die Proteste wirklich der Anfang vom Ende des illiberalen Herrschers von Ungarn. Doch ausgemacht ist das noch längst nicht: Denn Orbán wird bis April alles daran setzen, weiter an der Macht zu bleiben.
Für den ungarischen Ministerpräsidenten sieht es aktuell nicht gut aus – und das liegt nicht nur an den Umfragewerten seiner Partei Fidesz. Denn die Probleme des Landes sind offensichtlich: Die Inflation liegt deutlich über dem EU-Schnitt, die Wirtschaft stagniert, ausländische Investoren halten sich zurück, das Gesundheitssystem ist marode. Die Gelder aus Brüssel fließen nicht mehr so regelmäßig, weil Orbán die Demokratie immer weiter ausgehöhlt hat.

Zuletzt wurde auch noch öffentlich, dass der Geheimdienst offenbar jahrelang versucht hat, die EU-Behörden in Brüssel auszuspionieren. Auch Magyar wirft Orbán vor, dass er und seine Partei seit Monaten vom ungarischen Geheimdienst bespitzelt werden.
Auch auf der internationalen Bühne lief zuletzt nicht alles so, wie es sich Orbán vorgestellt hatte. Eigentlich hatte sich der 62-Jährige schon inständig darüber gefreut, dass in seinem Land die Staatschefs Wladimir Putin und Donald Trump zu neuen Beratungen über den Ukraine-Krieg zusammenkommen wollten. Ungarn als Vermittler zwischen den Weltmächten, so hätte Orbán seine Heimat gerne gesehen.
Der Regierungschef rühmt sich häufig damit, dass er zu beiden Staatschefs gute Beziehungen pflegt. Orbán, Putin und Trump eint ihr ultrakonservatives Gesellschaftsbild, die Ablehnung demokratischer Werte sowie ihr Wille, ihre Privilegien für den eigenen Vorteil zu nutzen. Die Drähte zwischen Washington, Budapest und Moskau sind daher recht kurz. Doch zu dem großen Gipfel der beiden Weltmächte in Ungarn kommt es jetzt eben doch nicht, weil Trump es sich anders überlegt hat.

Sie sehen: Der ungarische Ministerpräsident hat mit allerlei Problemen und Rückschlägen zu kämpfen. Unter normalen, demokratischen Spielregeln wäre es also alles andere als eine Überraschung, wenn Orbán im kommenden Jahr seinen Posten räumen müsste. Sein fast 20 Jahre jüngerer Konkurrent Magyar versprüht eine Aufbruchstimmung, die Orbán nach 15 Jahren im Amt gänzlich abhandengekommen ist.
Doch Ungarn ist unter Orbán eben schon lange keine lupenreine Demokratie mehr. Pressefreiheit, Rechtsstaatlichkeit, Korruption: In allen drei Bereichen liegt Ungarn in Erhebungen verschiedener Denkfabriken innerhalb der EU auf den letzten Plätzen. Schon bei der vergangenen Wahl hatte seine Partei Fidesz “nur” 53 Prozent der Stimmen erhalten. Orbán hat allerdings das Wahlsystem so umgebaut, dass er trotzdem eine Zweidrittelmehrheit im Parlament hat. Unabhängige Medien gibt es in dem Land kaum noch, die Justiz entscheidet größtenteils so, wie es Orbán wünscht.
All diesen Entwicklungen konnte auch die EU bislang kaum Einhalt gebieten. Gewiss wurden dem ungarischen Machthaber im Laufe der Jahre wegen seiner Missachtung demokratischer Spielregeln allerlei Gelder gestrichen. Aufgehalten hat es Orbán auf seinem Weg in ein illiberales, autokratischeres Ungarn bislang nicht. Der Regierungschef gefällt sich weiterhin in der Rolle des Quertreibers im europäischen Machtapparat, auch wenn er dadurch in den allermeisten EU-Staaten schon lange in Ungnade gefallen ist. Seinen Kurs hat Orbán dennoch in all den Jahren nahezu ungehindert fortgesetzt.

Daher dürfte es niemanden wundern, dass Orbán seinem Herausforderer nicht tatenlos zusieht. Die ungarische Justiz versuchte bereits, Magyars Immunität als EU-Parlamentarier aufzuheben. In seiner Heimat werden ihm Diebstahl und Verleumdung vorgeworfen. Der EU-Politiker Daniel Freund von den Grünen sprach von einer “Schmutzkampagne” Orbáns, um seinen Widersacher auszuschalten.
Auch für die Unterstützer Magyars kann es brenzlig werden, wie etwa für Zoltán Tarr. Der hielt 2024 eine Rede auf einer Veranstaltung des Oppositionellen. Wenig später war er seinen Job bei einem staatlichen Digitalunternehmen los. Für Tarr endete der Jobverlust allerdings vergleichsweise glimpflich: Er zog im vergangenen Sommer bei der Europawahl für Magyars Partei ins Europäische Parlament ein. Doch wer eine Veranstaltung des Herausforderers besucht, geht gewisse Risiken ein.

Glaubt man den Umfragen, haben die Maßnahmen Orbán bislang noch keinen Schub verliehen. Allerdings befindet sich der Wahlkampf erst am Anfang. Und Orbán hat seine Macht in den vergangenen Jahren stark gefestigt. Die staatlichen Medien dürften in den kommenden Monaten noch stärker ihre Schmutzkübel über Magyar ausschütten, vielleicht mit Unterstützung von Trollen aus Russland oder den USA.
Doch es muss nicht allein bei Schmutzkampagnen bleiben. Auch politisch wird Orbán seinem Kontrahenten weitere Knüppel zwischen die Beine werfen: Die Wahlkreise hat er bereits so zugeschnitten, dass die größeren, eher liberaleren Städte weniger Abgeordnete ins Parlament schicken werden. Der Politologe Anton Schechowzow skizzierte zuletzt ein Szenario, bei dem Orbán im Falle einer Niederlage auch die Wahl nicht anerkennen und Magyar als Marionette von ausländischen Kräften darstellen könnte.
Die Liste der Möglichkeiten, wie Orbán seine Macht trotz des erheblichen Gegenwinds weiter festigen könnte, ist also lang. Ein einfaches Umfragehoch macht unter diesen Umständen noch keinen Sieger. Es braucht einen langen Atem, um aus autoritären Strukturen auszubrechen. In Ungarn weiß man das besonders gut: Der Volksaufstand 1956 wurde von der Sowjetunion niedergeschlagen. Zur Republik wurde das Land erst, als die Sowjetunion mehr als 30 Jahre später zerbrach.
Schon wieder

Diesmal waren es 18 Sekunden über Litauen. So lange befanden sich gestern zwei russische Flugzeuge unerlaubt im Luftraum ihres Nachbarlandes. Zwei spanische Eurofighter eskortierten das SU-30-Kampfflugzeug und ein Tankflugzeug daraufhin zurück in den russischen Luftraum.
Der Vorfall reiht sich in eine lange Liste ein: Etliche Male wurden in den vergangenen Wochen die Lufträume von Nato-Staaten durch Drohnen verletzt. Hinzu kommen vor rund einem Monat drei russische Kampfjets, die für zwölf Minuten den Luftraum über Estland verletzt hatten.
Ob es 18 Sekunden oder zwölf Minuten waren, spielt eigentlich keine große Rolle. Klar sollte allerdings mittlerweile auch dem letzten sein, dass sich die russische Luftwaffe dann doch etwas zu häufig in andere Länder verirrt, als dass man von Zufällen sprechen könnte.
Parallel bleibt weiter die Frage offen, ob die EU russisches Vermögen nutzen wird, um die Ukraine zu unterstützen. Beim gestrigen EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs hieß es lediglich, dass die Europäische Kommission einen Vorschlag ausarbeiten sollte, wie der Finanzbedarf der Ukraine in den kommenden zwei Jahren gedeckt werden kann. Ob dazu russische Gelder genutzt werden können, ist weiter offen. Denn vor allem Belgien, das über einen Großteil des Geldes verfügt, hat weiter Einwände.
Was steht an?

Lagebilder zur Kriminalität: Wie geht Deutschland gegen organisierte Kriminalität und Drogenhandel vor? Darüber informieren heute Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) und Bundeskriminalamtschef Holger Münch die Öffentlichkeit. Um 10 Uhr wird dafür ein entsprechendes Lagebild vorgestellt.
Ministerpräsidententagung endet: In Mainz endet die Konferenz der deutschen Ministerpräsidenten. Um 13 Uhr sollen der rheinland-pfälzische Regierungschef Alexander Schweitzer (SPD) und sein sächsischer Amtskollege Michael Kretschmer (CDU) die Ergebnisse vorstellen.
Stürmisch ins Wochenende: In vielen Teilen Deutschland könnte es heute ungemütlich werden. Der Deutsche Wetterdienst warnt vor Sturm- und Orkanböen. Für Teile der Nordseeküste ist zudem eine Sturmflut vorausgesagt.
Ohrenschmaus
Manchen Menschen drückt das herbstliche Wetter ja aufs Gemüt. Ich kann mich aber über einen Spaziergang, mit bunten Blättern unter und dem grauen Himmel über mir, freuen. Dafür ist meistens nur die richtige Musik nötig. Probieren Sie es doch auch mal aus.
Das historische Bild

1963 ereignete sich ein schweres Unglück in Lengede. Lesen Sie hier mehr.
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Donald Trump verhängt erstmals Sanktionen gegen Russland. Ob die Ukraine und Europa aufatmen können, bleibt aber fraglich. Denn Trumps Ungeduld macht ihn unberechenbar, und auch innerhalb der EU bleibt es kompliziert, analysieren meine Kollegen Johannes Bebermeier und Bastian Brauns.
2026 steigt das Durchschnittsentgelt, das bei der Berechnung der Rentenpunkte zugrunde gelegt wird. Für Beitragszahler bedeutet das: Bleibt das persönliche Gehalt gleich, gibt es dafür weniger Rentenpunkte als 2025. Meine Kollegin Christine Holthoff hat für verschiedene Gehälter ausgerechnet, was diese in Rentenpunkten wert sind.
Der erst 17-jährige Lennart Karl trug sich mit seinem Tor beim 4:0 des FC Bayern in der Champions League gegen den FC Brügge in die Geschichtsbücher der Münchner ein. “Wenn seine Entwicklung so weitergeht, bin ich überzeugt: Karl kann nicht nur ein Kandidat für Bundestrainer Julian Nagelsmann für die WM 2026 sein – er muss ein Kandidat sein”, schreibt SaboExperte Stefan Effenberg in seiner neuen Kolumne.
Zum Schluss
Lieber Geldregen als normaler Regen…

Ich wünsche Ihnen einen schönen Freitag und einen angenehmen Start ins Wochenende.
Herzliche Grüße
Ihr
David Schafbuch
Stellvertretender Ressortleiter Politik & Wirtschaft
Bluesky: @schubfach.bsky.social
E-Mail: [email protected]
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Mit Material von dpa.
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