Diskussion um Nahverkehr: Wenn nachts in der U-Bahn die Angst mitfährt

München gilt als sicherste Großstadt. Doch eine Umfrage hat gezeigt, dass sich viele Menschen vor allem abends in öffentlichen Verkehrsmitteln unsicher fühlen. Wie häufig kommt es wirklich zu Straftaten – und mit welchen Mitteln ließe sich das Gefühl einer Bedrohung verringern?

Wenn nachts in der U-Bahn die Angst mitfährt

Wenn die Dunkelheit hereinbricht, werden Busse, Tram-, S- und U-Bahnen für viele Münchnerinnen und Münchner zu Orten, in denen sie Angst verspüren. Und nicht wenige meiden die öffentlichen Verkehrsmittel genau aus diesem Grund. Das hat eine Studie im Auftrag des Kreisjugendrings München (KJR) ergeben, der zufolge sich nur 54 Prozent der jungen Menschen nachts in den öffentlichen Verkehrsmitteln wohlfühlen. Nahezu 28 Prozent der jungen Frauen gaben sogar an, im Nahverkehr sexuell bedrängt worden zu sein. Seitdem wird in der Stadt über die Ergebnisse der Umfrage heftig diskutiert.

Doch decken die offiziellen Statistiken die Umfrageergebnisse? Was unternehmen die Verkehrsbetriebe, um die Sicherheit im öffentlichen Nahverkehr zu erhöhen – und könnten etwa Apps dazu beitragen, das Gefühl einer Bedrohung in Zug oder Bus zu minimieren?

Nach Angaben des Münchner Polizeipräsidiums kam es im Jahr 2024 zu insgesamt 14 925 Straftaten im öffentlichen Personenverkehr in München, was nahezu dem Vorjahreswert entspricht. Allerdings waren 2024 etwa 570 Millionen Menschen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs – und damit 12,6 Prozent mehr als 2023. In die Statistik der Münchner Polizei fließen allerdings nicht nur Straftaten in S-, U-Bahnen, Bussen und Straßenbahnen ein, sondern auch Vorfälle auf Gleis- und Bahnanlagen sowie an Haltestellen und in Bahnhöfen.

Die mit Abstand meisten Fälle – etwa 5900 – waren 2024 Straftaten nach dem sogenannten Straftatbestand des Erschleichens von Leistungen, also Schwarzfahren. Danach folgen Sachbeschädigungen (1903), Körperverletzungen (957), Hausfriedensbruch (849) sowie Bedrohungen (162). Zudem registrierte die Polizei 472 Fälle sogenannter Gewaltkriminalität, darunter 386 Mal gefährliche und schwere Körperverletzung. Dies waren im Vergleich 18,9 Prozent mehr als im Jahr davor.

Bei den Straftatbeständen Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und sexuelle Übergriffe im besonders schweren Fall registrierte das Polizeipräsidium eine Steigerung von einem Fall 2023 auf acht Straftaten ein Jahr später.

Doch was kann man tun, um mehr Sicherheit zu schaffen? Angesichts der Ergebnisse der KJR-Studie fordert die Stadtratsfraktion von Grünen, Rosa Liste und Volt in einem Antrag eine digitale Lösung, um insbesondere Frauen im öffentlichen Nahverkehr besser schützen zu können und das Sicherheitsgefühl der Menschen zu erhöhen. Den Stadträten schwebt der Einsatz der App „Safenow“ vor, die bereits zum dritten Mal auf der diesjährigen Wiesn in mehreren Zelten im Einsatz war und auch von etlichen Clubs in München und auf Christopher Street Days in ganz Europa genutzt wird. Safenow war aber auch im Testbetrieb am Hamburger Hauptbahnhof und dem Berliner Südkreuz im Einsatz.

Die Funktionsweise der App ist simpel: Der Nutzer drückt im Notfall oder in einer bedrohlichen Situation den Button in der App und löst dadurch einen kritischen Alarm aus. Innerhalb einer sogenannten Safe-Zone, einem Bierzelt, einem Nachtclub, einem Stadion oder einem Campus, wird dann das Sicherheitspersonal informiert. Mit präziser Ortungstechnik, meter- und auf das Stockwerk genau innerhalb eines Gebäudes, kann dann die betroffene Person ausfindig gemacht, versorgt und geschützt werden. Es können aber auch bestimmte Gruppen in der App wie Freunde oder Angehörige per Knopfdruck über eine Notlage informiert werden.

Testbetriebe in Berlin und Hamburg

„Es geht vor allem auch um ein Sicherheitsgefühl“, sagt Safenow-Gründer Tilmann Rumland in seinem Büro auf dem Campus an der Balanstraße – auch dort ist eine Safe-Zone eingerichtet. Die Testbetriebe in Berlin und Hamburg hätten gezeigt, dass dieses bei Nutzern erheblich zugenommen habe – dass mit dem Einsatz der App aber auch Leben gerettet und brenzlige Situationen vermieden werden konnten, so Rumland. Etwa mehrere Suizide. Menschen hätten solche Situationen beobachtet, den Alarm ausgelöst und binnen weniger Sekunden oder Minuten sei Sicherheitspersonal am Einsatzort gewesen. Die App, so der Start-up-Gründer, könne aber auch unterwegs in Zügen oder U-Bahnen eingesetzt werden, wenn keine Mitarbeiter an Bord sind. Dann würde immerhin die Funktion helfen, Freunde oder Familien über Gruppen in der App informieren zu können.

Die Münchner Verkehrsgesellschaft, die U-Bahnen, Busse und Trambahnen betreibt, bezeichnet die App als „interessant“, man wolle einen Einsatz noch einmal „anschauen und prüfen“. Um Straftaten vorzubeugen und das Sicherheitsgefühl der Fahrgäste zu erhöhen, setzt die Verkehrsgesellschaft bisher auf die klassischen Maßnahmen: In jedem Fahrzeug und an jedem Bahnhof gebe es die Möglichkeit, direkt mit dem Fahrer oder der Leitstelle zu sprechen, erklärt ein Sprecher. Zudem seien an allen U-Bahnhöfen und in fast allen Fahrzeugen Kameras verbaut. Hinzu komme eine „enge Zusammenarbeit“ etwa mit der Münchner Polizei bei gemeinsamen Streifen mit der U-Bahnwache.

Auch die Deutsche Bahn setzt auf Präsenz mit bundesweit etwa 6000 Beamten der Bundespolizei und 4500 Sicherheitskräften. Denn ein Konzernsprecher konstatiert: „Anspannung und Respektlosigkeiten in der Gesellschaft nehmen zu.“ Gemessen an der Zahl von etwa 20 Millionen Reisenden am Tag sei das Risiko, Opfer einer Straftat zu werden, aber gering. Der Sprecher geht auch auf die Safenow-App ein und betont, dass es beim Thema Sicherheit „keinen Alleingang der DB oder mit einer einzelnen App geben“ dürfe. Bundespolizei, Landespolizei, Rettungskräfte, Verkehrsverbünde und Politik müssten einbezogen werden. Das geschehe in einem nächsten Schritt Richtung Hilferuf-App.

Beim Münchner KJR schlagen die Ergebnisse nach der Veröffentlichung hohe Wellen, auch deshalb hat er zu einer Pressekonferenz geladen. „Wenn Plakate mit Verhaltensregeln zum Thema Sauberkeit in öffentlichen Verkehrsmitteln hängen, warum gibt es keine Informationskampagne zum Thema Sicherheit?“, fragt die KJR-Referentin für junge Politik, Theresa Baum. „Man möchte nicht nur in eine saubere Bahn steigen, man möchte sich dabei auch sicher fühlen, insbesondere nachts.“ Deshalb sei die Frage so wichtig, wie sich junge Menschen in Bus und Bahn wieder sicherer fühlen können.

Das Thema ist für den KJR schon lange aktuell: Seit etwa sechs Jahren wünscht sich die Organisation eine Informationskampagne, mit der das Sicherheitsgefühl junger Menschen gestärkt werden kann. Wie könnte die aussehen? „Fünf Punkte mit Handlungsanweisungen, um Situationen zu entschärfen“, sagt Baum. Etwa den Sicherheitsknopf drücken, das Fahrpersonal informieren, in Extremfällen die Polizei anrufen. Eine solche Kampagne könne „einfach, schnell und kostengünstig“ Aufmerksamkeit schaffen. Angelehnt an den Chat „What’s schmutzig“ der DB, in dem Verschmutzungen in der Bahn durch eine WhatsApp-Nachricht mit Standort und Foto gemeldet werden können, lasse sich ebenso ein Chat für Gefahrensituationen in Betracht ziehen.

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