Ein Kranich war das Todesurteil für meine 5000 Gänse

Sie sind Symbole der Weisheit, des Glücks und der Wachsamkeit. Doch die Bewunderung der Menschen hilft den Kranichen nicht. Die Geflügelpest rafft die stolzen Tiere rund um Berlin zu Tausenden dahin.

Die Linumer Teiche am Nordwestrand Berlins. Hier haben die Kraniche ihre Schlafplätze auf dem Zug von Skandinavien nach Spanien. Hier waren sie sicher vor Fuchs und Marderhund. Doch jeden Morgen finden die Helfer der Naturschutz-Station hunderte tote Kraniche im knietiefen Wasser. Jeder Vogel ein Opfer der Pest.

„Seit Sonntag haben wir mehr als 700 tote Kraniche von zwei Schlafplätzen geholt“, berichtet Heidrum Tilsner von der Kitzhilfe Ostprignitz-Ruppin, die bei der Kadaver-Bergung hilft. Eine anstrengende Arbeit. „Wir müssen Schutzanzug, FFP-3-Masken, Stiefel und Handschuhe tragen“, sagt Tilsner, „von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang.“

„Ein Kranichsterben haben wir bei den Vogelgrippe-Wellen der letzten Jahre noch nie erlebt“, sagt Norbert Schneeweiß vom Landesumweltamt, „bisher waren Enten und Gänse betroffen. Aber die schwimmen alle munter auf den Teichen herum.“ Mehr als 1000 tote Kraniche zählte Brandenburgs Umweltministerium Mittwochfrüh in sechs Landkreisen. Allein in Linum kamen am Mittwoch 120 neue Kadaver dazu.

Warum trifft die Vogelgrippe die Kraniche?

Die Experten stehen vor einem Rätsel: Warum trifft die Seuche die majestätischen Schreitvögel auf der Durchreise? Sind Enten und Gänse durch frühere Wellen gegen das tödliche Virus immun geworden? Wohl kaum. Jetzt hat es auch die Weihnachtsgänse auf dem Spargelhof Kremmen erwischt, 15 Autominuten von Linum entfernt.

„Am Wochenende fanden wir einen Kranich zwischen unseren Gänseherden“, sagt Geschäftsführer Malte Voigts, „tot vom Himmel gefallen.“ Bald darauf wurden die ersten Gänse schlapp, liefen bei Annäherung nicht mehr weg. Am Mittwoch dann die Schock-Nachricht vom Friedrich-Löffler-Institut (FLI): Voigts´ Vögel haben die tödliche Seuche, ergaben Virustests.

Dramatische Folge: Alle 5000 Kremmener Gänse müssen getötet werden. In zwei weiteren Betrieben waren mehr als 9000 Enten und Gänse betroffen. Voigts schätzt seinen Schaden auf 350.000 Euro. „Die Tierseuchen-Kasse zahlt“, sagt er, „Gottseidank!“ Die Weihnachtsgänse für Kunden und Restaurant kauft er jetzt bei anderen Höfen zusammen. Überall in Ostdeutschland.

Auch das Seuchen-Institut FLI rätselt, warum es erstmals die Kraniche trifft. „Der Ausbruch kommt auf dem Höhepunkt ihres Zugs nach Süden“, stellt die Präsidentin fest. Der könnte die Hauptursache sein. Entlang der Route immer neue Schreckens-Meldungen: tote Kraniche im Vogelschutzgebiet Gülper See im Havelland, täglich hunderte Kadaver auf dem Stausee Kelbra in Sachsen-Anhalt.

Ein Ende der Seuche ist nicht abzusehen. Landkreise fordern Geflügelhalter auf, ihre Tiere in Ställe zu bringen. Aber Pflicht ist das (noch) nicht. Eine Fahrt über die Dörfer zeigt: Viele Hobbyzüchter halten sich nicht daran. Nicht mal in Linum. Aber die Großbetriebe: Desinfektion und Kleiderwechsel vor jedem Stallbesuch.

Im Berliner Zoo beobachten sie die Lage genau. „Sollte sich die Situation weiterentwickeln, werden auch wir entsprechende Vorsorgemaßnahmen ergreifen“, sagt eine Sprecherin der B.Z.: von der Verlegung in Winterquartiere bis zum Einschluss in Vogelhaus, Fasanerie und Hühnerhaus. Eine Schließung von Zoo und Tierpark wie 2022 ist aber nicht in Sicht.

Wird die Seuche auch für Menschen zur Gefahr? Ganz klar: Nein! Weder durch den Genuss von Geflügelfleisch oder Eiern, noch durch Hühnerstreicheln. Aber: In den USA ist die Vogelgrippe schon auf Rinder übergesprungen. Und bei denen haben sich dann Viehtreiber angesteckt.

Wie gut, dass es in Berlin und Brandenburg nur Hobby-Cowboys gibt.

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