Einsturzgefahr: Wie sicher sind Frankfurts Schulen?

Wer schon etwas länger beobachtet, was an den Schulen in Frankfurt vor sich geht, der erlebt in diesem Jahr ein Déjà-vu: Die Flure und Treppenhäuser der ehemaligen Textorschule im Stadtteil Sachsenhausen, die bis zu den Sommerferien von der IGS Süd als Hauptgebäude genutzt wurde, mussten mit Stahlträgern und Holzbalken abgestützt werden, damit die Decke nicht einstürzt. Das erinnert an eine andere Frankfurter Schule: Vor zwölf Jahren saßen in der Elisabethenschule im Nordend die Kinder zwischen Baustützen im Klassenzimmer. Auch dort galten die Zwischendecken nicht mehr als sicher.

Die statische Bauqualität der Schulen in Frankfurt bereitet vielen Eltern Sorgen. Sie fragen sich: Sind die Schulen unserer Kinder sicher? Auslöser ist diesmal die IGS Süd: Kurz vor dem Beginn des aktuellen Schuljahres musste die Integrierte Gesamtschule Süd Hals über Kopf umziehen, weil ihr 1907 errichteter Altbau – die ehemalige Textorschule – nicht mehr den Anforderungen an die Tragfähigkeit genügte, die heutzutage an Schulgebäude gestellt werden. Ein Statiker hatte mehrfach Bohrkerne entnommen, untersucht und festgestellt: Der Beton in den Zwischendecken des Gründerzeitbaus war von mangelhafter Qualität.

„Die Schulbauten aus der Gründerzeit weisen zunehmend statische Probleme auf und entsprechen nicht mehr den heutigen Anforderungen“, sagte Bildungsdezernentin Sylvia Weber (SPD) damals im F.A.Z.-Interview. Und sie fügte hinzu: „Auch die Gebäude aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren sind inzwischen stark sanierungsbedürftig, sodass wir vor einem sehr großen Sanierungsstau im Schulbereich stehen, der auch nicht innerhalb von wenigen Jahren abgebaut werden kann. Es ist insgesamt das Ergebnis jahrzehntelanger Vernachlässigung städtischen Eigentums, was viele Schulgemeinden heute leider erleben.“

Tanzen und Klatschen verboten

Was bedeutet das für andere Schulen dieser Baujahre? Heißt das, dass viele Schulgebäude aus der Gründerzeit ähn­liche Probleme haben wie die ehemalige Textorschule und die Elisabethenschule, man diese Probleme aber nicht kennt, weil sie nicht so genau untersucht und kontrolliert worden sind? Müssten womöglich noch viel mehr Schulgebäude aus der Gründerzeit ertüchtigt und gesichert werden, wenn man auch dort Bohrkerne entnehmen und diese überprüfen würde? Handelt es sich also nicht nur um einen Einzelfall, sondern um ein flächendeckendes Problem?

Es ist nicht das erste Mal, dass in jün­gerer Vergangenheit Schulen in Frankfurt gesperrt werden müssen, weil Zweifel an ihrer Tragfähigkeit bestehen. Schon in der Diesterwegschule, die 2022 überstürzt ausziehen musste, war das der Fall. Der hundert Jahre alte Altbau der Grundschule in Ginnheim wird derzeit saniert und erweitert. Auch die Anni-Albers-Schule für Mode und Bekleidung musste 2022 wegen statischer Probleme ihren Altbau schnellstens verlassen. Er wird derzeit instand gesetzt.

Und als 2011 die Belastbarkeit der Decken der Elisabethenschule geprüft wurde, stellte sich heraus, dass auch der Jugendstilbau im Nordend einsturz­gefährdet war. Schwachstelle war der 1908 verwendete Stahlbeton. Im Musikunterricht wurde damals sogar das Tanzen und Klatschen verboten, weil rhythmische Erschütterungen das Gebäude hätten zum Einsturz bringen können. Von 2014 bis 2019 wurde die Elisabethenschule schließlich aufwendig ertüchtigt. Wegen ihrer geringen Tragfähigkeit wurden sämtliche Bestandsdecken ausgetauscht.

Eltern sind verunsichert

Solche Nachrichten verunsichern viele Eltern. Katja Rininsland, Vorsitzende des Stadtelternbeirats, wirft der Stadt vor, ihre Schulgebäude systematisch zu vernachlässigen: „Es ist bedenklich, dass die Schulen nicht regelmäßig gepflegt werden. Es wird nichts gemacht, bis die Schule zusammenbricht.“ Sie fordert, alle Schulgebäude regelmäßig zu überprüfen und auf ihre Tragfähigkeit zu untersuchen, „damit die Sicherheit der gesamten Schulgemeinde gewährleistet werden kann. Wir machen uns Sorgen, weil immer wieder Gebäudeteile abgesperrt werden, ohne dass man den Eindruck hat, dass die Schulen einer regelmäßigen Kontrolle unterliegen.“

In Frankfurt gibt es 170 Schulen in öffentlicher Trägerschaft. Mehr als 40 von ihnen stehen unter Denkmalschutz, viele davon stammen aus der Gründerzeit. Der Bauzustand der Schulen wird nach Auskunft des Bildungsdezernats regelmäßig überprüft: Jede Schule sei einem „Objektverantwortlichen“ zugeordnet, der regelmäßig in den Gebäuden präsent sei. Wenn zum Beispiel Risse auffallen, werde das Bauwerk durch fachkundiges Personal kontrolliert. Außerdem gebe es wiederkehrende Prüfungen in vorgegebenen Abständen, bei denen zum Beispiel die Unterdecken und andere Bauteile kon­trolliert werden. „Hierdurch werden sehr häufig Mängel bereits im Anfangsstadium erkannt“, teilt das Bildungsdezernat mit. „Insofern sind die Schulen, bei denen aktuell statische Beeinträchtigungen vorliegen, bekannt und Maßnahmen zur Gefahrenabwehr eingeleitet.“

Oft fällt jedoch erst bei einer genaueren Untersuchung der Bausubstanz auf, wie schlimm es wirklich um ein Gebäude bestellt ist. Das war bei der IGS Süd der Fall, und auch bei der Diesterwegschule war dies ähnlich. Das Bildungsdezernat sagt: „Unsere Schulgebäude, speziell die, die um die Jahrhundertwende errichtet wurden, unterliegen im Laufe der Zeit einem stetigen Prozess der Bauunterhaltung und Sanierung. Werden in diesem Rahmen strukturelle Defizite in der Bausubstanz festgestellt, erfolgt auch ein Abgleich hinsichtlich gleicher möglicher Gefährdungen bei anderen Schulgebäuden, sofern hier ähnliche Voraussetzungen gelten.“

„Von einem flächendeckenden Problem kann nicht die Rede sein“

Das Amt für Bau und Immobilien prüft dann also, ob auch andere Schulen, die aufgrund ihrer Bauweise oder ihres Bau­alters vergleichbar sind, ähnliche Schäden haben. Beispielsweise wurde in der Bonifatiusschule die Betonqualität untersucht, weil sie eine Ähnlichkeit zur Schule für Mode und Bekleidung aufweist. Die gute Nachricht in diesem Fall: Bisher gab es keine Auffälligkeiten.

Aus den statischen Problemen einer bestimmten Schule lässt sich also keineswegs pauschal ableiten, dass alle Schulen dieser Bauzeit ähnliche Schwierigkeiten haben. Der Zustand der Schulen aus der Gründerzeit sei höchst unterschiedlich, sagt die Stadt. „Von einem flächendeckenden Problem kann nicht die Rede sein. Auch schon um 1900 waren unterschiedlichste Bauweisen und Bauarten etabliert, von denen die meisten sich als sehr robust über die Zeit erwiesen haben“, teilt das Bildungsdezernat mit.

Von einer Materialermüdung wie bei Straßenbrücken, die häufigen Lastwechseln und enormen Be- und Entlastungen ausgesetzt sind, könne bei Schulen auch nicht die Rede sein. Hauptsächlich werde die Bausubstanz durch äußere Umwelteinflüsse, wie zum Beispiel Feuchtigkeit, beeinflusst. Eine derart schlechte Betonqualität wie bei den Decken der Textorschule habe das Amt für Bau und Immobilien in anderen Gebäuden noch nicht vorgefunden. Es sei davon auszugehen, dass Schulgebäude in Deutschland, egal welchen Baujahres, auch nach heutigen Anforderungen für eine ausreichende Nutzlast bemessen wurden. Eher sei unklar, ob über die Zeit durch die Änderung des Deckenaufbaus – neue Bodenbeläge, Estriche, Unterdecken – höhere ständige Belastungen entstanden sind.

Das sagt der Statiker

Auf die unterschiedliche Bauqualität der Gründerzeitschulen macht auch Rolf Klarmann aufmerksam, der der Verei­nigung der Prüfingenieure für Baustatik in Hessen vorsitzt. „Eine Serienfertigung von Standardgebäuden mit einer bestimmten Konstruktionsweise gab es damals noch nicht“, sagt er. Die Schulgebäude folgten nicht einem bestimmten Kons­truktionsprinzip, sondern den Entwürfen der Architekten und Baumeister. „Es wurden Materialen verwendet, die seinerzeit im näheren Umfeld zur Verfügung standen.“ Klarmann vermutet daher, dass es sich um ein individuelles und kein flächendeckendes Problem handelt.

Zur Gründerzeit habe es noch keinen Lieferbeton gegeben, mit einer entsprechenden Qualitätssicherung wie heute. „Damals wurde der Beton auf der Baustelle von Hand gemischt.“ Die Betonqualität sei also von dem Verarbeiter, der Verfügbarkeit des Zuschlages und des zugemischten Bindemittels, also der Zementmenge, abhängig. „Es ist davon auszugehen, dass die Streuung der Betonqualität von damals deutlich höher ist als nach dem Krieg“, sagt Klarmann. Die Festigkeit des Betons nehme im Inneren von Gebäuden aber nicht mit zunehmendem Alter ab, sagt der Prüfingenieur. Die Ermüdung von Baustoffen spiele bei Schulgebäuden allgemein keine Rolle. Und die Abnutzung sei bei Schulgebäuden ebenfalls kein Thema.

Die Stadt verweist darauf, dass mehrere Gebäude mit mangelhafter Betonqualität schon saniert und wieder zur sicheren Nutzung freigegeben worden seien. Viele Schulgebäude aus der Gründerzeit seien bereits überprüft und teilweise auch saniert worden, etwa die Textorschule, Willemerschule, Wilhelm-Merton-Schule, Grundschule Bockenheim, Diesterwegschule, Hostatoschule, Klingerschule und Elisabethenschule.

Hinzu kommen laufende Projekte, deren Bewertung aber zum Teil noch nicht abgeschlossen sei. Ein Verfahren, um die Qualität des Stahlbetons zu überprüfen, ist die Chloriduntersuchung: Sie gibt Hinweise auf Korrosionsschäden an den Bewehrungseisen im Beton. Bei der Linnéschule, deren Nutzlast der Stadt zu­folge eingeschränkt ist, wurde eine solche Chloriduntersuchung beauftragt. In der Theobald-Ziegler-Schule wurden Betonkerne gezogen und geprüft, doch bisher gab es keine negativen Auffälligkeiten. Und auch im Heinrich-von-Gagern-Gymnasium und an der Ziehenschule soll die Betonqualität untersucht werden.

Ein Architekt mit Erfahrung im Schulbau, der namentlich nicht genannt werden will, nimmt die Stadt in Schutz: „Das sta­tische Thema wird sehr ernst genommen. Und wenn es einen Verdacht gibt, dann wird auch gehandelt.“ Die Schulen aus der Gründerzeit hätten keine homogene Struktur. Er sieht mehr Probleme in Gebäuden, die in der Nachkriegszeit erbaut oder verändert wurden, denn im Wiederaufbau sei Stahl knapp gewesen.

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