Erdgas-Aus: Rückbau der Netze könnte Verbraucher teuer zu stehen kommen

Bis spätestens 2045 soll Deutschland klimaneutral werden – und das Heizen mit Erdgas damit Geschichte sein. Doch was passiert mit den rund 450.000 Kilometern Gasverteilnetz, die aktuell noch Millionen Haushalte versorgen? Der Rückbau dieser Gasnetze birgt finanzielle Risiken, vor allem für Verbraucher*innen. Ohne klare politische Regeln könnten die Kosten explodieren.

Gasnetz: Zwischen Flickenteppich und hohen Entgelten

Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) warnt vor einer unkoordinierten Stilllegung der Gasnetze. „Je näher das Jahr 2045 mit dem Ende der Erdgasversorgung rückt, desto größer ist die Gefahr eines Flickenteppichs und erheblichen Verunsicherungen bei den Verbrauchern“, zitiert eine aktuelle Pressemitteilung des VKU dessen Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing. Sicherheit könne die Bundesregierung schaffen, „indem sie klare Regeln für einen geordneten Ausstieg aus dem Erdgas aufstellt“.

Laut einer VKU-Umfrage plane bereits fast jedes fünfte Stadtwerk in Deutschland, sein Netz stillzulegen – bevorzugt in Kombination mit Fernwärme oder Wärmepumpen. 46 Prozent der befragten kommunalen Energieversorger haben allerdings noch keine Entscheidung getroffen. Knapp ein Viertel prüfe eine Teilumstellung auf sogenannte „grüne Gase“ wie Wasserstoff oder Biomethan – hauptsächlich für mittelständische Unternehmen.

Steigen Haushalte schrittweise aus dem Gasnetz aus, verteilen sich die verbleibenden Kosten – insbesondere Betriebsausgaben und Investitionskosten – auf immer weniger Nutzer*innen. Die Netzentgelte steigen. Neben dem VKU forderte daher auch der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) bereits 2024 staatliche Kompensationen, damit „ein sprunghafter Anstieg der Netzentgelte und eine finanzielle Überlastung der Verbraucher:innen verhindert werden kann“.

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Rückbaukosten zwischen 928 und 6.000 Euro

Eine Untersuchung der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen prognostizierte im März 2025 erhebliche Zusatzkosten für Verbraucher*innen.

  • Die Stilllegung eines Gasnetz-Hausanschlusses kostet im Durchschnitt 928 Euro
  • Ein vollständiger Rückbau schlägt im Schnitt mit 1.746 Euro zu Buche, kann im Einzelfall aber bis zu 6.000 Euro kosten

Die Rechtslage ist dabei komplex: Laut Niederspannungsanschlussverordnung (NDAV) liegt das Eigentum am Hausanschluss in der Regel beim Netzbetreiber bis zur Grundstücksgrenze. Wer jedoch die Stilllegung beauftragen muss und wie weit diese reicht, regeln oft kommunale Satzungen, Allgemeine Geschäftsbedingungen oder Technische Anschlussbedingungen.

„Der Weg zur Klimaneutralität darf weder zu einer sozialen Schieflage führen noch dem Mittelstand das Rückgrat brechen“, so Liebing. „Deswegen schlagen wir eine Kombination aus Selbstzahlung und Umstellbonus vor, flankiert von einem Gasnetzkompensationskonto.“ Zusätzlich fordert der VKU den Ausgleich eines Teils der Kosten für Stilllegungen und verkürzte Abschreibungszeiträume über ein Kompensationskonto. Stillgelegte Leitungen, die unter Grundstücken verlaufen, sollen Eigentümer*innen dulden müssen.

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Behörde greift mit „KANU 2.0“ ein

Die Bundesnetzagentur hat bereits reagiert: Mit der neuen Abschreibungsregelung „Kalkulatorische Nutzungsdauern 2.0“ (KANU 2.0) können Gasnetz-Investitionen ab 2025 auf verkürzte Zeiträume abgeschrieben werden – in der Regel bis 2045, in Ausnahmefällen auch bis 2035. Ziel ist es, sogenannte „Stranded Assets“, also ungenutzte, aber noch nicht abgeschriebene Anlagen, zu vermeiden.

Doch auch das bringt kurzfristig höhere Kosten. Denn verkürzte Abschreibungszeiträume bedeuten höhere jährliche Abschreibungen – was sich direkt in den Netzentgelten niederschlägt. Der vzbv warnt daher vor einer Kostenverlagerung von den Netzbetreibern auf die Nutzer*innen und fordert auch hier zusätzliche staatliche Entlastung.

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Wasserstoff ist keine flächendeckende Lösung

„Nach den Festlegungen für das Wasserstoffkernnetz im vergangenen Jahr muss das Bundeswirtschaftsministerium (BMWE) nun rasch die Rechtsgrundlagen und Finanzierung auch für Wasserstoffverteilnetze konkretisieren“, fordert Liebing. Denn schon jetzt prüfen einige Netzbetreiber, Teile der Gasnetze auf Wasserstoff umzustellen. Allerdings kommen wissenschaftliche Studien zu einem eher ernüchternden Ergebnis: Wasserstoff ist im Wärmemarkt ökonomisch und energetisch ineffizient.

Zwar betont Liebing: „Je früher Stadtwerke mit Planung, Genehmigung und Bau beginnen können, desto besser für mittelständische Unternehmen am Gasverteilnetz.“ Für Verbraucher*innen bedeutet das allerdings vor allem hohe Kosten bei geringem Nutzen. So priorisiert eine aktuelle Studie des Kopernikus-Projekts Ariadne klar Wärmepumpen und Fernwärme als zentrale Elemente einer klimaneutralen Wärmeversorgung. Eine Analyse des Fraunhofer-Instituts für Energieinfrastrukturen und Geothermie (Fraunhofer IEG) schließt sich dem an und ergänzt, dass das Heizen mit Wasserstoff zu 74 bis 172 Prozent höheren Kosten für Endkund*innen führen kann – ungeachtet der Umbaukosten für Hausanschlüsse und Heizgeräte.

Die Bundesnetzagentur selbst sieht Wasserstoff vor allem in der Industrie: Ihr genehmigtes Wasserstoff-Kernnetz soll bis 2032 rund 9.040 Kilometer umfassen – primär zur Versorgung großer Abnehmer*innen in der Stahl-, Chemie- oder Energiewirtschaft.

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Kommunale Wärmeplanung soll Klarheit bringen

Entscheidend für die Zukunft der Gasnetze ist die kommunale Wärmeplanung. Seit dem Wärmeplanungsgesetz vom Dezember 2023 sind alle Städte verpflichtet, entsprechende Pläne zu erarbeiten – Städte mit mehr als 100.000 Einwohner*innen bis 30. Juni 2026, kleinere Kommunen bis 30. Juni 2028. Diese Pläne legen fest, welche Quartiere künftig per Wärmenetz, Wärmepumpe oder anderer Technik versorgt werden sollen. Für viele Haushalte bedeutet das: Spätestens mit Veröffentlichung des kommunalen Wärmeplans müssen sie mit dem Rückbau des Gasanschlusses rechnen – und entsprechend investieren.

Was auf dem Papier nach Struktur klingt, läuft in der Praxis allerdings vielerorts nur schleppend. Viele Kommunen kämpfen mit Finanzierungsproblemen, Personalengpässen und überlasteten Verwaltungen. Förderprogramme wie das Bundesprogramm für effiziente Wärmenetze (BEW) oder der Klima- und Transformationsfonds (KTF) wurden zeitweise ausgesetzt oder umgeschichtet – und sorgen für zusätzliche Unsicherheit.

Die Wärmeplanung bleibt deshalb häufig abstrakt: Es fehlen verbindliche Zeitpläne, Budgets und Beteiligungsprozesse. Eigentümerinnen wiederum wissen nicht, ob sie in neue Heiztechnik investieren oder lieber abwarten sollen. So wird die Wärmeplanung zum Nadelöhr – obwohl sie eigentlich Orientierung schaffen sollte.

Quellen: Verband kommunaler Unternehmen; Verbraucherzentrale Bundesverband; Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen; Bundesnetzagentur; „A cost-efficient energy transition: Scenarios for climate neutrality 2045 – Summary“ (Kopernikus-Projekt Ariadne, 2025); „Heizen mit Wasserstoff: Aufwand und Kosten für Haushalte anhand aktueller Daten und Prognosen“ (Fraunhofer IEG, 2025)

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