Wandern
Erst Felsen, dann Hefekuchen: Diese außergewöhnliche Wanderregion erstaunt selbst Profis
Wer hätte das gedacht: Im Müllerthal zeigt Luxemburg seine wilde Seite. Nach einer schönen Wanderung kann man sich bei dieser berühmten Köchin verwöhnen lassen.
Zum Wandern nach Luxemburg. Was für eine Idee? Luxemburg ist
eines der kleinsten Länder Europas, dafür eines der reichsten der Welt und gleichzeitig ein international bedeutender Finanzplatz. Aber auch wenn Luxemburg in dieser Hinsicht der Schweiz ähnelt: Kann man in Luxemburg denn auch wandern wie in der Schweiz? Das Hochalpine fehlt, aber ja, es gibt dort nämlich die sogenannte „kleine Luxemburger Schweiz“, das Müllerthal. Ein Naturparadies, das viele Ausflügler anzieht, international aber noch ein Geheimtipp ist. Dabei ist der Müllerthal Trail bereits mehrfach ausgezeichnet, unter anderem als „Leading Quality Trail – Best of Europe“.
Wer im Müllerthal wandert, taucht ins Grün ein
Wer im Müllerthal wandert, taucht ein ins Grün. Im Sommer scheint das Licht durch die Blätter und lässt eine Palette an Grüntönen entstehen. Hie und da spitzt ein Steinpilz aus dem Boden. Wo auch immer es im Sommer noch sehr grün ist, regnet es aber auch hin und wieder. Die Regenjacke im Gepäck schadet deshalb nicht. Später im Jahr sind dann rot, orange und gelb die dominierenden Farben. Ein typisches Herbstphänomen, der „Indian Summer“, lässt sich beim Gang durch die Laubwälder erleben, sofern das Wetter gut ist.
Immer wieder kommt man beim Wandern durchs Müllerthal an einem Bächlein, einem kleinen Wasserfall oder einem Tümpel vorbei. Sehr schön, aber nicht spektakulär – so fühlt es sich zunächst an. Und plötzlich steht man vor einer senkrechten Felswand aus braunem Sandstein, die im Müllerthal bis zu 40 Meter hoch sein kann und aus der sanften Hügellandschaft ragt. Und wo geht es jetzt weiter? Der Weg führt durch einen schmalen Spalt zwischen den Felswänden und man legt ein Stück des Weges in einer engen Felsenschlucht zurück. Fast stoßen die Schultern an den Stein. Sehr eigen und sehr spektakulär, ganz anders als erwartet.
Der Trail im Müllerthal besteht aus drei Routen
Und so geht es weiter. Kuelscheier oder Rittergang heißen zwei der Spalten, die man durchwandern kann. Ähnliche Abschnitte folgen. Wer
nicht durch die engen Schluchten gehen mag, kann sie auf breiteren Wegen umgehen. Man geht auf weichen Pfaden durch den Wald, ist aber nie fern von Dörfern und Straßen. Manche der Felsen kann man über Treppen erklimmen und so über die Baumwipfel blicken.
Der Müllerthal Trail besteht aus drei Routen und vier Extratouren in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden und Längen. Der Trail –
insgesamt 112 Kilometer – lässt sich klassisch in mehreren Etappen erwandern oder abschnittsweise auch von einem Standort aus. Die ganze Region ist durch Buslinien erschlossen, die wie überall in Luxemburg gratis benutzt werden können, und so lassen sich individuelle Touren zusammenstellen. Aber auch Anbieter von Wanderreisen haben das Müllterthal im Programm. Hotels und Campingplätze gibt es außerdem ausreichend in der Gegend.
Wer auf einer der Routen geht, kommt irgendwann zum Ort Müllerthal.
Dort steht die Heringer Millen, eine restaurierte Getreidemühle aus dem 17. Jahrhundert, die heute als Touristcenter dient. Mit etwas Glück trifft man dort auf Robi Baden, der eigentlich Robert Jean Pierre heißt und eigentlich Schreiner ist, aber wie so oft im Backofen der Mühle ein „Schuedi“, einen luxemburgischen Hefekuchen, gebacken hat. Den muss man probieren.
Nicht von ungefähr lautet sein Spitznahme „Mister Müllerthal“. Robi Baden leitet das Touristcenter und brennt für das Müllerthal. Mahlsteine und Mühlrad werden vorgeführt, auch das muss sein, selbst wenn die Zeit knapp ist. Er lamentiert, dass ihm dieses Jahr die Löwenzahnmarmelade, eine weitere Spezialität der Region, misslungen ist und erzählt von den Kindergruppen, mit denen er Mehl mahlt und Brot bäckt.
In Luxemburg wartet eine süße Überraschung
Mit der Hand fährt er über die Holzbalken in der Mühle. Jedes Stück Holz hier, habe er in den Händen gehalten, ist er stolz und erzählt, dass es früher im Tal noch viele andere Mühlen gab – von der Ölmühle bis zum Sägewerk. Er selbst lebt schon sein ganzes Leben im Müllerthal.
Das könnte auch nicht anders sein, gibt es für ihn doch keinen schöneren Ort. „Wer einmal hier war, kommt immer wieder“, ist er sich sicher.
Und wenn dann doch der Regen kommt? Ein Ausflug in die Hauptstadt des Großherzogtums ist eine Alternative für solche Tage. Die Oberstadt ist das historische Zentrum auf einem Felsplateau. Der Großherzogliche Palast, die Kathedrale Notre-Dame, der Place d’Armes finden sich hier. Mit einem der Aufzüge geht es nach unten in die Unterstadt. Besonders gute Ausblicke bietet der Glasaufzug Pfaffenthal. Auf dem durchsichtigen Boden beim Aufzug zu stehen und ins Alzettetal zu blicken, ist eine Herausforderung – auch wenn der Kopf weiß, dass man hier gut und sicher steht. Wer zu Schwindel neigt, muss aber nicht, es geht auch anders. Die Unterstadt ist romantischer. Alte Brücken, Wasserläufe und enge Gassen lassen sich durchschlendern. Das Pfaffenthal war einst ein klassisches Armenviertel mit vielen kleinen Häusern, die mittlerweile zum Großteil renoviert sind und den Stadtteil sehr malerisch wirken lassen.
Doch zurück in die Oberstadt. Wer Lust auf Madeleines hat, darf sich das Café von Léa Linster nicht entgehen lassen. Die Fernsehköchin ist oft vor Ort, lässt sich aber nicht festlegen. Termine auszumachen sei ihr ein Greuel. Heute ist sie da. Mit ihren 70 Jahren braust sie heran. Jeder wird umarmt. Sie spricht und gestikuliert, empört sich, dass es Menschen gebe, die ihre Madeleines nicht probieren wollten, und ja, den Crémant müsse man auch probieren. Der feinperlige Schaumwein, bei dem die zweite Gärung wie beim Champagner in der Flasche erfolgt, gehört zu Luxemburg, wird hier auch produziert. Luxemburg sei ein kleines Land, aber es gebe alles, da ist sich Léa Linster sicher. Und endlich sitzt sie. Wieder kommt jemand ins Café, den sie persönlich begrüßen muss. Sie springt auf. Sie sei 70 und damit „frei“, betont sie dann im Gespräch. Sie könne machen, was sie wolle. Feiern will sie aber erst den 71. Geburtstag. „Dann weiß ich, dass es gut gegangen ist“, erklärt sie lachend.
Die Luxemburgerin Léa Linster übernahm 1982 das Gasthaus ihrer Eltern in Frisange und baute es zu einem Spitzenrestaurant um. 1987 erhielt ihr Restaurant einen Michelin-Stern, 2018 übernahm Sohn Louis die
Leitung und erhielt einen zweiten Stern. Léa Linster ist nicht nur eine
vielfach ausgezeichnete Köchin in einem Männer-Metier, sondern auch Autorin zahlreicher Kochbücher. Besonderes Augenmerk schenkte sie den Madeleines, die in der Küche meist stiefmütterlich behandelt wurden, im Supermarkt in Tüten verkauft werden. Was an den Linster-Madeleines so besonders ist – außer den Zutaten und der Ausführung: „Die Bäckerin ist anders, es kommt aufs Herz, auf die Liebe an“, erklärt sie. Auch nach drei Tagen würden diese noch schmecken, denn dann komme das Mandelaroma durch, erläutert sie weiter. Leidenschaft und Emotion sind ihr wichtige Zutaten – für die Madeleines, für die Küche und ganz
besonders für das Leben, das schließlich eine Wanderschaft sei.
Die Autorin recherchierte auf Einladung von Visit Luxemburg
und Wikinger Reisen.
Dort sollte das Müllerthal, Schloss Vianden und die Stadt
Luxemburg eingezeichnet sein. Zur Orientierung gut wäre auch Trier und die
Mosel.