Es braucht mehr Gleise als bisher geplant: Verkehrsminister lässt Bahnkunden warten

Eine Auswertung zeigt: Das Schienennetz muss stärker als gedacht ausgebaut werden, sonst droht immer mehr Stau auf der Schiene. Doch Verkehrsminister Schnieder will eher neue Autobahnen.

Nirgendwo in Deutschland leiden die Bahnpendler so sehr wie in Nordrhein-Westfalen. Ein Drittel aller Regional-Express-Linien kamen 2024 an Rhein und Ruhr mit Verspätung an. So schlechte Pünktlichkeitswerte gibt es sonst nur im Fernverkehr der Deutschen Bahn.

Der Hauptgrund dafür ist offensichtlich: Das Schienennetz in NRW ist zu klein dimensioniert. Hier sind die Gleise besonders überlastet. Das liegt auch an einer fehlerhaften Verkehrsplanung. Darauf weist eine Studie des Beratungsunternehmen Railistics im Auftrag der IHK-Initiative Rheinland hin.

Zahl der Güterzüge wurde unterschätzt

Demnach hat das Statistische Bundesamt jahrelang falsch ermittelt, wie viele Güterzüge aus den nahen Seehäfen Rotterdam und Antwerpen tatsächlich über NRW ins deutsche Schienennetz strömen. Inzwischen ist der Fehler zwar korrigiert. Doch die zu niedrigen Zahlen wurden laut der Studie verwendet, um die Verkehrsprognose für den Bundesverkehrswegeplan 2030 zu erstellen. Sie seien deshalb zu niedrig angesetzt, „da sie die Güterverkehrsmengen aus dem benachbarten Ausland nicht ausreichend berücksichtigten“, heißt es in der Studie.

Im Bundesverkehrsministerium ging man also jahrelang davon aus, dass der Bedarf an zusätzlichen Bahngleisen viel geringer ist als tatsächlich. Entsprechend waren die Ausbaupläne nicht ausreichend. Das zeigt sich auch in der Statistik: Bereits 2019 fuhren auf den wichtigen Bahnkorridoren in NRW mehr Güterzüge als laut Bundesverkehrswegeplan im Jahr 2030 zu erwarten waren.

„Auf der Strecke Aachen-Köln wurden im Bundesverkehrswegeplan 2030 zehn Güterzüge pro Tag und je Richtung weniger prognostiziert, als dort bereits 2019 gefahren sind“, sagt Monika Frohn von der IHK Aachen dem Sabo. Dabei seien viele geplante Ausbaumaßnahmen noch gar nicht umgesetzt worden. „Unser Schienennetz ist also viel zu klein dimensioniert.“

Die Bahnpendler stehen im Stau

Welche Folgen das hat, macht die Studie ebenfalls deutlich. Die Engpässe sorgten dafür, „dass es zu einem Konflikt zwischen dem Schienengüter- und Schienenpersonenverkehr kommen wird“. Genau das erleben die Pendler in NRW bereits jeden Tag, wenn ihre Regionalzüge im verstopften Schienennetz stecken bleiben, weil die grenzüberschreitenden Güterzüge Vorfahrt erhalten.

Da der neue Bundesverkehrswegeplan 2040 seinen Vorgänger fortschreibt, droht sich der Fehler weiter fortzusetzen. „Der Ausbau der Schieneninfrastruktur unterbleibt, obwohl dort dringend neue Kapazitäten benötigt werden“, sagt Florian Eck, Geschäftsführer des Lobbyverbands „Deutsches Verkehrsforum“, dem Sabo.

Das Problem dürfte längst nicht nur NRW betreffen, erläutert Eck. Denn die aus Rotterdam und Antwerpen kommenden Züge fahren über NRW vielfach weiter in andere Teile des Landes.

Der Ausbau der Schieneninfrastruktur unterbleibt, obwohl dort dringend neue Kapazitäten benötigt werden. Florian Eck, Geschäftsführer des Deutschen Verkehrsforums

„Daher ist zu befürchten“, sagt Eck, dass diese Unterbewertung des Schienengüterverkehrs nicht nur NRW betreffe, sondern auch den Schienengüterverkehr auf Streckenabschnitten in anderen Bundesländern. In ganz Deutschland dürfte der Bedarf für den Ausbau des Schienennetzes also unterschätzt worden sein und künftig weiter unterschätzt werden.

Mehr Geld gibt’s nur für Autobahnen

Umso mehr fordert Eck Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) auf, mehr Fokus auf den Ausbau des Schienennetzes zu legen. Neben den dringenden Korridorsanierungen seien auch weiterhin Ausbaumaßnahmen für den Schienengüterverkehr erforderlich, „um die Kapazitäten zu erhöhen“. Ansonsten droht immer mehr Stau auf der Schiene mit Konsequenzen für die Fahrgäste oder die Industrie verlagert ihre Transporte auf die Straße.

Eine ausreichende Finanzierung für den Ausbau des Schienennetzes ist dabei auch nach dem jüngsten Koalitionsausschuss nicht in Sicht. So erklärte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) zwar, dass man alle baureifen Projekte zum Ausbau des Schienennetzes in Angriff nehmen werde. Doch zusätzliche Milliarden sicherte Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) nur für den Ausbau von Autobahnen zu.

Dabei geht auch das Verkehrsministerium davon aus, dass bis 2029 mindestens 2,3 Milliarden Euro für den Ausbau des Schienennetzes fehlen werden. So steht es in einer Antwort auf eine Anfrage des Grünen-Bahnpolitikers Matthias Gastel. Mit Blick auf die Berechnungsfehler im Bundesverkehrswegeplan fordert auch Gastel mehr Geld für neue Bahnstrecken. „Wir brauchen ein deutlich ambitionierteres Wachstum für den Schienengüterverkehr.“ Voraussetzung dafür, dass Personen- sowie Güterzüge auf der Schiene rollen könnten, sei die Umsetzung von Neu- und Ausbau.

Ohne zusätzliches Geld könnte unter anderem die Neubaustrecke Frankfurt-Mannheim nicht gebaut werden, die gerade für aus Rotterdam und Antwerpen kommende Güterzüge eine entscheidende Bedeutung hat.

Bleibt der Ausbau der Bahninfrastruktur aus, fürchtet Monika Frohn von der IHK Aachen wirtschaftliche Nachteile im Rheinland und darüber hinaus. „Infrastruktur ist der Standortfaktor Nummer eins“, sagt sie. Pendler, Geschäftsreisende und Güterverkehre müssten auch auf der Schiene planbar ans Ziel kommen.

Viele Pendler in NRW dürften die Frage, ob ihr Alltag mit der Bahn noch planbar ist, eher verneinen.

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