Die EU beschließt ein Aus für Flüssiggaseinfuhren aus Russland – und will russisches Auslandsvermögen nutzen. Bundeskanzler Merz setzt noch einen anderen Schwerpunkt.
Noch vor dem Gipfeltreffen am Donnerstag in Brüssel machte sich Erleichterung in Europas Hauptstädten breit. Die US-Regierung verhängt Sanktionen gegen russische Ölkonzerne. Und US-Präsident Donald Trump wird doch nicht nach Budapest fliegen, um dort mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über die Ukraine zu beraten.
Das zerstreut die schlimmsten Befürchtungen in Europa. Diese waren aufgekommen, weil Trump zuvor bei seinem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj erhebliche Gebietsabtretungen an Russland verlangt hatte. Einen „Friedensschluss“ über die Köpfe der Ukrainer und Europäer hinweg wollen die EU-Chefs nicht akzeptieren.
Um den Druck auf Putin weiter zu erhöhen, beschließen sie das 19. Sanktionspaket gegen Russland mit einem weitgehenden Stopp sämtlicher Energielieferungen. Erstmals wird jetzt ein Einfuhrverbot für russisches Flüssigerdgas (LNG) ausgesprochen. Zuletzt hatte nur noch die Slowakei die Einigung blockiert. Deren Regierungschef Robert Fico wollte zunächst über die Rettung der europäischen Autoindustrie sprechen. Allerdings hatte Bundeskanzler Friedrich Merz vorher in einem Vieraugengespräch mit Fico einen Ausweg gesucht.
Im Zentrum des Gipfels steht jedoch die Nutzung des russischen Auslandsvermögens zur Unterstützung für die Ukraine. Im nunmehr dritten Kriegsjahr fehlen dem Land nach neuesten Schätzungen rund 100 Milliarden Euro, um sich in den kommenden beiden Jahren gegen die vordringenden Russen behaupten zu können. Da die USA für die weitere Unterstützung Kiews weitgehend ausfallen, müssen die Europäer die Lücke schließen. Allerdings sinkt auch in den Hauptstädten der EU die Bereitschaft, die Steuerzahler und nationalen Haushalte in noch stärkerem Maße in die Pflicht zu nehmen.
Kiew soll Moskaus Geld erhalten
Deshalb will der EU-Rat die eingefrorenen russischen Vermögen, die bei der Treuhandgesellschaft Euroclear in Brüssel eingelagert sind, in eine Art „Reparationsanleihe“ zugunsten Kiews umwandeln. Von den bei Euroclear befindlichen 230 Milliarden Euro russischer Staatsanleihen sind 185 Milliarden verfügbar. Weitere 45 Milliarden werden benötigt, um Hilfskredite für die Ukraine zu bedienen, sodass es aktuell um eine Summe von 140 Milliarden Euro liquider Mittel geht.
Die EU wolle das Geld nicht beschlagnahmen, heißt es in Kreisen der Bundesregierung. Aber Bundeskanzler Friedrich Merz hat sich vor dem EU-Gipfel ausdrücklich dafür starkgemacht, die Moskauer Zentralbankgelder anders zu nutzen, ohne dass Russland sein Eigentumsrecht an seinen Staatsanleihen verliert. Der EU-Rat wird deshalb die Kommission beauftragen, die Umwandlung der 140 Milliarden Euro in eine EU-Anleihe in die Wege zu leiten, die wiederum in Tranchen als Darlehen an die Ukraine weitergereicht werden. Die Regierung in Kiew muss, so die Konstruktion, nach einem Ende des Kriegs das Geld zurückzahlen, allerdings nur, wenn Russland Reparationen leistet – wovon allerdings in Europa niemand ausgeht.
EU-Staaten bürgen für Ukraine-Kredit
Für den Bestand des umgewandelten Kredits bürgen die EU-Staaten. Damit kommt man den Bedenken der belgischen Regierung entgegen, die fürchtet, als Sitzland von Euroclear in Brüssel von Moskau auf Rückzahlung der 140 Milliarden Euro verklagt zu werden. Die EU-Kommission arbeitet deshalb an einer wasserdichten Haftungsfreistellung für die belgische Regierung, heißt es in Regierungskreisen in Berlin. Das Geld soll nach dem Willen der Bundesregierung jedoch ausschließlich für die militärische Ausrüstung der Ukraine verwendet werden. In diesem Zusammenhang werden die EU-Chefs auch über die Finanzierung der europäischen Aufrüstung beraten, die bislang „nicht richtig vorankommt“, wie es in Berlin heißt. Der bislang von Brüssel aufgelegte 150-Milliarden-Euro-Topf sei „nur ein erster Schritt“, heißt es in Regierungskreisen. Gemeinsame Anleihen in Form von „Verteidigungsbonds“ lehnt Deutschland nach wie vor strikt ab.
Zwölf-Punkte-Plan für Frieden
Beim Gipfel werden die EU-Chefs zusammen mit Selenskyj auch einen Zwölf-Punkte-Plan beraten, um den Krieg Russlands gegen die Ukraine entlang der aktuellen Frontlinien zu beenden. Die Forderung Moskaus, Kiew solle für Verhandlungen über eine Waffenruhe auch noch nicht eroberte Gebiete an Russland abtreten, wird einhellig zurückgewiesen. Über einen Weg zur Beendigung der Kampfhandlungen will Nato-Generalsekretär Mark Rutte mit Trump in Washington sprechen. Die Europäer verfolgen anders als die US-Regierung das Ziel, die Ukraine möglichst stark zu machen, bevor Trump und Putin irgendwann über deren Schicksal verhandeln. „Selenskyj braucht keine westliche Hilfe, um zu kapitulieren“, sagte die finnische Außenministerin Elina Valtonen. „Sondern er braucht Hilfe, um zu verteidigen, was wir wertschätzen: die Freiheit.“
Merz drängt von der Leyen
Ein weiterer Punkt der Beratungen gilt der Steigerung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit und dem damit verbundenen Ziel eines entschlossenen Bürokratieabbaus. Für die Bundesregierung sei das ein „zentrales Thema“, heißt es in Berlin. Merz verlange von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen „echten Kulturwandel“. Von der Leyen nimmt heute an dem Gipfel teil und stellt ihren Plan zur Vereinfachung vor. Allerdings ließ Merz mit Blick auf die entsprechenden Omnibus-Pakete der Kommission schon vorab wissen, dass das bislang Erreichte nicht genug sei. Es gehe nicht nur um punktuelle Erleichterungen, sondern auch um Rücknahme von Gesetzen und Vorhaben. Es müsse, so lautet das Votum des Kanzlers, der „Grundsatz der legislativen Zurückhaltung“ gelten.
Debatte um Klimaziele
Noch keine Einigkeit hat der EU-Rat bei den Klimazielen gefunden. Während der Großteil der osteuropäischen EU-Staaten das Klimaziel 2040 mit einer 90-prozentigen Emissionsreduktion streichen will, verlangen Spanien und die skandinavischen Länder dessen Einhaltung. Deutschland bewegt sich zwischen diesen Positionen. Man halte an dem Ziel fest, Europa 2050 klimaneutral zu machen, heißt es in Regierungskreisen. Aber mit Rücksicht auf Industrie und Arbeitsplätze und mit Blick auf die zunehmende Abwanderung von Unternehmen in außereuropäische Standorte müsse „Realitätssinn und Pragmatismus“ ebenso gelten wie die Offenheit für Technologien zur CO2-Minderung.
Sorge um Seltene Erden
Wegen der aktuellen Exportbeschränkungen Chinas für Seltene Erden und des akuten Mangels haben die Staats- und Regierungschefs das Thema zusätzlich auf die Tagesordnung genommen. In zahlreichen europäischen Unternehmen wie beispielsweise bei Volkswagen droht ein Stillstand der Produktion, weshalb die EU-Regierungen „in echter Sorge“ seien. Zum einen soll deshalb ein Weg für rasche Verhandlungen mit Peking gefunden werden, heißt es in Brüssel. Zum anderen wird aber auch überlegt, wie man die Gesprächsbereitschaft Chinas mit Gegenmaßnahmen fördern könne.
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