EU to Ease Emissions Trading System

Seit Monaten wird in Brüssel über ein neues Klimaziel für das Jahr 2040 diskutiert. Im Raum steht der Vorschlag der EU-Kommission, die Treibhausgasemissionen um 90 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 zu reduzieren. Auch ein Zwischenziel für 2035, welches die

EU

Ende September zur Vorbereitung der Klimakonferenz in Brasilien beim Klimasekretariat der Vereinten Nationen hätte einreichen müssen, ist immer noch nicht gefunden. Gleichzeitig gerät das zentrale Instrument zur Erreichung der europäischen Klimaziele, der Emissionshandel, immer stärker unter Druck. So stark, dass sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nun gezwungen sieht, zu reagieren. In einem seit Montagabend in Brüssel kursierenden Schreiben an die europäischen Staats- und Regierungschefs verteidigt sie die Klimapolitik der EU im Grundsatz, kündigt aber im Detail einige Änderungen vor allem mit Blick auf den Emissionshandel für Verkehr und Gebäude (ETS2) an.

Der ETS2 soll im Januar 2027 EU-weit an den Start gehen. In Deutschland soll er die seit 2021 geltenden CO

2

-Preise von derzeit 55 Euro je Tonne auf Benzin, Diesel, Heizöl und Erdgas ablösen. Die meisten Forscher gehen davon aus, dass sich der Preis zu Beginn des ETS2 zwischen 50 und 75 Euro einpendelt, danach allerdings sehr stark steigen könnte. Insbesondere in Mittel- und Osteuropa ist die Furcht groß – so groß, dass mehrere Länder mittlerweile für eine Verschiebung der Einführung „mindestens“ bis ins Jahr 2030 plädieren. „Angesichts des anhaltenden Inflationsdrucks, der Herausforderungen hinsichtlich der Bezahlbarkeit von Energie und der geopolitischen Instabilität birgt die Einführung des ETS2 im Jahr 2027 die Gefahr, unbeabsichtigte soziale, wirtschaftliche und politische Verwerfungen auszulösen“, heißt es in einem an von der Leyen gerichteten Brief, den wohl mindestens Polen, die Tschechische Republik, die Slowakei, Zypern und Ungarn unterschreiben wollen. Sie äußern darin Bedenken mit Blick auf begrenzte Alternativen im öffentlichen Nahverkehr, verbreitete Energiearmut, geringe Sanierungsraten und die geringe Verbreitung von Elektroautos in ihren Ländern, für deren Behebung der finanzielle Spielraum zudem begrenzt sei.

Künftige Einnahmen heute schon nutzen

Kommissionspräsidentin von der Leyen hingegen verteidigt nun die Einführung des ETS2 im Januar 2027, gesteht aber auch ein, dass er „schrittweise und behutsam“ eingeführt werden müsse. Es sei im gemeinsamen Interesse der Kommission und der Mitgliedstaaten, „einen geordneten Start des Marktes und eine vorhersehbare Preisentwicklung sicherzustellen“. Konkret soll zum einen die sogenannte Marktstabilitätsreserve (MSR) gestärkt werden. Nach derzeitigem Stand soll sie von 2027 bis 2030 eine begrenzte Zahl zusätzlicher Zertifikate in den Markt geben, wenn der Preis für eine Tonne CO

2

mehr als 45 Euro je Tonne beträgt, und so dafür sorgen, dass Preisspitzen abgefedert werden. 45 Euro entsprechen einem Aufschlag von rund neun Cent je Liter Benzin und elf Cent je Liter Diesel.

Zum anderen erwägt die Kommission, künftige Einnahmen aus dem ETS2 vorzuziehen („Frontloading“) und sie früher als geplant zur Förderung klimafreundlicher Investitionen zur Verfügung zu stellen. Denkbar ist, das Geld in den neu eingerichteten Klimasozialfonds fließen zu lassen. Die EU-Länder könnten damit dann Maßnahmen wie die Sanierung von Gebäuden oder die Anschaffung von Elektroautos fördern oder in den sozialen Ausgleich investieren, etwa ein Klimageld. Profitieren sollen insbesondere Haushalte mit niedrigem oder mittlerem Einkommen; Gespräche dazu mit der Europäischen Investitionsbank laufen. Auch Abgeordnete des Europäischen Parlaments hatten sich kürzlich dafür eingesetzt, diesen Ansatz zu stärken.

„Eher kurzfristige Schmerztablette“

Bernd Weber, Geschäftsführer der Denkfabrik Epico, glaubt, dass sich bis 2027 mindestens 50 Milliarden Euro mobilisieren ließen, wenn 50 Prozent der Einnahmen der Jahre 2033 bis 2035 vorgezogen würden. Insgesamt gehe es darum, das Instrument „intelligent nachzujustieren – nicht, es auf Eis zu legen“. Die nun von der Kommissionspräsidentin vorgeschlagenen Ansätze seien eine „kluge Kombination von Maßnahmen“. Mit einer Stärkung der MSR ließe sich der Preis stabilisieren, mit dem Frontloading ein sozialer Ausgleich schaffen und Investitionen anreizen. Es komme allerdings sehr stark auf die Ausgestaltung an.

Analysen von Epico zeigen, dass eine funktionierende MSR zu einem Startpreis von 50 bis 75 Euro je Tonne CO

2

führen könnte und den Preisanstieg gleichmäßiger verlaufen ließe. Die Stärkung der MSR sei allerdings „eher eine kurzfristige Schmerztablette, keine dauerhafte Lösung“. Langfristig werde ein gewisses Preisniveau benötigt, um klimafreundliche Investitionen anzureizen. „Eine zu starke Preisglättung würde die Anreize für frühe Emissionsminderungen abschwächen und später zu höheren Anpassungskosten führen“, sagt Weber. Ein Vorteil der beiden Ansätze sei zudem, dass die Kommission die Änderungen vermutlich im Alleingang durchsetzen könnte.

Weniger kostenlose Zuteilungen für Industrie

Doch nicht nur der in den Startlöchern stehende Emissionshandel für Verkehr und Gebäude gerät zunehmend unter Druck. Auch die Klagen über den schon seit 2005 existierenden europäischen Emissionshandel für Energie und Industrie (ETS1) werden immer lauter, insbesondere in der deutschen energieintensiven Industrie. Diese erhielt bislang jedes Jahr kostenlose Zertifikate zugeteilt, weil sie im internationalen Wettbewerb steht. Von Januar an soll die Anzahl dieser Zertifikate schrittweise abgeschmolzen werden, weil der Grenzausgleichsmechanismus CBAM an den Start gehen soll. Von 2034 an soll er vollständig greifen, dann soll es überhaupt keine kostenlosen Zertifikate mehr geben.

Von der Leyen schreibt in ihrem Brief an die Staats- und Regierungschefs, sie teile „manche“ der Bedenken. Nach 2030 müsse der ETS1 „einen realistischen und realisierbaren Dekarbonisierungspfad für die energieintensive Industrie sicherstellen“. In dem Zusammenhang plädiert sie dafür, der Industrie die Entfernung von CO

2

aus der Atmosphäre (CDR) zu erlauben und dies im Emissionshandel anzurechnen. Außerdem werde die Kommission bis Ende des Jahres Vorschläge vorlegen, den CBAM zu stärken: Nachgelagerte Produkte sollen in den Mechanismus mit aufgenommen, Maßnahmen gegen die Umgehung beschlossen werden. Auf die Forderungen aus der deutschen Industrie sowie der Bundesregierung nach einer Verlängerung der kostenlosen Zuteilung im kommenden Jahr geht sie jedoch nicht ein.

Von 2039 an soll es im ETS1 überhaupt keine neuen Zertifikate mehr geben. Das bedeutet nicht, dass Unternehmen keine Emissionen mehr ausstoßen dürfen; sie müssen allerdings vor 2039 entsprechende Zertifikate erwerben.

Leave a Comment