Europas Chip-Autonomie ist eine Illusion

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Europas Chip-Autonomie ist eine Illusion

NAus der Abhängigkeit fremder Zulieferer kommt Europa nicht heraus. Doch das muss kein Problem sein. Der Leitartikel

Die Herstellung von Halbleitern gehört zu den aufwendigsten und kompliziertesten Produktionsketten der Industrie, und deshalb sind zwei Dinge stets sicher: Irgendwann wird es irgendwo Probleme geben. Und alle werden überrascht sein.

So geschieht es jetzt mit dem Chip-Produzenten Nexperia, der einst zum niederländischen Philips-Konzern gehörte und an die chinesische Wingtech-Gruppe verkauft wurde. Wegen des Hightech-Unternehmens vor der Haustür geriet die niederländische Regierung zwischen die Fronten des amerikanisch-chinesischen Technologiekonflikts und handelte drastisch: Der Staat hat die Kontrolle über Nexperia übernommen, um Versorgung und Sicherheit der Industrie zu garantieren. Der Erfolg ist mäßig, denn Nexperia warnt trotzdem vor einem Lieferstopp. Kunden in der Autoindustrie richten sich auf Stillstand und Kurzarbeit ein.

An diesem Fall ist vieles speziell und nicht alles überraschend. So war es schon 2018 eine umstrittene Idee, einen europäischen Chiphersteller an ein teilweise staatliches chinesisches Unternehmen zu verkaufen. Die danach oft angemeldeten Bedenken der US-Regierung versuchten die Niederlande offenbar auszusitzen. Jetzt wirkt die staatliche Machtübernahme beim europäischen Teil von Nexperia wie eine Verzweiflungstat.

Im Ergebnis hat sie nichts besser gemacht. Wegen der weltweiten Produktionskette fallen trotz der Intervention Den Haags Lieferungen aus. Dabei geht es zwar um vergleichsweise schlichte Massenware, aber auch diese braucht ein Auto zum Fahren. Und sie ist wiederum nicht so schlicht, dass mal schnell andere Produzenten einspringen könnten. Die Autozulieferer als wichtigste Abnehmer sind auf solche Ausfälle zwar besser vorbereitet als früher, aber niemand kann es sich leisten, Vorräte für Monate anzulegen.

Erinnerungen an die Pandemie werden wach, als Fabrikschließungen in Asien und Chaos im Welthandel zu Chipmangel führten. Davon aufgeschreckt, machte Europa große Pläne zum Ausbau seiner eigenen Halbleiterproduktion, aus denen bisher aber wenig geworden ist.

Das ist kein Wunder, denn so richtig es ist, diese Schlüsseltechnologie in Europa zu stärken: Echte Autonomie in der Chip-Versorgung ist eine Illusion. Sie scheitert an Rohstoffen, Know-how, gigantischem Investitions- und Ressourcenbedarf sowie der enormen Vielfalt der Anwendungen und benötigten Technologien. Wer das komplett für einen Kontinent abbilden will, braucht Jahrzehnte und gibt Unsummen aus. Rendite ist nicht zu erwarten, weil das Ergebnis ineffizient wäre.

So ist die Chip-Fertigung das Paradebeispiel für eine vernetzte Weltwirtschaft und ihre Abhängigkeiten. Die kann man verringern und Risiken besser kontrollieren. Wer das nur reflexhaft beklagt, vergisst die gute Seite: Es ist im Moment ein stabilisierender Faktor in der Weltpolitik, dass China und der Westen technologisch aufeinander angewiesen sind – für Produktionstechnik auf der einen und Rohstoffe auf der anderen Seite. Bräuchten sie einander nicht, wäre die Welt ein noch gefährlicherer Ort.

Abhängigkeit gefährdet nicht die Sicherheit, solange sie gegenseitig ist. Hier allerdings fängt das Problem der Europäer an: Unter den drei größten Wirtschaftsmächten der Welt haben sie den anderen im Moment am wenigsten zu bieten. Das liegt auch daran, dass man hier gern mit großer Geste Aufholjagden zu unerreichbaren Zielen inszeniert – statt sich auf das zu konzentrieren, was Vorsprung verspricht.

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