Extremismus selbst an Grundschulen: Verfassungsschützerin informiert Lehrkräfte in Kassel

Hitlergruß an Grundschule

Extremismus selbst an Grundschulen: Verfassungsschützerin informiert Lehrkräfte in Kassel

Verfassungsschützerin Lea Plavcic spricht von einer zunehmenden Radikalisierung Minderjähriger. In Kassel informierte sie Lehrkräfte über die „Tiktokisierung“ des Extremismus.

Kassel – Das Video ist nur etwa 20 Sekunden lang. Schnell geschnitten und unterlegt mit ebenso schneller Musik, zeigt es Aufnahmen von jungen Männern beim Kampfsport. Zunächst laufen sie gemeinsam durch den Wald, dann trainieren sie auf einer Lichtung. Vier Worte erscheinen nacheinander auf dem Bildschirm: „Werdet aktiv, bildet Banden.“

Tagung für Lehrkräfte in Kassel

Es ist eins von vielen Videos, die Lea Plavcic, Mitarbeiterin des Hessischen Landesamtes für Verfassungsschutzes, am Dienstag etwa 100 Lehrkräften aus der Region zeigte. Anlass ist eine Tagung der Ständigen Kooperationskonferenz Kassel, ein Gremium aller an der Lehrkräftebildung beteiligten Institutionen. Alle Videos, die Plavcic während ihres Vortrages zeigte, geben einen Einblick, auf welche Art und Weise Extremisten Plattformen wie Tiktok nutzen, um junge Menschen für ihre Ziele zu gewinnen.

Das Video mit den Aufnahmen aus dem Kampfsporttraining sei von der bayerischen Gruppe „Lederhosen Revolte“ veröffentlicht worden, sagt Plavcic. Laut Verfassungsschutz handelt es sich um eine Regionalgruppe der gesichert rechtsextremen Identitären Bewegung. Plavcic sagt, in dem Video sei für Social-Media-Nutzer zunächst kein extremistischer Inhalt erkennbar. Videos von Kampftrainingseinheiten oder auch von Wanderungen oder anderen Freizeitaktivitäten zu veröffentlichen, sei eine typische Herangehensweise extremistischer Gruppen, um junge Menschen auf sich aufmerksam zu machen.

Extremismus auch in Hessen ein Problem

Beispielsweise auch die Gruppen „Deutsche Jugend Voran“, „Der Störtrupp“ oder „Jung und Stark“ nutzten Plattformen wie Tiktok, um junge Menschen zu rekrutieren und dann zu mobilisieren. Auch in Hessen sei das ein Problem. Im September hatte „Der Störtrupp“ in Trendelburg (Landkreis Kassel) wie berichtet gezeltet und ein „Sommerlager“ veranstaltet.

Plavcic spricht von einer „Tiktokisierung“ des Extremismus. Ziel der Social-Media-Beiträge sei es, junge Menschen an Extremismus in ihrem Alltag zu gewöhnen. „Weil es Extremisten immer wieder schaffen, Trends zu erzeugen, mit denen junge Menschen automatisch anhand ihrer Algorithmen konfrontiert werden, ist es schwierig, dem Extremismus in den sozialen Medien zu entfliehen.“

Sogar an Grundschulen gebe es rechtsextremistische Vorfälle. Nachdem das Wehrmachtslied „Erika“ zum Tiktok-Trend geworden sei, habe eine hessische Grundschülerin das Lied abgespielt, und ein Mitschüler habe daraufhin den Hitlergruß gezeigt, sagt Plavcic.

Hitler-Fan-Videos auf Tiktok

Auch Videos, die den Nationalsozialismus verherrlichen, verbreiteten sich auf Tiktok. „Es gibt zahlreiche Fan-Edits zu Adolf Hitler und Eva Braun mit beachtlichen Reichweiten.“ Zwei dieser Hitler-Fan-Videos, die die Verfassungsschützerin am Dienstag zeigte, haben auf Tiktok 23.000 und 37.000 Likes. Einer der Kommentare ist: „Hoffe, er kommt wieder.“

Auch Videos von salafistischen Predigern zeigte Lea Plavcic in ihrem Vortrag. Eine häufig verwendete Methode, um junge Menschen zu erreichen, seien etwa Videos im sogenannten „Frage-und-Antwort-Format“. Dabei antworten die Prediger kurz und kompakt auf alle Fragen, die ihnen von jungen Menschen gestellt werden. In einem Video sagt ein Prediger, es sei falsch, für die Bundeswehr oder die Polizei zu arbeiten, und impliziert, dass diese ein „ungerechtes“ System verkörperten.

Zunehmende Radikalisierung junger Menschen

„Wir sehen eine zunehmende Radikalisierung von Minderjährigen“, sagt Plavcic. „Die Gewaltbereitschaft in allen extremistischen Phänomenbereichen hat zugenommen, und wenn wir von versuchten oder verhinderten Anschlägen sprechen, sprechen wir immer häufiger von 13-, 14-, 15-jährigen Tatverdächtigen.“ Grund für die Entwicklung sei auch die Mobilisierung über Social Media. „Noch nie zuvor konnten Extremisten so einfach junge Menschen erreichen.“

Es gebe aber auch andere Faktoren. „Kein junger Mensch radikalisiert sich ausschließlich aufgrund sozialer Netzwerke. Es stecken immer soziopsychologische Grundbedürfnisse dahinter, die mit Extremismus dysfunktional kompensiert werden.“ Seit der Corona-Pandemie würden beispielsweise immer mehr junge Menschen angeben, sich ohnmächtig und alleingelassen zu fühlen. Viele suchten nach einer stabilen Identität und nach moralischer Eindeutigkeit in einer komplexen Welt. Das würden sich Extremisten zu Nutze machen.

Nach dem Vortrag besuchten die Lehrkräfte am Dienstag noch Seminare zum Thema Extremismus. Lea Plavcic machte zudem darauf aufmerksam, dass der Verfassungsschutz Schulen mit extremistischen Vorfällen zum Beispiel durch Mediationsgespräche unterstütze.

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