Goslar / Düsseldorf. Hohe Ehrung: Die Düsseldorfer Bildhauerin Katharina Fritsch bekommt den 50. Kaiserring der Stadt Goslar – und fasziniert in der Kaiserpfalz mit einer sehenswerten Schau im dortigen Mönchehaus Museum.
Als Katharina Fritsch unlängst den Kaiserring der Stadt Goslar erhielt – eine der international wichtigsten Auszeichnungen in der modernen Kunst – ging es umgehend ins Mönchehaus Museum. Dort hatte die Düsseldorfer Bildhauerin eine Ausstellung vorbereitet hatte. Einer der Blickpunkte: die Doppelskulptur „Zwei Männer“, für die ihr Künstlerfreund Matthias Lahme und ihr ehemaliger Akademie-Kollege Robert Fleck Modell gestanden hatten. In ihr wird die ganze Meisterschaft von Fritsch deutlich, denn die Figuren ähneln sehr genau ihren Vorbildern und sind doch in der Farbgestaltung so auratisch, weil die Farbpigmente abstrahlen.
Matthias Lahme war bis vor kurzem Professor und Prorektor der Düsseldorfer Kunstakademie sowie Kurator in den Deichtorhallen Hamburg, wo er Katharina Fritsch ausgestellt hatte. Als Modelle sind sie gestandene Männer, aber auch Allerweltsfiguren. Sie stehen lässig, Fleck mit einem leicht eingeknickten Bein, Lahme mit etwas strammer in der Haltung. Beide tragen kurze Jackenmäntel, Lahme mit Kapuze, Fleck mit kleinem Stehkragen. Beide halten das Handy vor sich, Fleck guckt mit gebeugtem Kopf darauf, während Lahme wegschaut, eher zum Publikum zu blicken scheint. Betrachtet man die Gestalten von hinten, entdeckt man einen feinen Rhythmus in der Haltung, im Hänger mit Kapuze bei Lahme, im leicht taillierten Mantel bei Fleck.
Beide Figuren haben dieselbe Größe von 1,79 Meter, sind aus Polyester und Farbe. Sie stehen auf dem Boden völlig frei, ohne Verankerung oder Halterung. Um die Mischung aus Individuum und Kollektiv zu erhalten, hat die Künstlerin die Jacken, Hosen und Schuhe ihrer Modelle genau bestimmt. Bevor sie die Gestalten im Museum aufstellen ließ, fertigte sie Schablonen, damit ihre Position zueinander und miteinander eingehalten werden.
Den Figuren liegt ein 3D-Scan der lebenden Personen in ihrem Atelier zugrunde, aber der Scan ist rudimentär und muss in Gips abgeformt und komplett frei modelliert werden. Kopf und Hände werden direkt in Gips abgegossen. Lahme erzählt über die Prozedur mit der Gesichtsmaske. Der Gips sei ganz warm auf der Haut gewesen, dabei sei er getrocknet und konnte abgenommen werden. Beide mehrteiligen, gipsernen, modellierten Ganzfiguren werden schließlich als Positive in Polyester abgegossen.
Danach beginnt die Prozedur der Farbgebung, auf die die Künstlerin besonderen Wert legt. Sie mischt die Farben aus Pigmenten, Bindemittel und Lösungsmittel selbst und spritzt sie in mehreren Lagen in bis zu 30 Durchgängen auch selbst. Ihre verführerische Wirkung entsteht durch eine samtige Mattheit des tiefen, satten Ultramarinblau. Der taktile Reiz der makellosen Oberfläche ist faszinierend. Obwohl beide Figuren als Allerweltsmänner konzipiert sind, lassen sie sich nicht fassen. Je mehr man sie umrundet, desto weniger erfasst man sie. Ihre Aura entsteht ausschließlich durch den Aufbau der Farbe.
So existieren denn diese figurativen Skulpturen in einer seltsamen Spannung aus Nähe und Distanz, aus eingefrorener Realität und großer, leuchtender Strahlkraft. Man versucht, ihren Blick zu erhaschen, aber es gelingt nicht ganz. Sie sind mit ihrem Handy beschäftigt. Das wiederum ist typisch für unsere Gesellschaft. Sie lebt wie in einer Blase, bei Katharina Fritsch in der eigenen Aura. Was faszinierend ist, ist zugleich abstoßend, aber auch komisch. Niemand sieht es diesem Zusammenspiel zweier Figuren an, dass ihre Verwirklichung zwei Jahre Arbeit war.
Auch andere Werke in Goslar wie „Hohle Maus“, „Muschel (rot)“ oder das Modell des Hahns sind ambivalent, sind anziehend und abstoßend. Das gilt besonders für „Hand (Menetekel)“ aus Gips und einer merkwürdig milchig-grünstichigen Acrylfarbe. Es ist der Abguss der eigenen Hand. Sie hat mit ihrem erhobenen Zeigefinger das menschliche Maß. Aber indem sie auf einer hohen, schlanken Säule steht, hat sie etwas Obsessives, ist das Symbol einer Grundangst in unserer unsicheren Zeit. Diese Spannung zwischen den kollektiven Erfahrungen und den klaren, präzisen Formen zeichnet ihr Werk aus.
Info „Katharina Fritsch – Kaiserring der Stadt Goslar“ ist der Titel der Ausstellung im Mönchehaus Museum, Mönchestraße 1. Sie läuft bis 18. Januar 2026, Öffnungszeiten Dienstag bis Sonntag 11 – 17 Uhr
(H.M. / los)
