VON MIDIA NURI
Geld ist offenbar genug vorhanden in Deutschland. Nur es ist nicht dort, wo es sein sollte, damit viele davon profitieren. „33 Billionen Euro liegen in Deutschland unverzinst auf Spar- und Girokonten herum“, sagt Nurten Erdogan, Finanzchefin von ING Deutschland, auf dem Frankfurt Finance & Future Summit der WEIMER MEDIA GROUP. „70 Prozent des hierzulande Ersparten.“ Das Geld liegt damit brach. Andererseits werden hunderte Millionen Euro gebraucht. „Energiewende, Verkehr, Infrastruktur, Verteidigung, Sozialsysteme“, zählt Hans-Jürgen Walter auf, Global Leader Transition Finance der Unternehmensberatung Deloitte auf. „Hierfür bekommen wir nicht genügend privates Kapital.“
Um das Kapital sinnvoller zu lenken, sei Finanzbildung wichtig, ist Erdogan überzeugt. „Wir müssen in die Schulen und dafür sorgen, dass sich unsere Kinder – und auch die Erwachsenen – trauen zu investieren.“ Mit wir meint sie auch Banken und Politik. „Nur zehn Prozent dieser privat unverzinst liegenden Summe wäre ein Riesenschub für Innovation“, sagt die Finanzchefin der ING Deutschland. Auch Innovation werde dringend gebraucht. „Ohne Investition keine Innovation und ohne die kein Wachstum.“
Ansätze, das Geld der Privatleute gezielter anzulegen, gibt es aus Sicht von Nicola Beer, Vizepräsidentin der Europäische Investitionsbank (EIB), mit Instrumenten wie Investitionskapital oder Frühstartrente bereits. „Ein Savings and Investment Account für jeden wird derzeit diskutiert“, sagt sie. Auch das könne mehr Menschen an den Kapitalmarkt heranführen.
Es könnte längst anders sein, sagt Hubertus Väth, Geschäftsführer der Frankfurt Main Finance. Er verweist auf eine Studie, die er 1992 bereits im Bundestag vorgestellt hat. „Wenn wir damals wie in der Studie empfohlen die Altersvorsorge auch nur in Höhe von zehn Prozent auf Wertpapiere gestützt hätten, dann hätte jeder deutsche Rentner heute 500 Euro mehr Rente.“ Und jede weitere Verzögerung koste die Leute jedes Jahr weiteren Wohlstand. Sie zu Investoren zu machen, ändert aus Väths Sicht alles. Es gehe nicht darum, den Leuten das weitgehend zinslose Sparen auszutreiben, wie zuweilen zu vernehmen ist. „Nicht weniger sparen, anders sparen“, sagt er.
Kapitalanlagequoten von 40 bis 45 Prozent bei Privatanlegern erreichten Länder wie die USA, Australien oder auch Großbritannien neben Steueranreizen über einfache, aber breite Produkte, sagt André Munkelt, Vorstandsvorsitzender der Investmentbank Morgan Stanley Europe. „Und sie brauchen Risikofähigkeit, also die Fähigkeit, Risiken zu akzeptieren.“ Kapitalgarantien in der Altersvorsorge zu vermeiden, hält er für einen weiteren wichtigen Faktor. „Je übertriebener die Risikoaversion, desto geringer ist das, was ich bekomme“, pflichtet EIB-Vizepräsidentin Beer bei.
Das Geld von unverzinsten Sparbüchern in höherverzinste, dafür risikoreichere Anlagen zu locken ist das eine, Geld, das außerhalb der EU angelegt ist, nach Europa zu holen, das andere. Derzeit stehen die Chancen dafür gut stehen. „Die Investoren fühlen sich mit soviel Geld in den USA nicht mehr wohl“, weiß Väth. Wonach richten sie sich? „Renditechancen“, antwortet er. Wo sich etwas verdienen lässt, wird investiert. „Der Cashflow muss stabil sein, die Renditeerwartung prognostizierbar“, pflichtet Deloitte-Experte Walter bei. „Wir müssen an der Risikoschraube drehen, um es attraktiver zu machen.“ Mit einem Risk-Return-Profil, das für ausländische Investoren interessant wird.
Und dann ist da die Sache mit dem Risikokapital. „Ich muss einen Euro so anlegen, dass ich damit fünf Euro privates Kapital akquiriere“, sagt Walter. „Es war schon immer das Problem, dass wir nicht tief genug im Markt sind.“ Aber das müsse sein, damit es attraktiv wird. Die Gelegenheit dafür sieht er gerade. In Frankfurt sei alles da. Nur: „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu regulatorisch werden“, sagt Walter. „Wir wollen ja ein kapitalgetriebener Markt sein.“
Wie es bisher laufe, ergibt aus seiner Sicht keinen Sinn. „In der Branche höre ich oft, wir warten auf Signale aus Berlin, wir brauchen Rahmenbedingungen“, berichtet. „Stattdessen sollten wir einfach Projekte industriell strukturieren, denn das brauchen wir und das können wir“, sagt Väth. „Und dann damit an die Politik herantreten und sagen: Gebt uns die Rahmenbedingungen a, b und c.“ Was eben gebraucht wird.
