Erkelenz. Seit diesem Jahr ist Hans-Willi Bongartz neuer ehrenamtlicher Behindertenbeauftragter der Stadt Erkelenz. An welchen Stellschrauben er drehen möchte und wo er die Stadt derzeit sieht.
Eine Behinderung ist immer auch eine Frage der Perspektive. „Behindert ist man nicht, behindert wird man – und dies sehr häufig nicht mit Absicht, sondern durch die Unbedachtheit Dritter“, sagt der neue ehrenamtliche Behindertenbeauftragte der Stadt Erkelenz, Hans-Willi Bongartz. „Um es an einem Beispiel festzumachen: Wenn ein auf einen Rollstuhl angewiesener Mensch auf eine unüberwindliche Treppe stößt, wo liegt denn da die Behinderung? Doch wohl bei der Treppe.“
Anfang des Jahres hat Bongartz den ehrenamtlichen Posten von Andreas Ullmann übernommen. „Ich habe mich tatsächlich für dieses Amt beworben“, sagt der 69-Jährige. Eine soziale, ehrenamtliche Affinität zu haben, das liege bei den Bongartz‘ schon seit vielen Generationen in der Familie: „Das war schon damals bei meinen Großeltern so, hat sich immer durchgezogen und geht auch bei meinen Kindern weiter“, sagt er.
Bongartz bringt aus seiner Sicht einen großen Vorteil mit, den er nun für die Bürgerinnen und Bürger mit Behinderung einbringen will: Er kennt die Stadtverwaltung in- und auswendig. Fast 47 Jahre lang (von 1977 bis 2023) hat er in verschiedenen Funktionen bei der Stadt Erkelenz gearbeitet. Zunächst im Sozialamt, dann im Amt für Stadtentwicklung und Wirtschaftsförderung (dort vor allem im Bereich der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen), dann als stellvertretender Leiter des Haupt- und Personalamts. Darüber hinaus war Bongartz auch lange Jahre mit der Geschäftsführung der Arbeitsgemeinschaft der Bürgermeister im Kreis Heinsberg betraut – ein informelles Gremium, in dem viele wichtige Entscheidungen vorberaten werden. „Ich kenne also die Sprache, die Verwaltungen sprechen. Denn das ist oft eine ganz andere Sprache als die, die die Bürger sprechen“, sagt er. Zudem ist Bongartz seit vielen Jahren als ehrenamtlicher rechtlicher Betreuer für Menschen tätig, die ihre Angelegenheiten nicht mehr selber regeln können.
Das wichtigste Ziel eines jeden Behindertenbeauftragten ist es, Barrieren abzubauen – sowohl in der Stadt als auch beispielsweise bei der Teilhabe oder der Bewilligung von Anträgen. „Es ist darüber hinaus aber auch wichtig, ein offenes Ohr für die Menschen zu haben.“
So sei Bongartz auch ohne eine fertige Schablone und einen fixen Plan in seine neue Rolle gestartet: „Die Deutschen planen ja unheimlich gerne, gerade in Verwaltungen. Ich wollte mir aber von Beginn an lieber erst mal ein Bild machen und dann an die Punkte rangehen, bei denen ich den größten Bedarf sehe.“ Bongartz glaubt: „Es ist gut, einen Plan zu haben. Aber man muss auch reagieren können, bereit sein, Sachen anders zu machen, auf die Leute hören können.“
In Sachen Barrierefreiheit sei Erkelenz auf einem guten Weg. Jedem müsse klar sein, dass eine historisch gewachsene Stadt nicht binnen weniger Jahre vollständig und normgerecht umgebaut werden kann. „Aber da, wo in Erkelenz umgebaut wird, wird die Barrierefreiheit mitgedacht“, sagt Bongartz. Beispielsweise auf dem neuen Marktplatz, wo durch das neue Pflaster eine deutliche Verbesserung zum alten Kopfsteinpflaster eingetreten sei. Bongartz‘ Credo: „Wir werden niemals einen Optimalzustand erreichen. Aber das Ziel muss sein, Machbares machbar zu machen.“
Wichtig sei aber: „Es gibt nicht den Schwerbehinderten. Jeder hat seine individuellen Bedürfnisse“, sagt Bongartz. „An einer Ampel hätte der Blinde beispielsweise gerne einen kleinen Bordstein, als eine Art Warnsignal. Dieser Bordstein wäre für den Rollstuhlfahrer aber wiederum ein Problem.“
Sehr am Herzen liegt Bongartz das Projekt „Survivor“ der Kinderkrebsstiftung. Denn wie der Behindertenbeauftragte sagt, gibt es in Deutschland eine große Stigmatisierung für Menschen, die als Kind eine Krebserkrankung überstanden haben: „Sie haben zum Beispiel Schwierigkeiten bei der Verbeamtung, bei der Krankenversicherung oder selbst beim Versuch, ein Kind zu adoptieren. Nur weil sie als Kind mal Krebs hatten.“ In anderen Ländern in Europa gebe es das „Recht auf Vergessen“. So soll eine überstandene Krebserkrankung nach fünf Jahren aus den Akten gelöscht werden. Das fordert Bongartz auch hierzulande.
(cpas vest)
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