Die Bundesregierung arbeitet an einer umfassenden Reform der Altersvorsorge, um älteren Menschen stärkere Anreize zu bieten, freiwillig länger im Berufsleben aktiv zu bleiben. Zentrales Element des sogenannten „Rentenpakets II“ ist die Einführung der neuen Aktivrente: Ab dem 1. Januar 2026 sollen Arbeitnehmer*innen nach Erreichen der Regelaltersgrenze monatlich bis zu 2.000 Euro aus sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung steuerfrei zusätzlich zur gesetzlichen Rente verdienen dürfen. Das sieht der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum „Aktivrentengesetz“ vor. Darüber hinaus plant die Regierung, ein bislang wenig bekanntes Hindernis für die Weiterbeschäftigung im Ruhestand abzubauen.
Rente: Bundesregierung beschließt Gesetzentwurf
Das Aktivrentengesetz sieht vor, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach Erreichen der Regelaltersgrenze bis zu 2.000 Euro monatlich aus sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung steuerfrei hinzuverdienen dürfen – unabhängig davon, ob sie bereits eine Rente beziehen oder nicht. Die Regelung gilt ausschließlich für abhängig Beschäftigte, nicht für Selbstständige oder Beamte. Ziel ist es, Anreize für freiwillige Erwerbstätigkeit im Alter zu schaffen, ohne die Sozialversicherungspflicht aufzuheben. In Kraft treten soll das Gesetz zum 1. Januar 2026.
„Wir setzen weitere Impulse für wirtschaftliches Wachstum in Deutschland“, kommentierte Bundesfinanzminister und Vizekanzler Lars Klingbeil den Beschluss. „Dafür braucht die Wirtschaft gerade auch die älteren und erfahrenen Arbeits- und Fachkräfte. Sie können ihr Wissen weitergeben und weiter mit anpacken. Wer freiwillig länger arbeitet, profitiert deshalb künftig von der Aktivrente. Das stärkt den Arbeitsmarkt, das stärkt die Wirtschaft und das ist ein echtes Plus für alle, die beruflich aktiv bleiben wollen. Wer das gesetzliche Rentenalter erreicht und freiwillig weiterarbeitet, soll sein Gehalt künftig bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei erhalten.“
Die Bundesregierung begründet die Maßnahme mit der demografischen Entwicklung und dem zunehmenden Arbeitskräftemangel. Die Aktivrente soll produktive Potenziale älterer Menschen besser nutzen, Erfahrungswissen länger im Erwerbsleben halten und gleichzeitig die Sozialsysteme stabilisieren. Laut Bundesfinanzministerium werden Rentnerinnen und Rentner damit jährlich um bis zu 890 Millionen Euro entlastet. Das Gesetz muss noch Bundestag und Bundesrat passieren. Eine Verkündung im Bundesgesetzblatt steht aus.
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Vorbeschäftigungsverbot abschaffen
„Wir wollen denjenigen, die noch arbeitsfähig sind und die gerne weiterarbeiten wollen, eine Möglichkeit geben, das zu tun“, betonte Bundeskanzler Friedrich Merz Anfang Juli in der ARD-Sendung Maischberger. Aktuell sei das noch nicht möglich – und der Grund dafür sei kaum bekannt. „Es gibt ein Vorbeschäftigungsverbot: Sie dürfen, wenn Sie in Rente gehen, im selben Betrieb nicht weiterarbeiten – selbst für 530 Euro im Monat nicht“, so Merz. „Das ist doch grober Unfug.“ Die Bundesregierung werde das ändern.
Faktisch handelt es sich um das sogenannte Anschlussverbot nach § 14 Abs. 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG), das sachgrundlose Befristungen verbietet, wenn zuvor ein Arbeitsverhältnis beim selben Arbeitgeber bestand. Der Kabinettsentwurf zum „Rentenpaket 2025“ vom 6. August 2025 sieht nun vor, dieses Anschlussverbot für Menschen nach Erreichen der Regelaltersgrenze aufzuheben. Damit könnten künftig auch sachgrundlose befristete Verträge beim alten Arbeitgeber möglich werden – ein wichtiger Schritt für flexible Weiterbeschäftigung.
„Wir werden für diejenigen, die weiterarbeiten wollen, jenseits des 67. Lebensjahres, Möglichkeiten schaffen, dass sie es auch können und dass sie vor allem einen hohen Anreiz haben, das zu tun“, so Merz weiter. „Wir wollen dieses Arbeitskräftepotenzial erhalten, wenn die Menschen es wollen.“
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„Wir wollen das Renteneintrittsalter nicht erhöhen“
Schon bei Maischberger betont Friedrich Merz wiederholt, dass niemand zu längerer Arbeit gezwungen werden soll:
„Wir wollen das Renteneintrittsalter nicht erhöhen. Das liegt bei 67, das soll so bleiben. Wir wollen das auch wieder für alle erreichen – das ist ja zurzeit nicht der Fall – und diejenigen, die dann länger arbeiten wollen, die sollen es können und sollen dafür einen besonderen steuerlichen Anreiz bekommen.“
Doch in der Realität liegt das durchschnittliche Rentenzugangsalter in Deutschland noch immer bei rund 64 Jahren. Viele gehen deutlich vor der offiziellen Grenze in Rente – etwa aus gesundheitlichen Gründen oder über Wege der Frühverrentung. Ohne tiefgreifende Reformen bleibt das Ziel „67 für alle“ also ein politisches Wunschbild.
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Steuerfrei bis 2.000 Euro – für wen lohnt sich das?
Zentrales Element des Reformpakets ist die Aktivrente: Ab 2026 dürfen Arbeitnehmer*innen, die die Regelaltersgrenze erreicht haben, bis zu 2.000 Euro monatlich aus nichtselbstständiger Beschäftigung steuerfrei hinzuverdienen. Der Freibetrag bezieht sich auf lohnsteuerpflichtiges Einkommen (§ 3 Nr. 21 EStG), nicht auf selbstständige oder freiberufliche Tätigkeiten. Eine Zwölftelung erfolgt bei unterjähriger Erfüllung.
Rund 230.000 Menschen könnten laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) direkt profitieren – vor allem gut ausgebildete, gesunde und bereits erwerbstätige Rentner*innen. Stefan Bach, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Staat des DIW und Leiter einer aktuellen Studie zu dem neuen Rentenkonzept sieht darin allerdings auch Risiken.
Die Tatsache, dass in erster Linie gut qualifizierte Rentner*innen mit hohem Einkommen profitieren dürften, berge „sozialen Sprengstoff“. Das gelte Bach zufolge insbesondere, „wenn ältere Beschäftigte steuerlich stark begünstigt werden, während jüngere Erwerbstätige weiterhin voll belastet bleiben“. Zugleich müsse der Staat in der Aktivrente auch Selbstständige berücksichtigen. „Das erhöht dann aber die Mitnahmeeffekte, da Selbstständige häufiger bis ins hohe Alter weiterarbeiten.“ Tatsächlich sind Selbstständige nach aktuellem Entwurf nicht vom Steuerfreibetrag umfasst.
Nicht Bestandteil des aktuellen Gesetzentwurfs sind einige der früher diskutierten Zusatzmaßnahmen. Nach Medienberichten war ursprünglich auch eine Rentenaufschub-Prämie von bis zu 25.000 Euro als Einmalzahlung im Gespräch – etwa bei einem Rentenaufschub von fünf Jahren. Dieser Punkt wurde im Entwurf vom Oktober 2025 jedoch nicht aufgenommen und bleibt politisch strittig.
Enthalten sind dagegen:
- Erleichterungen bei sachgrundlosen Befristungen: Aufhebung des Anschlussverbots für Menschen nach Regelaltersgrenze.
- Anpassungen im Wohngeldrecht: Einkünfte aus der Aktivrente werden als Einkommen angerechnet.
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„Große sozialpolitische Gefahr“
Laut dem Monatsbericht der Deutschen Bundesbank für Juni 2025 und einem Kurzbericht des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) aus dem April 2024 ist Geld nur ein nachrangiger Grund für Erwerbstätigkeit im Ruhestand. Nur 14 Prozent der Senior*innen arbeiten laut Umfragen wegen finanzieller Notwendigkeit – 27 Prozent nennen Spaß an der Arbeit, 21 Prozent soziale Kontakte.
Fachleute befürchten daher Mitnahmeeffekte: Menschen, die ohnehin weitergearbeitet hätten, profitieren steuerlich – ohne dass zusätzliche Arbeitskraft mobilisiert wird. Das DIW rechnet mit rund 770 bis 890 Millionen Euro jährlichen Mindereinnahmen. Um den fiskalischen Break-even zu erreichen, müssten mindestens 75.000 zusätzliche Rentner*innen in den Arbeitsmarkt einsteigen.
„Die Aktivrente ist kein Allheilmittel und birgt zudem eine große sozialpolitische Gefahr“, warnt daher Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland e. V., in einer aktuellen Mitteilung. Wer aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten kann, wer Angehörige pflegt oder geringe Renten bezieht – etwa viele Frauen –, wird von der Reform kaum profitieren. Die Lücke zwischen gut abgesicherten und benachteiligten Senior*innen könnte sich weiter vergrößern.
„Wer niedrige und mittlere Einkommen entlasten will, sollte deshalb eher den Grundfreibetrag für alle Erwerbstätigen anheben. Und wer gesundes Arbeiten bis und auch über die Regelaltersgrenze hinaus ermöglichen will, sollte die Arbeitgeber verpflichten, altersgerechte Arbeitsplätze, flexible Arbeitszeitmodelle und Qualifizierung sowie verpflichtende Weiterbildungen zu schaffen.“
Verena Bentele
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Blick ins Ausland: Erfahrungen mit ähnlichen Systemen
Ein Blick nach Skandinavien zeigt, dass steuerliche Anreize und flexiblere Rentensysteme Wirkung entfalten können – bei passenden Rahmenbedingungen. In Schweden lag die Erwerbstätigkeit von 65- bis 74-Jährigen 2023 bei rund 20 Prozent – laut Le Monde ein Anstieg um 70 Prozent innerhalb eines Jahrzehnts. Neben steuerlichen Vorteilen spielt dort eine enge Kopplung von Rentenhöhe an Lebensarbeitszeit und Lebenserwartung eine Rolle.
In Dänemark, Finnland und anderen nordischen Ländern sind Rentenreformen ähnlich strukturiert: Frühverrentungsprogramme wie das dänische „efterløn“ wurden stark eingeschränkt, zugunsten von Anreizen, länger im Beruf zu bleiben. Das Resultat ist einem Bericht des norwegischen Senter for seniorpolitikk steigende Erwerbsquoten bei Personen über 60 Jahre.
Die Pläne der Bundesregierung zur Aktivrente und zur Abschaffung des Anschlussverbots stoßen auf breite öffentliche Aufmerksamkeit – beschlossen sind sie allerdings noch nicht endgültig. Zwar hat das Bundeskabinett beide Vorhaben bereits auf den Weg gebracht, doch bevor sie in Kraft treten können, müssen Bundestag und Bundesrat zustimmen. Das parlamentarische Verfahren läuft, Änderungen an den Inhalten sind dabei nicht ausgeschlossen. Erst mit der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt wird aus den Vorhaben geltendes Recht. Bis dahin gelten weiterhin die bestehenden Regelungen zur Besteuerung von Hinzuverdiensten und zur Befristung nach Renteneintritt. Der geplante Starttermin für die Aktivrente ist der 1. Januar 2026.
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„Mehr Geld allein baut noch keine Straßen und Brücken“
Ökonom*innen erinnern stetig daran, dass Deutschland im internationalen Vergleich eine der niedrigsten Jahresarbeitszeiten aufweist. „Wenn nicht mehr Arbeitskraft zur Verfügung steht als bisher, werden diese Ausgabenprogramme dazu führen, dass die Umsetzung der Investitionen verzögert wird und Arbeitskräfte aus anderen Bereichen abwandern und dort fehlen“, betonte auch Prof. Dr. Dr. Clemens Fuest aus der Forschungsgruppe Steuer- und Finanzpolitik des ifo Instituts.
Viele Teilzeitmodelle – besonders bei Frauen – führen dazu, dass insgesamt weniger gearbeitet wird, nicht aus Mangel an Bereitschaft, sondern wegen fehlender Strukturen – beispielsweise Kinderbetreuung. Die Aktivrente adressiert diesen Zusammenhang nur indirekt. Sie zielt auf eine relativ kleine Gruppe aktiver, gesunder Rentner*innen – strukturelle Probleme im Arbeitsmarkt bleiben davon unberührt. Fuest merkt außerdem an: „Mehr Geld allein baut noch keine Straßen und Brücken, man braucht auch zusätzliche Arbeitskräfte.“
Die Reform ist für manche eine Chance: Wer im Alter gesund und motiviert ist, bekommt künftig mehr finanziellen Spielraum. Doch ob die Aktivrente den gewünschten Effekt hat, bleibt abzuwarten. Entscheidend wird sein, ob die Politik es schafft, flankierende Maßnahmen umzusetzen – von flexibleren Arbeitszeitmodellen über gezielte Unterstützung für Geringverdienende bis hin zu besserer Vereinbarkeit von Beruf und Pflege.
Quellen: Bundesministerium der Finanzen; Das Erste/Maischberger (01. Juli 2025); Gesetze im Internet; Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung; DIW Wochenbericht 25 / 2025, S. 395-402; Deutsche Bundesbank; Institut der deutschen Wirtschaft; Sozialverbands VdK Deutschland e. V.; Le Monde; ifo Institut
