Setzt die Bundesrepublik ihr ehrgeiziges Fiskalprogramm um, könnte das Europas Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität für globale Investoren deutlich steigern, meint US-Banker Bernard Mensah.
Europa hat lange auf einen Neustart gewartet. Nach Jahren, in denen der Kontinent oft als Nachzügler in Sachen Finanzpolitik, Kapitalmarktregulierung und industrielle Modernisierung galt, entsteht gerade ein neues Narrativ.
Im Zentrum steht Deutschland mit einem 500 Milliarden Euro schweren Konjunkturpaket und der rasant wachsenden Investitionsoffensive „Made for Germany“ – mit 735 Milliarden Euro von über 100 Mittelständlern, Start-ups und internationalen Konzernen. Sollte Deutschland die Umsetzung des ehrgeizigsten Fiskalprogramms einer Generation gelingen, könnte das Europas Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität für globale Investoren grundlegend neu definieren.
Ohne Zweifel steht Europa vor erheblichen Herausforderungen. Laut dem Makro-Research-Team der Bank of America dürfte das Wachstum im Euro-Raum auch 2025 verhalten bleiben und weiterhin anfällig für externe Schocks wie Handelskonflikte und politische Unsicherheiten sein.
Dennoch gibt es erste positive Signale: Höhere staatliche Infrastrukturinvestitionen und mehr Unternehmensausgaben lassen darauf hoffen, dass Europa die Märkte mit einer widerstandsfähigeren und nachhaltigeren Erholung überraschen könnte.
Deutschland spielt hier eine Schlüsselrolle. Die Bundesregierung setzt auf eine Kombination aus fiskalischer Stabilität und gezielten Zukunftsinvestitionen.
Besonders drei gerade beschlossene Maßnahmen stechen hervor: die geplante Unternehmensteuerreform, die beschleunigte Bereitstellung von Infrastrukturmitteln und der jüngste Wirtschaftsgipfel.
Deutschland weckt Interesse von Investoren
Das eigentliche Highlight dabei ist die Dimension der Zusagen aus der Privatwirtschaft. Diese privaten Investitionen in hoher dreistelliger Milliardenhöhe könnten nicht nur Deutschlands, sondern auch Europas Wirtschaft entscheidend stärken.
Die Auswirkungen zeigen sich bereits deutlich an den Aktienmärkten. Unser „German Infrastructure Basket“ – ein Aktienkorb aus 14 Unternehmen aus den Bereichen Bau, Investitionsgüter, Logistik und Dienstleistungen – liegt dieses Jahr fast 50 Prozent im Plus.
Dies spiegelt sowohl die politische Unterstützung als auch das wiedererstarkte Interesse von Investoren wider, darunter zunehmend institutionelle Anleger aus den USA und Asien. Das Ergebnis ist eines der konstruktivsten Marktumfelder seit Jahren.
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Die Welle privater Investitionszusagen deutet auf einen Investitionszyklus hin, der sich 2026 und 2027 fortsetzen könnte. Unternehmen thematisieren die Auswirkungen bereits in ihren Quartalsergebnissen und auch die Indizes der Einkaufsmanager verbessern sich.
Politische Anreize wie erweiterte Abschreibungsmöglichkeiten könnten die Dynamik weiter beschleunigen. Kurz gesagt: Die Bausteine für eine neue, nachhaltige „Equity Story“ für Deutschland fügen sich zu einem stimmigen Gesamtbild zusammen.
Das alte Bild von Europa verblasst derzeit
Europa hat jahrelang über fiskalische Integration und Kapitalmarktreformen diskutiert, oft ohne entscheidende Fortschritte. Das ändert sich gerade: In Brüssel werden konkrete Ergebnisse zur „Vereinfachung“ von Rechtsvorschriften erwartet, und Deutschlands Kurs zeigt, wie nationale Initiativen den kontinentalen Neustart vorantreiben können.
Verbindet Europas größte Volkswirtschaft vernünftige Fiskalpolitik mit zukunftsgerichteten Investitionen, verändert sich die Wahrnehmung der Märkte für die gesamte Region mit unmittelbaren Auswirkungen auf Bewertungen und Kapitalströme.
Ob auch Europa nun eine überzeugende Equity-Story entwickeln kann – glaubwürdig für internationale Investoren, attraktiv für privates Kapital und widerstandsfähig gegenüber Schocks – wird auch bei dem gerade stattfindenden Wirtschaftsforum „Berlin Global Dialogue“ diskutiert.
Zur Wahrheit gehört auch, dass Risiken weiterhin bestehen, gerade in der Umsetzung von ambitionierten Projekten. Doch im Unterschied zu früheren Initiativen zeigt sich heute ein entscheidender Unterschied: Das Volumen der Finanzierungsmittel wächst und öffentliche und private Kapitalgeber arbeiten enger zusammen, angetrieben von Herausforderungen wie der Energiewende oder der Resilienz globaler Lieferketten.
Deutschlands fiskalische Entscheidungen sind dabei der Dreh- und Angelpunkt. Sie beeinflussen die Wahrnehmung der Investoren, die Unternehmensplanung und wie politische Entscheidungsträger über Integration nachdenken. Das alte Bild von Europa – niedriges Wachstum, geringe Renditen, chronische Vorsicht – verblasst langsam.
Europa kann jetzt eine neue Equity-Story schreiben: mit fiskalischer Glaubwürdigkeit, industrieller Erneuerung und ambitionierten Kapitalmarktreformen. Deutschlands Kurs beweist: Das erste Kapitel ist bereits aufgeschlagen.
Der Autor: Bernard Mensah ist President of International der Bank of America.
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