Schutz der Atom-U-Boote
Geheimes Putin-Projekt „Harmonie“: Mit deutscher Technik spioniert Russland westliche U-Boote aus
Russland deckt sich offenbar mit westlicher Spitzentechnologie ein. Diese wird genutzt, um ein Projekt in der Arktis voranzutreiben.
Hamburg – Wladimir Putin lässt kaum eine Gelegenheit aus, um den Westen als Gefahr für Russland darzustellen. Um sein Lieblingsfeindbild abzurunden, erklärt der Kreml-Chef den Ukraine-Krieg zur Antwort auf vermeintliche Drohgebärden der NATO-Staaten. Kurzum: Berlin, London oder Paris stehen laut dem Moskauer Machthaber für das Übel dieser Welt.
Equipment aus dem Westen scheint Putin allerdings gerne zu nutzen, um sein Land für eine mögliche Auseinandersetzung aufzurüsten. Das ergaben Recherchen eines internationalen Netzwerks von Journalisten. Die Ergebnisse der vom NDR koordinierten Arbeiten, an denen unter anderem auch der WDR, die Süddeutsche Zeitung (SZ), Le Monde und die Washington Post beteiligt waren, wurden nun unter dem Titel „Russian Secrets“ veröffentlicht.
Putin spioniert NATO aus: Westliche Technologie für Projekt in der Arktis
Mithilfe von Finanzunterlagen, Gerichtsdokumenten und Informationen aus Sicherheitskreisen stießen die Journalisten auf ein Firmennetzwerk, das für Russland westliche Spitzentechnologie beschafft haben soll. Auch mehrere deutsche Konzerne lieferten demnach etwa Vermessungs- oder Spezialschiffe. Hinzu kamen Unterwasserroboter, Spezialsonare oder Seekabel. In zehn europäischen Ländern sowie in den USA, Kanada und Japan soll sich das russische Konsortium bedient haben. Mindestens bis Herbst 2024.
Offenbar hegte bei den Konzernen niemand den Verdacht, dass die Produkte zu militärischen Zwecken genutzt werden könnten. Dafür habe die Recherche keinerlei Beweise liefern können. Doch wie sich zeigt, konnte Russland dank der westlichen Technik ein Unterwasser-Sensoriksystem aufbauen, mit dem sich westliche U-Boote aufspüren lassen. Das Projekt namens „Harmonie“ soll das strategisch bedeutsame russische Atomwaffenarsenal in der Arktis schützen. Von dort wäre es Putin möglich, Raketen sowohl auf die USA als auch auf Europa abzufeuern. Die Region ist für den Kreml also aus mehreren Gründen besonders wertvoll.
„Dies ist Russlands Versuch, die Fähigkeit der USA einzuschränken, in Gebiete um U-Boot-Stützpunkte vorzudringen und diese zu überwachen“, wird Bryan Clark vom Hudson Institute in Washington zitiert. Weiter erklärt der ehemalige hochrangige US-Marineoffizier und U-Boot-Offizier, westliche U-Boote seien somit leichter zu orten, während Putin seine eigenen atomar bewaffneten U-Boote „unbemerkt, ohne Belästigung oder Behinderung in den Hafen ein- und auslaufen“ lassen könne.
Putin nutzt westliche Spezialtechnologie: Sicherheit von NATO-Staaten untergraben
In der Post erklärt Tom Stefanick, Experte für Marinestrategie und -technologie an der Brookings Institution, russische Kommandanten könnten auch auf die Taktik der „Entlausung“ zurückgreifen: „Wenn man befürchtet, verfolgt zu werden, fährt man zu einem bestimmten Zeitpunkt über einen Sensor. Auch der Verfolger muss über den Sensor fahren und wird dann entdeckt.“

Laut Le Monde wurden die Abhöranlagen und Kabel von neun Schiffen installiert, die größtenteils aus dem Westen erworben wurden. Die Zeitung fühlt sich an Putins sogenannte „Schattenflotte“ erinnert, die der Umgehung des Ölembargos dienen soll. Denn auch diese Schiffe seien in die Jahre gekommen und würden verdeckt operieren. Interessant: In den Kaufverträgen sei erwähnt worden, dass Murmansk zu ihrem Heimathafen werden soll. Dort beheimatet Moskau seine Atomflotte.
Das geheime Unterwassersystem befindet sich den Recherchen zufolge vermutlich in der arktischen Barentssee, soll dort bogenförmig im Gewässer vor Murmansk und den russischen Inseln Nowaja Semlja und Alexandraland verlaufen. Die Post schreibt, Experten sowie aktuelle und ehemalige Marineoffiziere würden kritisieren, die Sicherheit der USA und von deren NATO-Partnern sei untergraben worden. Denn weder westliche Regierungen noch Unternehmen hätten es verhindert, dass Moskau solch sensible maritime Technologie erwerben konnte.
Putin und das Projekt „Harmonie“: Firma auf Zypern versorgt Russland mit West-Technologie
Im Zentrum des Beschaffungsnetzwerks scheint die zypriotische Firma Mostrello Commercial Ltd. zu stehen. Diese beschreibt sich selbst als „junges und wachsendes Unternehmen, das im Bereich der Unterwasser-Glasfaserkabel tätig ist und eine breite Palette damit verbundener Dienstleistungen für die Schiffstechnik, Installation und Wartung anbietet“.

Offiziell leiten zwei Zypriotinnen die Geschicke. In Wahrheit gehört das in Limassol registrierte Unternehmen den Reportern zufolge jedoch dem Moskauer Geschäftsmann Alexey Strelchenko, dessen Firmen in der Vergangenheit mehrfach für das russische Militär und für russische Geheimdienste arbeiteten, heißt es. Der 70-Jährige findet sich auf Sanktionslisten der USA und des Vereinigten Königreichs wieder.
Insgesamt sollen Mostrello und mehrere Schwester-Unternehmen seit 2013 sensible Unterwassertechnik und Forschungsschiffe im Wert von mehr als 50 Millionen US-Dollar erworben haben. Zumindest teilweise wurden die Güter für das Projekt „Harmonie“ verwendet. Eine für das Unternehmensnetzwerk zentrale russische Firma habe zudem einen Vertrag mit dem Rüstungskonzern Kometa abgeschlossen, der den Bau von „Harmonie“ verantworten soll.
Das Recherche-Netzwerk zu „Russian Secrets“
Le Monde (Frankreich)
L‘Espresso (Italien)
International Consortium of Investigative Journalists (USA)
Kyodo (Japan)
NRK (Norwegen)
Pointer (Niederlande)
SVT (Schweden)
The Times (Großbritannien)
Washington Post (USA)
NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung (alle Deutschland)
Quelle: Tagesschau
Verbindung zu Putin-Projekt: Geschäftsmann aus Nürnberg zu Haftstrafe verurteilt
Trotz der infolge der russischen Invasion in die Ukraine verschärften Regeln wurde Strelchenkos Unternehmen augenscheinlich auch nach dem Februar 2022 beliefert. Weil dessen wahre Absichten lange im Verborgenen blieben. In Deutschland führten Hinweise der CIA zu einer Anklage gegen den kirgisisch-russischen Geschäftsmann Alexander S. aus Nürnberg, der vor wenigen Wochen wegen Geschäften mit Mostrello zu fast fünf Jahren Haft verurteilt wurde. Allerdings gingen sowohl die Verteidigung als auch die Staatsanwaltschaft in Revision.
Über die Hintergründe berichteten NDR, WDR und SZ im Sommer. Bereits damals war von einem Zusammenhang mit dem russischen „Harmonie“-Projekt die Rede. Die Lieferungen seien verschleiert worden, indem ein Umweg über die Türkei in Kauf genommen worden sei. Im Fall von S. geht es unter anderem um ein akustisches Positionierungssystem, dazugehörige Transponder und Batterieladegeräte. Gekauft bei westlichen Firmen, um sie gegen den Westen einzusetzen. (Quellen: NDR, WDR, SZ, The Washington Post, Le Monde) (mg)
