Gemeinderat kippt Bebauungsplan wegen Verkehr

Gilchinger Glatze

Gemeinderat kippt Bebauungsplan wegen Verkehr

Nach kontroverser Debatte beschließt die Gemeinde Gilching, neue Mobilitätskonzepte für das geplante Wohnquartier zu prüfen.

Gilching – Seit mehr als 20 Jahren arbeitet die Gemeinde Gilching an der Überplanung der sogenannten Gilchinger Glatze, einer rund 14 Hektar großen Fläche zwischen Starnberger Weg, Karolingerstraße und Bahnlinie mitten im Ortszentrum, auf der nach derzeitigem Entwurf einmal rund 1500 Menschen in etwa 600 Wohneinheiten wohnen sollen. Die erste Auslegung des Bebauungsplans hat bereits stattgefunden. In der Sitzung am Dienstagabend folgte der Gemeinderat jedoch mit 13:12 Stimmen einem gemeinsamen Antrag von CSU, FW, BfG und FDP, nachdem der Stellplatzschlüssel geändert sowie mehr oberirdische Stellplätze und eine verkehrsberuhigte „Bahnparallele“ geplant werden sollen. Diese „Bahnparallele“ soll Busbegegnung zulassen und separate Rad- und Fußwege anbieten. Außerdem soll das Planungsbüro mindestens zwei alternative Mobilitäts- und Erschließungskonzepte für das Gebiet vorlegen.

Die Gilchinger Glatze ist zerstückelt, es gibt insgesamt etwa 42 Grundeigentümer. Erst Ende 2025 stimmte der letzte Eigentümer einem Umlegungsvertrag zu. Für die Planung wurden alle Grundstücke zusammengefasst und dann zugeteilt, sie können dann auch verkauft werden. Fünf Bürgerdialoge zur Glatze fanden statt, im Dezember 2017 billigte der Gemeinderat den Bebauungsplanentwurf einstimmig.

Im Juni 2019 folgte ein Klarstellungsbeschluss. Nach Schwierigkeiten mit dem Architekten übernahm der Planungsverband Äußerer Wirtschaftsraum München die weiteren Arbeiten am Bebauungsplanentwurf. Dieser sieht Geschosswohnungsbau und Reihenhäuser vor, außerdem Kinderbetreuungseinrichtungen und einen Stadtgarten. Für die Bewohner sind Tiefgaragenplätze vorgesehen. Ein Drittel der Grundstücke gehört der Gemeinde, neben Privatleuten sind der Verband Wohnen und die Wohnungsbaugenossenschaft Fünfseenland (früher Baugenossenschaft Gilching) weitere Eigentümer. Die erste Auslegung des Bebauungsplans fand bereits statt.

Neben Bürgerdialogen und Diskussionen im Gemeinderat fanden auch Workshops des Gemeinderats zu dem Thema statt. Es gab einen einstimmigen Beschluss, nachdem die Planer ein autoarmes Quartier planen sollten. Darum drehte sich auch der jüngste Workshop im Sommer, an dem zwei Drittel der 24 Gemeinderäte teilnahm. Im Nachgang formulierten die Fraktionen Stellungnahmen, die schließlich in mehreren Anträgen mündeten.

Neben dem Antrag von CSU, FW, BfG und FDP hatte Peter Unger (Grüne) gefordert, die Planung aus ökologischen Gründen komplett auf Eis zu legen. Dieser Antrag wurde am Dienstag gegen Ungers Stimme abgelehnt. Die SPD hatte beantragt, die laufende Planung fortzusetzen. Über diesen Antrag wurde nicht mehr abgestimmt.

Vor zahlreichen Zuschauern entwickelte sich am Dienstagabend erwartungsgemäß eine offene Debatte. Stefan Fiegert (BfG) fand an der Planung „nichts umsetzungsreif“. Dr. Stefan Hartmann (FDP) brachte die Situation in Freiham ins Spiel. In dem insgesamt rund 350 Hektar großen Gebiet bei München sind Parkplätze tatsächlich ein Problem, dazu liegen aktuell mehrere Petitionen von Anliegern und mehrere Klagen vor.

„Ich befürchte Freihamer Zustände“, sagte Hartmann, was Herbert Gebauer (Grüne) für „an den Haaren herbeigezogen“ hielt, zumal sich die S-Bahnstation Argelsried von jeder Stelle der Glatze in fünf Minuten erreichen ließe. Den CSU/FW/BfG/FDP-Gemeinschaftsantrag bezeichnete Gebauer als „völlig unverständlich“, er sei „ein Rückzieher“, „rückwärtsgewandt“ und „populistisch“. „Wir planen nicht für uns, sondern die nächste Generation“, sagte auch Fraktionskollegin Diana Franke.

Für Dr. Michael Rappenglück (SPD) bedeuteten „mehr Parkplätze weniger Wohnraum“. Eine neue Straße zur Bahn bringe keine Entlastung, sondern Asphalt und Mehrkosten. „Und wo endet sie eigentlich?“ Für Begegnungsverkehr müsse sie 12 bis 14 Meter breit sein plus Radweg, erklärte Rappenglück. „Das ist ja noch mal die Landsberger Straße. Die S-Bahn, eingerahmt von zwei großen Straßen, das nenne ich mal Verkehrsberuhigung.“

Rosmarie Brosig (BfG) monierte hingegen, dass Gilching heute schon an vielen Stellen zugeparkt sei. „Man findet keine Parkplätze mehr.“ Manfred Herz (CSU) sah als größte Gefahr, „ein Quartier, das nicht angenommen wird. Welche Klientel wollen wir denn, wer soll denn dort wohnen?“ Der Wunsch nach autoarmen Quartieren sei da, könne aber im ländlichen Raum nicht umgesetzt werden, sagte Herz. Er sei überzeugt, dass Autos nicht weniger würden. 50 Parkplätze zu viel seien besser als 50 zu wenig. Nachträglich Parkflächen einrichten zu müssen, würde sehr viel mehr Geld kosten. Herz appellierte an alle, sich in einer Lösung zu vereinen, die alle mittragen könnten. Es gebe gute Gründe für den Antrag – „und keine ideologische Absicht“.

Christian Winklmeier (SPD) erinnerte daran, dass es sich beim Stellplatzschlüssel für das Gebiet um einen „Mindeststellplatzschlüssel“ handele. Wenn ein Investor Sorge hätte, die Wohnungen nicht vermakelt zu bekommen, könne er einen höheren Schlüssel ansetzen. Er höre heraus, dass die Antragsteller offen seien für Gespräche, sagte Winklmeier und schlug vor, sämtliche Anträge zurückzuziehen und sich dann noch mal mit den Fakten zu befassen. „Das wäre unser Angebot.“ Werde das abgelehnt, sei für ihn klar, dass eine breite Mehrheit nicht gewünscht sei. Dies sei gefährlich, denn in fünf Monaten sei Kommunalwahl, niemand wisse, wie es dann weitergehe, aber bei der Glatze gebe es dann „Verzögerungen ohne Ende“. Die Gemeinde habe dann viel investiert und null Ertrag, befürchtete der SPD-Fraktionschef.

Martin Fink (CSU) begrüßte die Diskussion. Aber das Quartier müsse für ganz Gilching passen, sagte er. „Wir brauchen einen Plan B für die Mobilität.“ Der Gutachter beim Workshop habe auch dieses Gefühl gehabt. Und kleine E-Autos bräuchten ebenso Platz. Matthias Vilsmayer (FW) ärgerte sich. Nur wegen einer anderen Meinung werde der Antrag von CSU, FW, BfG und FDP als populistisch dargestellt. „Wir sind alle für weniger Flächenversiegelung und günstigen Wohnraum“, sagte er. Jedoch wolle man Entwicklungen in die falsche Richtung korrigieren. „Und wir wollen heute abstimmen.“

Mit 13:12 Stimmen beschloss der Gemeinderat schließlich, „den Stellplatzschlüssel an die Realität anzupassen“. Es sind mindestens 130 oberirdische Parkplätze vorzusehen, davon ein angemessener Anteil für Besucher und Kurzzeitparker, Lieferdienste und andere. Die vorgesehene Zahl von 56 Besucherparkplätzen wird als unzureichend betrachtet. Die sogenannte Bahnparallele soll als verkehrsberuhigte Zone weitergeplant werden, aber nicht als Rad- und Fußweg, wie bisher vorgesehen. Varianten einer zeitlich oder räumlich begrenzten Bus- oder Kfz-Nutzung sind dem Gemeinderat zur Entscheidung vorzulegen. Darin enthalten sind Querschnitte für Begegnungsverkehr, separate Rad- und Fußwege.

Die Verwaltung wird zudem beauftragt, dem Gemeinderat mindestens zwei alternative Mobilitäts- und Erschließungskonzepte vorzulegen. Diese sollen laut Beschluss „mobilitätsausgewogen und verkehrsintegrierend“ sein.

Die Gilchinger Verwaltung werde nun die Kosten für die weiteren Varianten beim Planungsbüro abklären, sagte Bürgermeister Manfred Walter gestern auf Nachfrage, er sprach von „sehr kompetenten Fachplanern“. Eine Verzögerung werde wohl vor allem die Bahnparallele bewirken: „Wenn sie die Dimensionen der Landsberger Straße haben soll, passt sie nicht mehr in die Wohnbebauung. Das führt zu neuen Grundstücksschnitten bei der Glatze.“ An dieser Planung hänge viel, denn aktuell sehe die Bahnparallele Begegnungsverkehr vor, eine Art „shared space“ und Tempo 30. „Zwei Landsberger Straßen nebeneinander machen städtebaulich auch wenig Sinn“, gab Walter zu bedenken. Wie viel Zeit nun deswegen ins Land geht, sei nicht abzuschätzen.

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