Michaël Randrianirina verliert keine Zeit. Gut eine Woche ist vergangen, seitdem das Militär nach Protesten der „Generation Z“ die Machtübernahme in Madagaskar verkündet hatte. Wenige Tage später wurde Randrianirina, der Kommandant der Militäreinheit CAPSAT, die sich am Ende auf die Seite der jungen Demonstranten gestellt hatte, vom Verfassungsgericht zum Präsidenten vereidigt. Zu der Zeremonie erschien er schon nicht mehr in Militäruniform, sondern im dunklen Anzug.
In dieser Woche folgte die Ernennung eines neuen Ministerpräsidenten. Randrianirina entschied sich aus einer längeren Liste der Kandidaten für einen Mann aus der Wirtschaft: Herintsalama Rajaonarivelo ist in der madagassischen Geschäftswelt weithin bekannt. Er war Chef einer Bank, hat den Vorsitz in mehreren Aufsichtsräten inne und ist in Wirtschaftsverbänden aktiv. Die Zeitung „Madagascar Tribune“ schrieb von einer „symbolischen und strategischen“ Wahl. Der Präsident setze auf einen zivilen Regierungschef, der sich mit der Finanzwelt auskenne und mit internationalen Geldgebern verhandeln könne.
Als Priorität nannte der neue Ministerpräsident zunächst die Aufgabe, in der Verwaltung „für Ordnung“ zu sorgen. Alle Abteilungen würden überprüft, Ministerialbeamte dürften währenddessen nicht das Land verlassen. Auch gegen die Korruption will er vorgehen, wobei er Ermittlungen gegen einen umstrittenen Geschäftsmann erwähnte, der nach Mauritius geflüchtet ist.
Wahl des Ministerpräsidenten sei nicht transparent verlaufen
In der Protestbewegung der „Generation Z“ jedoch werden diese Entwicklungen mit Skepsis und Zurückhaltung verfolgt. Man werde kein „Hijacking unserer Revolution“ zulassen, hieß es in einem Post von „Gen-Z-Mada“ auf der Plattform Facebook. Die Wahl des Ministerpräsidenten sei nicht transparent verlaufen, außerdem repräsentiere er nicht den „strukturellen Wandel“, für den die jungen Menschen auf die Straßen gezogen seien. Welche Beziehungen er zur vorigen Regierung pflegte, sei unklar. Präsident Randrianirina wiederum teilte mit, der neue Ministerpräsident sei verfassungsgemäß auch von Abgeordneten der Nationalversammlung vorgeschlagen worden.
Junge Madagassen waren über zweieinhalb Wochen hinweg zu Demonstrationen auf die Straßen gezogen. Zunächst ging es um Stromausfälle und die chronische Wasserknappheit. In der Hauptstadt fällt bis zu acht Stunden am Tag der Strom aus und in manchen Gegenden gibt es kein Wasser. „Der Alltag sieht so aus, dass Menschen andere dafür bezahlen, sich nachts in eine Warteschlange zu stellen, denn das ist die einzige Zeit, in der man Wasserkanister füllen kann”, berichtete die Landeschefin der Welthungerhilfe.
Daraufhin wurden sehr schnell Rufe nach einem Rücktritt des Präsidenten Andry Rajoelina laut, wobei das gewaltsame Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die Demonstranten die Wut zusätzlich anheizte. Mindestens 22 Menschen kamen ums Leben, unter ihnen befanden sich auch Personen, die an den Protesten nicht beteiligt waren. So war der Jubel groß, als Randrianirina, zu der Zeit Kommandeur der meuternden Militäreinheit, zunächst dazu aufrief, nicht mehr auf Demonstranten zu schießen, und später die Machtübernahme des Militärs verkündete.
Wie es in Madagaskar weitergeht, hängt auch von der internationalen Gemeinschaft ab. Viel Geld müsse allein in die Strom- und Wasserversorgung investiert werden, sagte der Geschichtsprofessor Solofo Randrianja an der Universität Toamasina. Die Erwartungen seien nach den Protesten hochgesteckt.
Hat sich ein Putsch ereignet?
Internationale Organisationen ringen jedoch noch mit der Anerkennung der neuen Staatsführung. Umstritten ist weiterhin die Frage, ob sich ein Putsch ereignet hat. Parallel zur Machtergreifung des Militärs hatte das Parlament nahezu einstimmig für ein Amtsenthebungsverfahren des Präsidenten gestimmt. Das Verfassungsgericht hatte zudem das Militär mit der Staatsführung beauftragt, weil der ins Ausland geflüchtete Rajoelina seine Aufgaben nicht mehr habe wahrnehmen können. Allerdings gewährten die Richter dem Militär nur eine kurze Übergangsfrist, um Wahlen zu organisieren. Der neue Präsident Randrianirina setzte indes die Verfassung außer Kraft und kündigte Wahlen erst innerhalb der nächsten 24 Monate an.
Die Afrikanische Union hat Madagaskars Mitgliedschaft wegen des „Putsches“ mittlerweile suspendiert. Die Vereinten Nationen teilten mit, sie seien „zutiefst besorgt“. Besonders schwer tut sich die Entwicklungsgemeinschaft des Südlichen Afrika (SADC) mit einer Entscheidung. Zum einen hat Madagaskars gestürzter Präsident erst im August den SADC-Vorsitz übernommen, zum anderen ist auch der Präsident des SADC-Mitgliedstaats Simbabwe, Emmerson Mnangagwa, vor acht Jahren über einen Putsch an die Macht gelangt. Das französische Außenministerium forderte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu wahren, signalisierte zugleich die Bereitschaft, bei der Suche nach einer Lösung der Krise mit regionalen Akteuren zusammenzuarbeiten.
Welche internationalen Allianzen die neue Staatsführung anstrebt, ist noch unklar. Der Präsident empfing schon kurz nach seiner Vereidigung russische Diplomaten. Aus Sicht des Geschichtsprofessors Randrianja könnte es sich dabei um ein taktisches Manöver handeln. Es sei noch zu früh, um über den Kurs der Regierung zu spekulieren.
Derweil verfolgt der gestürzte Präsident die Ereignisse weiter aus dem Ausland. Internetdaten über den Flugverkehr zufolge hatte ihn erst ein Hubschrauber auf die Insel Sainte Marie vor der Nordostküste gebracht. Von dort gelangte er an Bord eines französischen Militärflugzeugs auf die Insel Réunion, wo er ein Privatflugzeug bestieg, das ihn nach Dubai brachte. Er selbst hat seinen Aufenthaltsort bisher nicht preisgegeben.
