Gipfeltreffen in London: Britische Balkan-Bemühungen im Namen der EU

Der albanische Ministerprä­sident Edi Rama zog die britischen Gastgeber schon vor Beginn des Gipfeltreffens auf: Ausgerechnet Großbritannien richte das Treffen der Länder des Westlichen Balkans aus, das deren Aufnahme in die EU zum Thema hat. „Die vermissen Europa“, stellte Rama lachend fest und fügte an: „Unseren Bewerberplatz bekommt ihr nicht.“ Außerdem sagte er, das britische Beispiel, wie es einem Land ergehe, das die Europäische Union verlässt, „bestätigt uns auf unserem Weg in die EU“.

Das waren nicht die Urteile, welche die britische Regierung motivierten, das diesjährige Gipfeltreffen des „Berliner Prozesses“ auszurichten. Jener jährlich stattfindenden Konsultation der Balkanländer Serbien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Albanien, die mit unterschiedlicher Geschwindigkeit auf eine EU-Mitgliedschaft zustreben und in unterschiedlicher Intensität russischen (und chinesischen) Bemühungen ausgesetzt sind, dort eigenen Einfluss geltend zu machen.

Es gebe ja auch „einen weiteren Rahmen“ als die Europäische Union, hatte Stephen Doughty, der Europaminister im britischen Außenministerium, auf einem Podium des Politikforschungsinstitutes Chatham House am Vorabend des Treffens gesagt. Die Europäer innerhalb und außerhalb der EU hätten doch mit denselben Herausforderungen zu kämpfen, bei Mi­gration, Sicherheitsbedrohungen, wirtschaftlichem Wachstum. Außerdem hätten britischer Einfluss und britische Truppen bei der Etablierung der jugoslawi­schen Nachkriegsordnung in den Neun­zigerjahren ja eine maßgebliche Rolle gespielt, sagte Doughty erinnernd.

Albanien stellt sich gegen Rückkehrzentren

Das aktuelle Interesse der britischen Labour-Regierung an stärkerer Zusammenarbeit mit den Balkanländern zielt maßgeblich auf die Unterbindung illegaler Migration. Der „Berlin-Prozess“ wolle durch bessere Kooperation die organisierte Kriminalität und den Menschenschmuggel auf den bedeutsamen Flüchtlingsrouten vermindern, damit die Grenzen Großbritanniens geschützt und die britischen Straßen sicherer gemacht würden, hieß es in einer offiziellen Mitteilung.

Doughty lobte die Arbeit gemeinsamer Ermittlerteams in Montenegro, die bei der Bekämpfung der illegalen Migration „gute Fortschritte machen“. Dem stimmte auch Rama zu: Ja, die gemeinsame Arbeit gegen Menschenschmuggler habe großen Erfolg und habe anhaltende Wirkungen erzielt, seitdem die Ermittlungen nicht länger in bürokratischen Vorschriften feststecken und daraus gegenseitige Schuldzuweisungen resultierten. Aber auf die Frage, ob Albanien bereit sei, Rückkehrzentren für abgelehnte Asylbewerber aus Großbritannien einzurichten, antwortete der albanische Ministerpräsident mit einem knappen „Nein. Niemals in Albanien“. Und sein montenegrinischer Kollege Milojko Spajić sagte, die Infrastruktur seines kleinen Landes sei in so schlechtem Zustand, dass gar keine bevorzugte Schmugglerroute dort entlangführe.

Merz will konkrete Schritte für Weg in die EU festlegen

Bundeskanzler Friedrich Merz sagte nach dem Gipfeltreffen, allen westlichen Balkanländern sei die Botschaft vermittelt worden, „wir wollen Sie in der EU haben“. Wie lange der Weg dorthin noch sei, hänge von den einzelnen Ländern ab. Merz gab an, auf dem westlichen Balkan „zeigen sich noch immer Konflikte vermeintlich längst vergangener Tage und es kommen neue geopolitische Spannungen hinzu“. Er bedauerte, dass es weiterhin „nationalistische und spalterische Tendenzen“ in der Region gebe und nannte vor allem das Verhältnis zwischen Serbien und dem Kosovo. Die Bundesregierung werde sich gegenüber beiden Ländern auch bilateral dafür einsetzen, dass die Inhalte des Normalisierungsabkommens, dass beide Staaten vereinbarten, auch verwirklicht würden. Merz lobte, dass auf dem Londoner Gipfel eine gemeinsame Erklärung zu guter Nachbarschaft erreicht worden sei. Er kündigte an, Deutschland wolle gemeinsam mit Montenegro die nächste Runde des „Berliner Prozesses“ vorbereiten und konkrete Schritte festlegen, welche den Weg der Balkanländer in die EU markieren könnten.

Rama und Spajić hatten vor Beginn des Londoner Gipfels das Ziel erneuert, ihre Aufnahmen in die EU in den Jahren 2029 (Albanien) oder gar 2028 zu erreichen. Dessen ungeachtet wehrte sich Rama dagegen, dass auf die beiden Länder oft die Bezeichnung „Spitzenreiter“ in der Frage des EU-Beitritts angewandt werde. Er sagte, dies führe nur dazu, dass andere entmutigt würden und sich vernachlässigt fühlten. Auch Spajić sagte, ohne Staaten wie Serbien oder Kosovo ausdrücklich zu nennen, am Ende sei nicht die Frage, wann Montenegro aufgenommen werde – erst wenn alle Länder des westlichen Balkans Mitglieder der EU seien, „sind auch wir sicher“. Rama blickte auf die anhaltenden Spannungen zwischen Serbien und Kosovo und gab an, er rate der kosovarischen Regierung, diesem Konflikt möglichst wenig Aufmerksamkeit zu schenken und stattdessen alles Augenmerk auf den EU-Beitritt zu richten: „Lasst die EU mit dem Thema Serbien umgehen“, sagte er.

Beide Ministerpräsidenten gaben an, ihre Aufnahme hänge nicht allein davon ab, ob sie alle „technischen“ Voraussetzungen für einen Beitritt erfüllten, sondern anschließend auch vom politischen Willen der aufnehmenden EU. Rama sagte, er habe Verständnis für die Sorge, dass die EU durch die Aufnahme weiterer Mitglieder immer handlungsunfähiger werde, solange das Einstimmigkeitsprinzip bei vielen Entscheidungen gelte. Er habe daher für Albanien angeboten, auf ein Vetorecht nach der Aufnahme zu verzichten, solange die EU sich noch nicht im Innern reformiert habe.

Er plädierte auch dafür, den Beitrittskandidaten schon vor der Aufnahme eine stärkere finanzielle Unterstützung beim Aufbau ihrer Infrastruktur und für wirtschaftliche Reformen zukommen zu lassen, um die Frustration der Wartezeit zu bekämpfen. Rama sagte mit einem Augenzwinkern im Blick auf die britischen Gastgeber: „Wenn wir nach Großbritannien kommen, wirken unsere eigenen Herausforderungen gar nicht mehr so groß“.

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