Australien ächzt unter einer Hitzewelle, die für den Frühling auf der Südhalbkugel beispiellos ist. In mehreren Bundesstaaten und Territorien wurden in den vergangenen Tagen historische Oktoberrekorde gebrochen. In den Vororten von Adelaide und Melbourne kletterten die Temperaturen bereits über 30 Grad, im Westen Sydneys zeigte das Thermometer am Mittwoch mehr als 37 Grad.
Im Landesinneren herrschen seit Tagen drückende 40 Grad, und auch an der Ostküste hält die ungewöhnliche Wärme an. Sydney und Brisbane steuern auf ihren heißesten Oktober seit Beginn der Wetteraufzeichnungen zu.
Professor Ollie Jay von der University of Sydney ist Experte für Hitzestress und Leiter des Thermal Ergonomics Laboratory. Er untersucht, wie sich extreme Temperaturen auf den menschlichen Körper auswirken – und wann sie lebensgefährlich werden. „Es gibt keine universelle Grenze, ab der Hitze tödlich ist. Entscheidend ist, wie feucht oder trocken die Luft ist, wie viel der Körper schwitzen kann – und wie lange man der Hitze ausgesetzt ist“, erklärt er.
Wem wann ein Hitzschlag droht
Bei 54 Grad Celsius liege die relative Luftfeuchtigkeit, die ein Mensch im Schatten für etwa sechs Stunden aushalten könne, bei unter 20 Prozent, erklärt Jay. „Das gilt für fitte, hitzeakklimatisierte Menschen, die sich nicht bewegen und sehr wenig Kleidung tragen.“ Wer sich in der Sonne aufhalte oder körperlich aktiv sei, erreiche die gefährliche Grenze viel früher.

Der Körper verteidige seine Kerntemperatur von etwa 37 Grad mit erstaunlicher Effizienz. Doch sobald sie auf 39 Grad steigt, droht eine Hitzeerschöpfung. „Dann kommt es zu Schwindel, Übelkeit und Erbrechen.“ Wenn die Körpertemperatur weiter auf 40,5 Grad steigt, sprechen wir von einem Hitzschlag – einem medizinischen Notfall. Die physiologischen Folgen beschreibt Jay eindrücklich: „Ihr Körper leitet Blut vom Körperkern an die Hautoberfläche, um Sie zu kühlen.“ Dabei gelange weniger Sauerstoff zum Darm, die Darmwand wird durchlässiger, Bakterien gelangen ins Blut. Es kann zu Blutgerinnung im ganzen Körper kommen – bis hin zum Tod.
Ältere Menschen sind besonders anfällig für Hitze-Erkrankungen
Wie schnell das gehen kann, weiß auch Gonzalo Aguirregomezcorta, der das Wärmelabor der Universität am eigenen Leib testete. „Mir war heiß. Ich hatte das Gefühl, dass mein Herz schneller schlug“, berichtet er über die Effekte auf seinen Körper. Obwohl er weniger als 30 Minuten in der Hitzekammer verbrachte, sei er kräftig ins Schwitzen geraten. „Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ist, 13 Stunden dort zu verbringen.“ So lange bleiben manche der Studienteilnehmer und -teilnehmerinnen im Labor, um die Effekte extremer Bedingungen auf den menschlichen Körper wissenschaftlich zu erforschen.
Wenn alle bei großer Hitze gleichzeitig ihre Klimaanlage einschalten, überlastet das nicht nur das Stromnetz – es verschärft auch die Erwärmung, die das Problem erst verursacht hat.
Ollie Jay,; australischer Klimaforscher
Jay und seinem Team geht es bei solchen Simulationen auch darum, wie sich das Risiko senken lässt. Besonders gefährdet seien ältere Menschen, da sie ab etwa 75 Jahren deutlich weniger schwitzen. „Die einzige Möglichkeit, wie sich der Körper bei 35 Grad oder mehr kühl halten kann, ist das Schwitzen. Wenn Sie kaum noch Schweiß produzieren, geraten Sie in Schwierigkeiten“, sagt Jay. Für ältere Erwachsene könne schon das Auftragen von Wasser auf die Hautoberfläche helfen. „Das ersetzt den Schweiß, den sie physiologisch nicht mehr absondern können.“
Arme Menschen können sich die Klimaanlage nicht leisten
Auch soziale Faktoren spielen eine Rolle. Menschen mit niedrigerem Einkommen sind laut Jay besonders gefährdet – vor allem, wenn sie trotz Klimaanlage auf deren Nutzung verzichten. Eine Umfrage in Australien habe gezeigt, dass 14 Prozent der Haushalte mit niedrigem Einkommen ihre Klimaanlage nicht einschalten, weil sie sich die Stromrechnung nicht leisten können. Viele von ihnen hätten später dann wegen Hitzestresses medizinische Hilfe suchen müssen.
Jay und sein Team arbeiten deshalb an einfachen, kostengünstigen Lösungen. Dazu gehört eine sogenannte „Ventilator-zuerst-Strategie“: Statt die Klimaanlage schon am Vormittag einzuschalten, sollen Menschen früh am Tag Ventilatoren nutzen, um die Luft zirkulieren zu lassen. „Ventilatoren machen die Luft nicht kühler, aber sie machen Sie kühler“, erklärt Jay. „Die Luft fühlt sich etwa vier Grad frischer an. Dadurch können Sie den Thermostat Ihrer Klimaanlage auf 26 oder 27 Grad einstellen, anstatt auf 22. Das spart bis zu 70 Prozent Strom – und senkt gleichzeitig die Emissionen.“
App hilft beim Überleben an Hitze-Tagen
Diese Methode sei sogar klimafreundlicher als der Wechsel von Glühbirnen auf LED-Beleuchtung vor 15 Jahren, sagt der Wissenschaftler. Einfache, erschwingliche Maßnahmen seien entscheidend, um den Teufelskreis zwischen Hitzebelastung, Energieverbrauch und fossilen Emissionen zu durchbrechen. „Wenn alle bei großer Hitze gleichzeitig ihre Klimaanlage einschalten, überlastet das nicht nur das Stromnetz – es verschärft auch die Erwärmung, die das Problem erst verursacht hat.“
Um Menschen besser zu schützen, hat Jays Team zudem eine App namens „Heat Watch“ entwickelt. Sie kombiniert Wetterdaten mit individuellen Gesundheits- und Lebensumständen – Alter, Vorerkrankungen, Wohnort, Zugang zu Kühlung – und zeigt an, wann es „zu heiß“ wird. „Die App kann Ihnen sagen: Morgen um 14 Uhr ist das Risiko besonders hoch, erledigen Sie Ihre Aktivitäten lieber früher“, so Jay. Sie gibt auch einfache Tipps, wie man sich sicher abkühlen kann – von Ventilatoren über Wasseranwendungen bis hin zur richtigen Kleidung.
Denn die größte Gefahr, sagt Jay, sei die unterschätzte Wirkung von Hitze. „Wenn wir sagen, die Erde wird im Schnitt zwei Grad wärmer, klingt das harmlos. Aber das Problem sind nicht die Durchschnittswerte – es sind die längeren, intensiveren und häufigeren Hitzewellen.“ In Simulationen könne man bereits heute sehen, welche Folgen die Entscheidungen von heute für die Lebensrealität der Zukunft hätten.
