Gleitschirmflieger-Saison endet
„Ich flieg‘ dann mal weg“: Paragliding im Flachland
Die Gleitschirmflieger „Die Thermikmöwen“ beenden die Saison bei idealem Flugwetter über den Feldern und Wiesen bei Vissehövede.
Wittorf/Lüdingen – Die gleißende Herbstsonne taucht die weiten Felder und Wiesen bei Hainhorst in goldenes Licht, der Himmel zeigt sich azurblau, abgesehen von vereinzelt dahintreibenden kleinen Wolkenstraßen. Auf einer Wiese zwischen Wittorf und Lüdingen herrscht geschäftiges Treiben. Fünf Männer und zwei Frauen in sportlicher Funktionskleidung breiten ihre bunten, bis zu zwölf Meter breiten Gleitschirme aus, entwirren Leinen und überprüfen Karabiner. Ein Motorrad steht bereit, in rund 1 000 Meter Entfernung befindet sich ein Windenfahrzeug. Das ist mit bloßem Auge kaum erkennbar, aber das Seil mit kleinem Fallschirm, das noch schlaff im Gras liegt, zeugt davon.
Fünf Männer und zwei Frauen in sportlicher Funktionskleidung breiten ihre bunten, bis zu zwölf Meter breiten Gleitschirme aus, entwirren Leinen und überprüfen Karabiner. Ein Motorrad steht bereit, in rund 1 000 Meter Entfernung befindet sich ein Windenfahrzeug. Das ist mit bloßem Auge kaum erkennbar, aber das Seil mit kleinem Fallschirm, das noch schlaff im Gras liegt, zeugt davon.
Was für Außenstehende wie ein chaotisches Durcheinander wirken mag, ist in Wahrheit ein akribisch choreografierter Ablauf. Hier, im norddeutschen Flachland, wo keine Berge den Himmel berühren, haben die „Thermikmöwen“ des Gleitsegelclubs Weser ihre ganz eigene Art des Fliegens perfektioniert. Dieser Oktobersamstag soll die diesjährige Flugsaison abschließen – und er erweist sich als perfekt: denn Gleitschirmfliegen ist ein ausgemachter Schönwetter-Sport. Für den trotzdem Thermokleidung zu empfehlen ist, denn: „pro 100 Höhenmeter gleich minus ein Grad Celsius“, lautet die Formel. Da die Flieger bis in 3 000 Meter Höhe aufsteigen können, sollten sie sich also warm anziehen.
Hobby seit 20 Jahren

Während Gebirge wie die Alpen oft die ersten Assoziationen mit dem Paragliding – so der internationale Terminus fürs Gleitschirmfliegen – hervorrufen, bietet das Flachland, für Laien womöglich überraschend, eine ganz eigene Faszination und zahlreiche Möglichkeiten für Abenteuerlustige, die sich trauen in luftige Höhen aufzuschwingen. „Im Flachland hat der Pilot die Möglichkeit, die sanften Hügel, weiten Felder und malerischen Dörfer aus einer einzigartigen Perspektive zu betrachten und seinen Horizont im wahrsten Sinne des Wortes zu erweitern“, beschreibt es Andreas Goehrt, der seit über 20 Jahren diesem Hobby frönt. Der 69-Jährige ist auch ausgebildeter Tandem-Pilot, kann also mit Neugierigen als Passagier abheben und durch die Lüfte schweben.

Thomas Grube aus Scheeßel kennt diese Perspektive ebenfalls seit mehr als zwei Jahrzehnten. Seit 1998 ist der langjährige Pilot Clubmitglied, hat unzählige Starts begleitet und im Übrigen seine Ehefrau Anna mit dem Fliegervirus angesteckt. An diesem Morgen steht er am Rand der Startwiese und erklärt geduldig die Abläufe beim Windenfliegen. „Normalerweise sind wir hier mit mindestens drei Leuten am Werkeln“, sagt er und deutet auf seine Teamkollegen. Seine Stimme klingt ruhig, aber konzentriert. Jeder Handgriff muss sitzen, denn in der Luft gibt es keinen Raum für Fehler.
Das System des Windenfliegens ist komplex und erfordert perfekte Koordination. Der Windenfahrer bedient das Fahrzeug und zieht das Seil an, während der Pilot selbst die Kommandos gibt. Doch um die Kommunikation zu erleichtern, gibt es einen Startleiter, der die Anweisungen vom Piloten per Funk an den Windenfahrer weiterleitet. „Da kann der Windenfahrer im Zweifelsfall sagen, äh, nee, das Ding kommt schief, da stimmt irgendwas nicht, ich lasse den Zug zurück“, erklärt Grube. Diese Aufmerksamkeit kann Leben retten.

Windenfahrer Helmut Giesen, Gründungsmitglied der „Thermikmöwen“, beherrscht die Steuerung aus dem „Effeff“, schließlich hat der 82-Jährige in den 1990er Jahren das Windenstarten quasi mit erfunden. Das Fahrzeug, das er bedient, hat er selbst mit aufgebaut. Giesen ist ein absolutes Urgestein, was das Gleitschirmfliegen betrifft: „1987 habe ich damit angefangen“, erzählt der Bremer. Und in diesem Sommer habe er nun seinen letzten Flug absolviert, das Alter fordere seinen Tribut. „Für diesen Flugsport muss man gesundheitlich fit sein.“ Auch den Vereinsvorsitz wird er abgeben. Aber seine Expertise als Windenfahrer wie als Paraglider wird für die „Thermikmöwen“ auch zukünftig unverzichtbar sein.
Windverhältnisse richtig interpretieren

Besonders interessant ist das System zur Rückholung der Seile. „Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Seile zurückzuholen. Da werden oft Trikes eingesetzt, so dreirädrige“, erläutert Grube. In ihrem Fall nutzen sie jedoch aus praktischen Gründen ein Motorrad, da der Überweg schmal ist. Und tatsächlich: Das Motorrad braust über die Wiese, das Seil schleift hinterher – ein Bild, das man in den Bergen nie sehen würde.
Für den Start am Windenseil gilt: „Wenn wir kräftigen Gegenwind haben, kommen wir höher raus. Haben wir gar keinen Wind, dann liegen wir irgendwo so 300 Meter auf der Länge gesehen“, erklärt Grube. Maximal dürfen die Piloten beim Start am Seil bis zu 500 Meter hoch fliegen, und wenn sie nach dem Ausklinken thermische Aufwinde finden, können sie sich „in Spiralform nach oben schrauben“.

Die Winde, die oft durch die offenen Landschaften wehen, können perfekte Bedingungen für den Start und die Navigation in der Luft bieten. Dabei sei es wichtig, die Windverhältnisse richtig zu interpretieren, denn in der Ebene können sie oft unberechenbar sein, sagt Pilot Goehrt, der sich in der Luft auch gern mal an den Vögeln orientiert. „Greifvögel oder Kraniche erspüren die Thermik.“ Die Aufwinde sind entscheidend, um Höhe zu gewinnen und längere Flüge zu ermöglichen.
Die sogenannte Thermik im Flachland entsteht in der Regel durch die Erwärmung der Erdoberfläche durch die Sonne. Wenn die Sonne auf den Boden scheint, erwärmt sich dieser und gibt die Wärme an die darüber liegende Luft ab, die dann aufsteigt. Besonders warme Tage im späten Frühling und Sommer sind ideal für diese Art des Fliegens. Oder ein Tag, wie der letzte Oktobersamstag dieser Gleitschirmsaison.
Landung kann Herausforderung sein
Ein weiterer Aspekt des Gleitschirmfliegens im Flachland sind die sogenannten Wellenwinde. Diese entstehen, wenn der Wind über eine Erhebung oder ein Hindernis wie einen Hügel oder eine Baumreihe strömt und hinter dem Hindernis aufsteigt. Ein erfahrener Pilot kann diese Wellen nutzen, um in die Höhe zu steigen und weite Strecken zu fliegen – übrigens eine Spezialität Goehrts, der gerne mal seinen Clubfreunden zuruft: „Ich flieg’ dann mal weg!“, und es auch tut und über 200 km lange Flüge absolviert.

Die Landung im Flachland kann eine eigene Herausforderung darstellen. Es gibt keine Berge, die als natürliche Landeplätze dienen, und die Windverhältnisse können sich schnell ändern. Daher ist es wichtig, den Landeplatz im Voraus zu planen und die Windrichtung zu berücksichtigen.
Eine sanfte Landung auf einer Wiese kann ein wunderbarer Abschluss eines aufregenden Flugs sein. Wenn sich diese Wiese etwa in Goehrts Falle hunderte Kilometer entfernt vom Startplatz befindet, heißt es für den leidenschaftlichen Flieger: „Daumen raus und trampen.“ Das habe bisher immer geklappt, beteuert der 69-Jährige, und dabei habe er zu allem Überfluss auch noch viele nette Menschen kenngelernt.
Die Gemeinschaft der Gleitschirmflieger im Flachland ist bunt und vielfältig. Von Anfängern bis hin zu erfahrenen Piloten wie Goehrt und Grube treffen sich Gleitschirmflieger regelmäßig, um Erfahrungen auszutauschen, gemeinsam zu fliegen und die Natur zu genießen. Der Gleitsegelclub Weser ist eine solche Gemeinschaft, es gibt aktuell 46 aktive und 35 passive Mitglieder. Frauen sind allerdings in der Unterzahl, gerade mal sechs an der Zahl.

Das Gleitschirmfliegen im Flachland ist wie ein Tanz mit dem Wind, ein Spiel mit der Natur und ein aufregendes Abenteuer für jeden, der den Traum vom Fliegen verwirklichen möchte. „Die Weite der Landschaft, die Freiheit in der Luft und der Nervenkitzel beim Gleiten über die Felder machen jeden Flug zu einem unvergesslichen Erlebnis“, konstatiert Goehrt und spricht vermutlich allen „Thermikmöwen“ damit aus der Seele.
Hoch über den Feldern
Paraglider Grube blickt zum Himmel, wo gerade ein Gleitschirm seine Kreise zieht. Ein zufriedenes Lächeln huscht über sein Gesicht. Für ihn und seine Clubkollegen ist jeder Flugtag ein Geschenk: Hoch über den Feldern rund um Visselhövede und weiter.
Denn eines muss man noch wissen: Bei Regen ist dieser Luftsport nicht möglich, denn die Nässe verändert die aerodynamischen Eigenschaften des Stoffs, aus dem der Gleitschirm besteht. Dann wird es nicht nur ungemütlich, sondern auch lebensgefährlich.
