„Nicht unantastbar“
„Investoren stehen Schlange“: Klingbeil-Berater zeigt Weg aus der Krise – will aber an die Renten
Ökonom Jens Südekum erklärt, wie Deutschland und Europa aus der Krise kommen können. Es brauche mehr Spielraum – auch durch Kürzungen bei der Rente.
Berlin – Deutschland befindet sich tief in der Krise: Unternehmen leiden, monatlich verliert Deutschland 12.000 Industriearbeitsplätze. Besserung ist kaum in Sicht. Zumindest auf den ersten Blick. Der bekannte Ökonom und Berater des Finanzministers, Jens Südekum, macht nun auf die großen Probleme aufmerksam. Er zeigt aber auch, wie Deutschland und Europa endlich aus der Krise kommen können.
„Im Grunde steht Europa heute schlechter da, als vor einem Jahr“, lautete Südekums ernüchterndes Fazit, als er vor Kurzem vor Gewerkschaftern er IG Metall in Berlin sprach. Es ging um die Zukunft der Industrie in Deutschland und Europa; der Berater von Finanzminister und Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) beschrieb einen bitteren Ist-Zustand. Die Lücke der Wettbewerbsfähigkeit der EU gegenüber China und der USA wachse.
Weg von Donald Trump und Xi Jingping: Deutschlands Weg aus der Wirtschaftskrise
Der Professor für Volkswirtschaft an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf benannte in Anlehnung an den Draghi-Report – erstellt vom ehemaligen italienischen Premierminister und EZB-Chef Mario Draghi – fünf zentrale Probleme der Europäischen Union. Die Energiepreise seien im Vergleich zu Wettbewerbern viel zu hoch (teilweise fünfmal so teuer wie in den USA), der Binnenmarkt sei unvollständig, und Europa viel zu abhängig von Wettbewerbern: Bei Rohstoffen und Vorprodukten von China und bei digitaler Infrastruktur und dem Militär von den USA. Außerdem bemängeln Draghi und Südekum zu viel und nicht zielgenaue Regulierung sowie eine „zu statische Industriepolitik“ in Europa. So könne man auf neue Entwicklungen wie etwa KI nicht schnell genug reagieren.
Der Ökonom sieht durchaus externe Faktoren wie den Handelsdeal – Südekum nennt ihn ein „Diktat amerikanischer Bedingungen“ – als Teil des Problems. Doch auch innerhalb der EU gibt es viel Luft nach oben. Der Internationale Währungsfonds untersuchte Hemmnisse des EU-Binnenmarkts. Und kam zum Schluss, dass diese in ihrer Wirkung Zöllen von 45 Prozent auf Waren in der Industrie entsprechen und bei Dienstleistungen sogar 110 Prozent. „Das ist in der heutigen Weltlage überhaupt nicht mehr nachvollziehbar, wo wir uns in einem digitalen Handelskrieg mit den USA befinden“, rügte der Klingbeil-Berater.
Doch wie herausfinden aus der mannigfaltigen Problemlage? Südekum fordert neues Denken. „Die Wettbewerbskonstellationen sind nicht mehr so, dass deutsche Unternehmen sich gute Vorteile gegenüber spanischen oder italienischen Unternehmen erarbeiten müssen“, meint er. „Die EU steht in einem krassen Wettbewerb mit den USA und mit China, zwei Partnern, die keine Scheu haben, knallharte Industriepolitik zu betreiben.“ Europa müsse erwachsen werden.
Krisen durch neue Exporte nach China oder in die USA zu kompensieren, sei nicht mehr möglich. Neue Nachfrage müsse nun „von Europa selbst“ kommen. Eine wichtige Rolle dafür spielen die neuen Schulden, die Deutschland über das Sondervermögen für Infrastruktur aufgenommen hat. Diese müssten nun zwingend in heimische Investitionen fließen, so Südekums Forderung.
Unterstützung bekommt der Klingbeil-Berater von der IG Metall, die eine „Local Content Strategie“ ins Gespräch bringt. „Überall, wo öffentliche Gelder fließen, wo Milliarden in den Umbau investiert werden, muss ein großer Teil der Wertschöpfung und Produktion hier bei uns stattfinden – in Deutschland und Europa“, sagte dazu Jürgen Kerner, zweiter Vorsitzender der IG Metall. Wer seine Produkte in Europa verkaufen wolle, müsse auch in Europa Wertschöpfung schaffen.
Klingbeil-Berater will an Rente und Bürgergeld: Nicht „unantastbar“
Neben öffentlichen müssen auch private Investitionen nach Europa besser kanalisiert werden, so Südekums Vorstellung, um den Kontinent zukunftsfest aufzustellen. „Die Großwetterlage ist gut, die Investoren stehen Schlange und sind sehr interessiert daran, was in Deutschland gerade passiert“, sagte er auf der Gewerkschaftsveranstaltung. Besonders wegen Trumps „erratischer Wirtschaftspolitik“ würden sich viele Investoren Deutschland zuwenden, so Südekums Prognose.
Der Klingbeil-Berater hält aber auch Einsparungen für notwendig. „Knapp 30 Prozent des Bundeshaushalts sind der Bundeszuschuss zur Rentenkasse. Zehn Prozent sind der Bundesanteil fürs Bürgergeld. Wir können diese beiden großen Blöcke nicht einfach für unantastbar erklären“, sagte Südekum. Wenn weniger Steuergelder in die Rente fließen, wird diese auf Sicht entweder geringer (laut Gesetz dürfen Renten nicht sinken) oder die Beiträge müssen massiv erhöht werden, um die wegfallenden Zuschüsse zu kompensieren. Welche Auswirkungen das hätte, ließ der Volkswirt unkommentiert.
Für ihn ist klar, dass Deutschland und Europa nur durch Wachstum aus der Krise kommen. „Aber im Unterschied zu früher muss der Impuls von innen kommen. Das viele Geld muss nun in heimische Wertschöpfung fließen und auch in heimische Arbeitsplätze.“ (Quellen: Eigene Recherche)
