Manche Eltern mögen sich noch an die G8-Reform an Gymnasien erinnern, die Eltern und Schüler in eine bizarre Situation versetzte: Manche Abiturienten landeten an Unis, obwohl sie noch nicht einmal volljährig waren. Eines der erklären Ziele der Reform damals war es, die Zeit bis zum Berufseintritt zu verringern (ein Schelm, wer glaubt, dass es im Kern um die Reduktion der Stundenzahl von Lehrern ging, die in manchen Bundesländern bekanntlich Mangelware sind). Wer schneller an die Uni kommt, ist auch schneller mit dem Studium fertig, so die Idee. Die Vorstellung, dass ein junger Mensch leichter und besser in den Beruf findet, wenn er möglichst rasch an die Universität versetzt wird, geistert noch immer durch die Köpfe vieler Eltern und Bildungspolitiker.
Kein Wunder, dass manche Eltern von kalter Panik ergriffen werden, wenn ihnen ihr Kind mitteilt, dass es ein „Gap Year“ nach dem Abitur einlegen will und nicht gleich mit dem Studium an Uni oder Fachhochschule beginnen möchte. Droht das Kind für immer den Anschluss zu verlieren, zu Hause im Keller der Eltern zu wohnen, bis es 36 ist und so richtig im Status des Nichtstuns zu versacken?
Man kann Eltern beruhigen! Das Gap Year, in dem ein junger Mensch Erfahrungen sammelt, vielleicht für einige Monate Arbeiten und Reisen verbindet und sich über seine Berufswünsche klar wird, ist keine verschenkte Zeit, sondern kann langfristig sogar Ausbildungszeiten sparen. Eben weil es jungen Menschen erlaubt, Lebenserfahrungen zu sammeln, die man an Schule und Uni nicht erlangen kann.
Auch ich habe einige „Lückenjahre“ angesammelt, allerdings in meinem Fall bereits vor dem Schulabschluss, weil ich den Schulbesuch hartnäckig verweigerte (andere Geschichte). Jedenfalls machte ich deswegen erst im fortgeschrittenen Alter von 21 Jahren Abitur. Ich kam meinen Kommilitonen vermutlich wahnsinnig alt vor, als ich endlich an der Uni ankam.
Man könnte meinen, dass diese drei Jahre verschwendete Zeit gewesen wären. Tatsächlich entwickelte ich damals sehr genaue Vorstellungen davon, was ich beruflich erreichen wollte. Entsprechend wählte ich mir meine Studienfächer: Germanistik und Kunstgeschichte.
Sie mögen jetzt sagen, dass das keine besonders kluge Wahl war. Selbst einige Dozenten witzelten damals, dass der Großteil unseres Jahrgangs einmal taxifahrend Geld verdienen würde (damals gab es noch kein Uber). Es kam ein bisschen anders. Was ich allerdings mit einiger Verwunderung feststellte: Die Quote der Studienabbrecher in der Germanistik war wahnsinnig hoch. Das lag wohl vornehmlich daran, dass die Germanistik keinen Numerus clausus hatte und damit zu einer Art Sammelbecken für die Unentschiedenen wurde. Besser als nichts, so das Motto!
Eine Frage der Finanzen
Auch ein befreundeter Kommilitone gehörte zu den Abbrechern, nachdem er bereits vier Semester studiert hatte. Der Grund: Nach dem Abitur war er schlichtweg ratlos gewesen, welches Studienfach er wählen sollte. Seine Eltern wünschten sich einfach, dass er etwas studierte, und zwar möglichst schnell. Doch bereits im ersten Semester erzählte er mir, wie gerne er eher einen handwerklichen Beruf ergriffen und lieber eine Ausbildung gemacht hätte.
Man stelle sich vor, er hätte die Zeit gehabt, im Jahr nach dem Abitur ein freiwilliges soziales Jahr einzulegen, Praktika in verschiedenen Handwerksbetrieben zu machen oder ein wenig auf die Suche nach dem Selbst zu gehen.
Ich verstehe allerdings die möglichen Einwände von Eltern: Ein Gap Year bedeutet, dass sich die Ausbildungszeit des Kindes verlängert, es kostet Eltern und Kinder schlicht Geld. Das kann und will sich nicht jedes Elternpaar leisten.
Hier ist es klug, rechtzeitig mit dem Kind über die Zeit nach dem Abitur zu sprechen und finanziell vorzusorgen. Nicht wenige Jugendliche erhalten von der Konfirmation/Jugendweihe an regelmäßig Geldgeschenke an Geburtstagen und Weihnachten. Man könnte mit Blick auf die Zeit nach dem Abitur vorschlagen, das Geld nicht vollständig für den Konsum von Labubus und Bubble Tea auszugeben, sondern lieber zu investieren. Als Anreiz könnten die Eltern das angesparte Geld „matchen“: Jeder gesparte Euro wird mit einem weiteren Euro der Eltern verdoppelt. Als netter Nebeneffekt lernt der Jugendliche schon einmal, wie man sinnvoll mit Geld umgeht.
Und wenn man sich all das nicht leisten kann, weil das Geld zu knapp ist und die Finanzierung eines Studiums sowieso schon Ängste bei den Eltern auslöst? Dann sollte man auch das ehrlich kommunizieren, am besten rechtzeitig vor dem Abschlussjahr in der Schule. Dann weiß das Kind, dass ein Gap Year mit Aushilfsjobs finanziert werden muss. Was immerhin möglich ist, wenn das Kind noch zu Hause lebt.
Wie heißt es so schön: Communication is key. Das Kind darf sich keine Illusionen über die finanziellen Möglichkeiten der Eltern machen. Gleichzeitig sind junge Menschen längst nicht so naiv, wie wir Alten meinen.
Eltern als Ratgeber
Es schadet gar nicht, die eigentlichen Zielsetzungen des Gap Years zu umreißen – und nachzufragen, wie die Jugendlichen diese Ziele erreichen wollen. Ein Jahr lang „ziellos“ zu suchen, vergrößert im schlechtesten Fall die Unsicherheiten bezüglich der Zukunft. Plötzlich aus einer festen Alltagsstruktur in völlige Strukturlosigkeit überzugehen, kann sogar ein Gefühl von Haltlosigkeit erzeugen. Mit anderen Worten: Auch ein vermeintlich „freies Jahr“ sollte sinnvoll geplant werden, eine Grundstruktur erhalten und durchdacht sein.
Man darf als Elternteil durchaus den Advocatus Diaboli spielen und die Zielsetzungen des Kindes hinterfragen. Nur sollte man nicht jeden Traum zum Platzen bringen oder jede Entscheidung infrage stellen, um kritischen Input zu liefern. Im Idealfall findet sich ein junger Mensch in diesem Jahr nicht nur selbst; er etabliert womöglich ein neues Verhältnis zu den Eltern, bei dem diese als geschätzte Ratgeber auftreten – aber das Kind gleichzeitig emanzipiert genug ist, basierend auf dem guten Rat eigene informierte Entscheidungen zu treffen. Dann klappt es auch mit dem weiteren Lebensweg.
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